Von Susanne Ferschl
Die Tarifabschlüsse der EVG und IG Metall haben das Thema Arbeitszeit wieder verstärkt in die Öffentlichkeit gebracht und eine gesellschaftliche Diskussion entfacht. Die zentralen Fragen sind: Wie, wann und von wo wollen wir zukünftig arbeiten – und wer entscheidet das am Ende. Diese originäre gesellschaftliche Verteilungsdebatte wird derzeit von einem „ideologischen Generalangriff auf das klassische Verständnis vom Arbeitsrecht als ein Schutzrecht für Arbeitnehmer“ begleitet, wie der Arbeitsrechtler Rolf Geffken treffend feststellt. Obergrenzen von Arbeitszeiten und gesetzliche Ruhezeiten werden als Innovationsbremsen und als arbeitnehmerfeindlich verleumdet, um die Beschäftigten für die Forderungen von Arbeitgebern und Kapital empfänglich zu machen – entgegen ihrer eigenen Interessen.
Besonders deutlich wird das am Mythos des starren Acht-Stunden-Tages, der täglich als Scheinargument für mehr Arbeitszeitflexibilisierung herhalten muss. Tatsächlich reicht ein Blick in das Arbeitszeitgesetz, um festzustellen, dass schon heute die Ausnahmen vom Gesetz mehr Seiten füllen, als der Gesetzestext selbst und Arbeitgeber auf eine ganze Fülle von Arbeitszeitmodellen zurückgreifen könnten. Deutschland ist das Land mit der höchsten Arbeitszeitflexibilität Europas und genau hier soll der Kollaps drohen, wenn Beschäftigte ihren Bossen keinen größeren Zugriff auf ihre Arbeitszeiten gewähren?
Auch die oft zitierte Ansicht, ein erfolgreicher digitaler Wandel in der Arbeitswelt wäre nur mit einer weiteren Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes möglich, hält einem genaueren Blick nicht stand. Denn der digitale Wandel ist in erster Linie ein technologischer, der mit massiven Produktivitätszuwächsen einhergeht. Warum wird hier eigentlich nicht die Frage, ob wir mit diesen Gewinnen zum Wohle Aller auch eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung umsetzen wollen, diskutiert? Ganz einfach: Der digitale Wandel wird in der Arbeitszeitdebatte lediglich als betriebswirtschaftliches Argument benutzt. Denn anstatt die hohen Profite in die Zukunftsfähigkeit ihrer Betriebe zu investieren, fordern die Arbeitgeber einen größeren Zugriff auf die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten. Wohlgemerkt, zur Sicherung der Aktionärsdividende, nicht für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Beschäftigten!
Diese Beispiele zeigen, dass die Arbeitszeitfrage nicht in einem luftleeren, herrschaftsfreien Raum diskutiert wird und dass es an uns ist, sich für selbstbestimmte kürzere Arbeitszeiten zusammenzuschließen und dafür zu streiten. Denn Arbeitszeit ist und bleibt auch ein Kampfplatz in der großen Frage von gesellschaftlicher Verteilung und gehört, bei allen Erfolgen der vergangenen Tarifabschlüsse von EVG und IG Metall, auch auf die Agenda der Politik. Denn eins ist sicher: Wird das Fundament einer gesetzlich geregelten Arbeitszeit aufgeweicht, kommt das ganze Haus ins Wanken. Daher bleibt es unsere Aufgabe als linke Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, neben einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung auf tariflicher Ebene auch für eine konsequente Regulierung auf gesetzlicher Ebene zu kämpfen. DIE LINKE ist nach wie vor die einzige Partei, die sich für eine Reduzierung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit für alle Beschäftigten, sowie die Ausweitung von Mitbestimmungsrechten für Betriebs- und Personalräte einsetzt. Lasst uns gemeinsam an diesem Ziel dranbleiben!
Susanne Ferschl ist stv. Fraktionsvorsitzende von DIE LINKE. im Bundestag, Leiterin des Arbeitskreises „Arbeit, Soziales und Gesundheit“ und Sprecherin für Gute Arbeit