Prekarität verschärft sich, wenn der Job am Aufenthaltsstatus hängt, sagt Christiane Tenbensel. Sie ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft. Beruflich arbeitet Christiane in NRW als Referentin in dem Projekt „Faire Integration“. Hier berät sie Migrantinnen und Migranten aus Drittstaaten in Sachen Arbeitsrecht. Über ihre Erfahrungen hat sie mit Ulrike Eifler gesprochen.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Du informierst und berätst zugewanderte Beschäftigte in Dortmund zu arbeits- und sozialrechtlichen Fragestellungen. Aus welchen Branchen kommen deine Ratsuchenden?
Christiane Tenbensel: Die Ratsuchenden kommen aus vielen Branchen, besonders aus dem Niedriglohnsektor. Darunter der Reinigungsdienst, die Gastronomie oder Lieferdienste. Einige arbeiten aber auch im Baugewerbe, in der Logistik oder in der Leiharbeit. Und mittlerweile gibt es immer mehr, die im Gesundheitswesen tätig sind. Sie sind aller in besonderer Weise auf ihr Arbeitsverhältnis angewiesen, denn es ist eng verknüpft mit ihrem Aufenthaltsrecht in Deutschland.
Mit welchen Themen und Problemen kommen die Ratsuchenden zu dir?
Es geht häufig um Kündigungen, oft wird der Lohn nicht bezahlt. Oder die Menschen werden nicht richtig bei der Sozialversicherung und den Behörden angemeldet und arbeiten ungewollt nicht versicherungspflichtig. Dadurch, dass sie häufig keine ausreichenden Deutschkenntnisse haben, fällt ihnen das nicht sofort auf. Oft wird auch der geltende Branchenmindestlohn nicht eingehalten oder sie müssen unentgeltlich Überstunden machen. Besonders bei den Kurierfahrern gibt es viele Kontrollen. Strafzahlungen sind an der Tagesordnung.
Und in welcher Branche arbeiten diejenigen, die speziell in deine Beratung kommen?
Aufgrund meiner Erfahrungen im Gesundheitswesen kommen viele Ratsuchende aus der Pflegebranche zu mir in die Beratung. Dabei gibt es unterschiedliche Problemlagen, mit denen sich die Pflegenden an mich wenden. Wir wissen: In der Pflege und allgemein im Gesundheitswesen sind die Arbeitsbedingungen nicht einfach. Durch Corona hat sich die Situation noch mal verschlechtert. Die Menschen arbeiten bis zum Umfallen, da viele Kolleginnen und Kollegen durch Krankheit, Quarantäne oder kranke Kinder ausfallen. Deshalb müssen die verbleibenden Beschäftigten häufig einspringen.
Immer mehr Pflegekräfte wechseln den Beruf, weil sie den Druck nicht mehr aushalten…
Richtig. Diese Bedingungen führen dazu, dass Pflegende aus dem Beruf aussteigen und in andere Branchen abwandern. Unbestritten ist: der Job ist psychisch und physisch sehr belastend. Das gilt für die Pflegekräfte, das gilt aber auch für andere Professionen im Gesundheitswesen. Allein in Berlin gehen jedes Jahr 10.000 Pflegekräfte, Frühaussteiger sind noch nicht berücksichtigt. Etwa 2.000 Pflegekräfte werden jedes Jahr neu ausgebildet, doch es bleibt eine Lücke von 8.000 Personen jedes Jahr. Um diese Lücke zu schließen haben sich viele Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen auf den Weg gemacht und versuchen, ausländische Pflegekräfte anzuwerben.
Unter welchen Bedingungen werden die ausländischen Pflegekräfte angeworben?
Die Anwerbung vollzieht sich über unterschiedliche Institutionen. Da gibt es zum einen die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit. Und zum anderen gibt es eine Vielzahl von nicht regulierten privaten Vermittlungsunternehmen. Die meisten Menschen kommen über private Vermittler ins Land. Das gilt zumindest für diejenigen, die sich bei mir beraten lassen. Bei den Vermittlungsverträgen gibt es viele Probleme. Häufig werden hohe Summen von mehreren Tausend Euro für die Vermittlung verlangt. Dies ist aber in Deutschland nicht erlaubt. Die Vermittlung eines Arbeitsvertrages darf hierzulande nur maximal 2.000 Euro kosten.
