Stefan arbeitet bei Hitachi-ABB Power Grids in Hanau-Großauheim. Dort werden u.a. Schaltanlagen und Antriebe hergestellt, die zur Stromverteilung vom Erzeuger hin zum Verbraucher bzw. zu Verteilungsstationen benötigt werden. Die Energiewende trägt dazu bei, dass sich das Marktumfeld im Aufschwung befindet – was den Arbeitgeber aber nicht davon abhält, den Standort zur Mitte nächsten Jahres zu schließen und die Produktion ins Ausland verlagern zu wollen. Das ist weder wirtschaftlich noch strategisch nachvollziehbar, sagt Stefan im Interview.
Betrieb & Gewerkschaft: Kannst du uns sagen, in welchem Betrieb bzw. in welcher Branche du arbeitest und welche Funktion (VK, BR, GS) du hast?
Stefan Weigand: Ich bin bei Hitachi-ABB Power Grids am Standort in Hanau Großauheim beschäftigt. Das Unternehmen wurde Ende letzten Jahres gegründet und zum 30.06.2020 übernahm Hitachi 80,1 Prozent der Anteile. Vorher gehörten wir zu 100 Prozent zur ABB AG. Das Unternehmen stellt Schaltanlagen, Transformatoren und Antriebe her, welche zur Stromverteilung vom Erzeuger ausgehend hin zum Verbraucher bzw. zu Verteilungsstationen benötigt werden. Am Standort selbst werden gasisolierte Schaltanlagen in der Spannungsebene der Hochspannung (von 72,5 kV – 170 kV), hydromechanische Federspeicherantriebe für jede Art von Hochspannungshardware hergestellt. Sowohl Servicedienstleistungen für die Netzbetreiber, die solche Anlagen in Betrieb haben, als auch die Inbetriebnahme dieser Anlagen werden von Hanau Großauheim aus angeboten und abgewickelt. Ich führe hier im Betrieb die Funktion des VK-Leiters und des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden aus. Auf Geschäftsstellenebene bin ich der Vorsitzende des Vertrauensleuteausschusses.
Die Automobilindustrie befindet sich in einem weltweiten Umbruch, wie macht sich das in eurem Betrieb bemerkbar?
Für die internen betrieblichen Prozesse gar nicht. Es ist eher so, dass die Energiewende dazu beiträgt, dass sich das Marktumfeld, in dem wir uns mit den Hochspannungsprodukten bewegen, im Aufschwung befindet. Wenn es zukünftig mehr dezentrale Energieversorger anstatt großer zentraler Kraftwerke geben soll, braucht man an allen Stellen, an denen mehr als 72,5 kV produziert werden, eine Schaltanlage in der hier gefertigten Spannungsebene. Das allein hat unseren Arbeitgeber aber nicht davon abgehalten, uns trotzdem zur Mitte nächsten Jahres schließen und unsere Produkte in die Schweiz und nach Bulgarien verlagern zu wollen. Hier befinden wir uns im Moment in einem für diesen Standort noch nie dagewesenen Abwehrkampf. Die Maßnahmen sind weder wirtschaftlich noch strategisch nachvollziehbar. Der Standort ist wirtschaftlich (trotz Corona) rentabel und liegt infrastrukturell im Rhein-Main-Gebiet sehr gut. Bezüglich des Umbruchs – getrieben durch den Wandel weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien und den daraus resultierenden strukturellen Problemen der Automobilindustrie – sind wir als Belegschaft schockiert. Durch den überbetrieblichen Austausch in der IG Metall, egal ob auf Geschäftsstellen-, Bezirks- oder Bundesebene bekommen wir natürlich die Hiobsbotschaften mit. Egal ob von Conti, Norma, Schaeffler oder auch aus anderen Branchen, wie zum Beispiel bei Lufthansa, wurden diese Entwicklungen auch immer innerhalb unserer Belegschaft diskutiert. Verständnis dafür existiert unter den Kolleginnen und Kollegen wenig bis gar nicht.
Und wie beeinflussen diese Entwicklungen die Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen?