Aber das ist vermutlich nicht das einzige Problem, oder?
Nein, häufig kommen zusätzliche finanzielle Probleme hinzu. Um in Deutschland arbeiten zu können, muss erstens der jeweilige Berufsabschluss anerkannt sein, und die Fachkraft muss Deutsch auf B2-Niveau sprechen. Ein Sprachkurs und das Anerkennungsverfahren werden meist von den Vermittlern organisiert. Gleiches gilt für die Anreise und die Unterkunft. Doch dafür lassen sich die Vermittler sehr gut bezahlen, oft zu weit überzogenen Preisen. Dieses Geld müssen die angeworbenen Pflegekräfte komplett zurückzahlen, wenn sie den Arbeitsvertrag aus welchen Gründen auch immer nicht antreten. Oder wenn sie vorzeitig wegen schlechter Arbeitsbedingungen kündigen. Da greift dann häufig die sogenannte Bindungsklausel. Sie bindet die Beschäftigten oft bis zu 36 Monate und länger an das Unternehmen.
Und was sagst du ihnen, wenn sie zu dir in die Beratung kommen?
Kommt eine Pflegekraft mit einem ausländischen Examen zu uns, muss ein Antrag auf Anerkennung der ausländischen Qualifikation gestellt werden. Die prüfenden Behörden reagieren üblicherweise mit einem Defizitbescheid, in dem steht, was noch benötigt wird, um eine vollständige Anerkennung der Qualifikation zu erhalten. Die Pflegekräfte müssen sich dann weiter qualifizieren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ausländische Pflegekräfte in ihren Herkunftsländern häufig andere Aufgabenbereiche übernehmen als die Pflegekräfte hierzulande. In ihrer Heimat übernehmen sie oft viel mehr ärztliche Tätigkeiten. Tätigkeiten in der Grundpflege, wie beispielsweise waschen und Essen reichen, finden dort viel weniger statt. Deshalb die zusätzliche Qualifizierung nach den hier üblichen Standards.
Ist das nicht auch eine Frage der Sicherheit?
Natürlich ist es das. Deshalb sollten neue ausländische Pflegekräfte auch gründlich angeleitet und eingewiesen werden, denn oft sind die Geräte und Materialien in Deutschland anders, als in ihren Herkunftsländern. Doch die Anleitung auf der Station ist häufig aus Gründen der dort vorherrschenden Arbeitsüberlastung nicht leistbar und kann von den hiesigen Pflegekräfte nicht auch noch verlangt werden. Zu dünn ist die Personaldecke und zu unerträglich die Arbeitsverdichtung. Das aber macht es den angeworbenen Pflegekräften schwer, ihre Prüfungen zu bestehen. Dies wiederum kann zum Abbruch des Programms führen und damit zu hohen Schulden, mit denen sie in ihr Heimatland zurückkehren.
Das waren viele negative Beispiele. Gibt es auch positive Beispiele?
In großen deutschen Kliniken hat man erkannt, dass ohne besondere Betreuung und Unterstützung keine erfolgreiche Integration möglich sein kann. Deshalb gibt es dort besondere Abteilungen, die sich um die Belange der eingewanderten Pflegekräfte kümmern und diese unterstützen. Die Pflegekräfte wollen sich angenommen und gut aufgehoben fühlen und möchten bei Fragen Ansprechpartner haben, die ihnen weiterhelfen können.
Was muss passieren, um eine nachhaltige Verbesserung der Situation zu erreichen?
Die Personalsituation im deutschen Gesundheitswesen ist prekär. Es wird viel zu wenig ausgebildet. Der Arbeitsalltag der Pflegekräfte bleibt stressig und belastend. Deshalb müssen wir froh über jede Person sein, die hier die Lage im Gesundheitswesen verbessern will. Die Integration und die Sorge um eine gute Anleitung und Einarbeitung muss definitiv gewährleistet werden. Mitarbeiter und Betriebsräte müssen vor Ort eingebunden und für die besondere Situation sensibilisiert werden. Oft machen wir die Erfahrung, dass die Betriebsräte nicht einmal wissen, unter welchen Umständen die neuen Kolleginnen und Kollegen ins Land und in ihre Klinik oder Pflegeeinrichtung gekommen sind. Die Sensibilisierung von Betriebs- und Personalräten ist für mich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Danke für das aufschlussreiche Gespräch, Christiane.