Gerade durch das Vorhaben unseres Managements, unseren Standort schließen zu wollen, wirken diese Entscheidungen doppelt niederschlagend. Zum einen schreckt der Konzern Hitachi-ABB nicht davor zurück, in einer Krise und Rezession während einer globalen Pandemie einen wirtschaftlich rentablen Standort trotzdem zu schließen. Auf der anderen Seite wirkt sich der angekündigte Stellenabbau von 200.000 Jobs allein im Zuständigkeitsbereich der IG Metall dementsprechend düster auf die Alternativoptionen der Kolleginnen und Kollegen hier am Standort aus. Im Moment wirft kein Arbeitgeber mit Arbeitsverträgen um sich. Umso unnachvollziehbarer wirkt die Entscheidung der Hitachi-ABB. Zuweilen stellen sich die Kolleginnen und Kollegen zurecht die Frage, in welcher Welt wir eigentlich leben, wenn sogar die wirtschaftliche Rentabilität eines Standortes in Zeiten einer Rezession keine Sicherheit mehr bietet. Entsprechend dieser Ausgangssituation haben wir auch eine breite Solidarität über alle Parteien hinweg. Selbst die kommunale FDP verurteilt dieses unternehmerische Handeln.
Was sind deiner Meinung die Ursachen für diese Situation?
Kapitalismus. Innerhalb eines Systems welches darauf ausgelegt ist, den schnellstmöglichen maximalen Gewinn für die Anteilseigner zu generieren. Dabei werden die Endlichkeit der physisch vorhandenen Ressourcen des Planeten vollkommen außer Acht gelassen und jeder Cent, der der Gesellschaft in Form von Arbeitsentgelten, Steuern und Sozialleistungen zugutekommen würde, wird als unnötiger Kostenfaktor deklariert und nicht als Grundprinzip des gesellschaftlichen Zusammenhalts gesehen. Unter diesen Bedingungen kann ein nachhaltiges Wirtschaften zum Wohle aller und des Planeten nicht möglich sein. Dadurch, dass innerhalb dieses Systems die Unternehmer und Manager selbst nur den Fokus auf die schnelle und maximale Gewinnmaximierung legen müssen, bleiben auch elementar wichtige und notwendige Investitionen, die zum Beispiel in der Automobilindustrie schon vor Jahrzehnten hätten getätigt werden müssen, um nachhaltig und zukunftsfähig produzieren zu können, aus.
Bedeutet das, dass die Verteilungskämpfe schon längst begonnen haben?
Jede und jeder, die oder der das Gegenteil behauptet, lügt uns ins Gesicht.
Wie müsste dieser Transformationsprozess deiner Meinung nach gestaltet werden, damit er sich auch im Interesse der Beschäftigten vollzieht?
Mitbestimmt. Durchdemokratisiert. Entlang von Grundsätzen, die sich beispielsweise am (ganzen) Grundgesetz und wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren. Zumindest fürs erste. Die Beschäftigten, die Belegschaften aber auch die gesamte Gesellschaft brauchen die Möglichkeit, wirtschaftliche Entscheidungen mit zu beeinflussen. Und dies immer in einem generationen- und geographisch-grenzübergreifenden solidarischen Grundkonsens. Als ersten Schritt brauchen wir Möglichkeiten, um zumindest über die Betriebs- und Personalräte wirtschaftliche Entscheidungen mitzubestimmen. Die heutigen Mittel des Betriebsverfassungsgesetzes und die immer wieder gerne angeführte „unternehmerische Freiheit“ reichen dazu nicht aus. Dazu brauchen wir ein Bildungssystem, nicht nur für Erwachsene, welches darauf ausgerichtet ist, jede und jeden dazu zu befähigen, eben solche Entscheidungen in Ihrer Gänze und deren Quer-Konsequenzen zu verstehen und Verantwortung in diesem Prozess zum Wohle aller zu übernehmen. Wenn wir die Globalisierung der Märkte vorantreiben, ohne diese zu demokratisieren, laufen wir unweigerlich in eben diese Verteilungskämpfe hinein, die wir derzeit erleben. Ich bin aber der Meinung und der festen Überzeugung, dass der Mensch und wir als Gesellschaft mehr können als das.