Zum Tag der Pflegenden am 12. Mai fordert die Fraktion DIE LINKE im Bundestag für Beschäftigte im Krankenhaus Entlastung und zudem eine tarifliche Absicherung für die Kolleginnen und Kollegen in der Langzeitpflege. Über die Hintergründe haben wir mit Ates Gürpinar gesprochen, dem Sprecher für Pflege- und Krankenhauspolitik der Bundestagsfraktion. Das Gespräch führte unser Bundessprecher Jan Richter.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Die Pflegekräfte in Nordrhein-Westfalen haben einen Notruf abgesetzt, sie befinden sich in einem Entlastungsstreik, kämpfen also für bessere Arbeitsbedingungen. Warum ist das momentan die größte Baustelle in der Pflege?
Ates Gürpinar: In der Pflege gibt es einige Baustellen, aber es stimmt, die Entlastung ist die größte. Pflegekräfte im Krankenhaus sind längst nicht mehr am Limit, sondern viele von ihnen sind schon weit darüber hinausgegangen. Sie arbeiten täglich im Stressmodus, weil die Besetzung auf den Stationen gar nichts anderes mehr zulässt. Und dieser Stress ist ja nicht nur auf Station da, sondern durch die fehlende Planbarkeit, weil man immer wieder gefragt wird, ob man einspringen kann, bleibt die Anspannung für viele sogar präsent, wenn sie frei haben. Diese Dauerbelastung ist gefährlich: Die Pflegekräfte werden krank und die Sicherheit der Patient*innen, also potentiell von uns allen, ist so natürlich auch ganz konkret gefährdet.
Aber wie könnte eine Lösung aussehen? Es heißt doch sowieso schon, dass offene Stellen monatelang nicht besetzt werden können.
Die Lösung kann auf jeden Fall nicht sein, dass immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern verteilt wird. Mit dieser Strategie befeuert die Bundesregierung den herrschenden Pflegenotstand. Diese Woche hat das statistische Bundesamt Beschäftigungszahlen für die Pflege vorgelegt. Darin erkennt man, dass zwar immer mehr Beschäftigte in der Pflege arbeiten, aber wir werden als Gesellschaft auch immer älter, also werden auch schlicht immer mehr Pflegekräfte gebraucht. Und man sieht an diesen Zahlen auch, dass extrem viele Pflegekräfte, deutlich mehr als im Durchschnitt der Beschäftigten, in Teilzeit arbeiten. Der Beruf ist also so anstrengend, dass er in klassischer Vollzeit einfach nicht zu machen ist. Die Kolleginnen und Kollegen schützen sich in vielen Fällen mit der Teilzeit selbst – mit allen Einbußen, die mit der Reduktion ja auch verbunden sind, wie weniger Lohn und dadurch später auch weniger Rente, schlechtere Aufstiegs- und Weiterbildungschancen etc.
Du meinst also, dass wenn die Arbeitsbedingungen besser sind, werden die Pflegekräfte ihre Stunden wieder hochfahren?
Davon gehe ich aus. Es gibt eine Studie mit dem einprägsamen Titel „Ich pflege wieder, wenn …“, mit dem Ergebnis, dass man in Deutschland das Potential von zusätzlichen mindestens 300.000 Vollzeitstellen in der Pflege hat, wenn die Arbeitsbedingungen in der Pflege deutlich verbessert werden. Denn dann wären etliche Menschen, die ihre Stunden reduziert haben oder der Pflege ganz den Rücken gekehrt haben, bereit wiederzukommen bzw. ihre Stunden wieder aufzustocken. Aber damit die Bedingungen verbindlich verbessert und nicht weiterhin der Marktlogik unterworfen werden, braucht es gesetzliche Vorgaben. Deshalb bringen wir am 12. Mai, dem Geburtstag von Florence Nightingale, der international als Tag der Pflegenden begangen wird, einen Antrag in den Bundestag ein, mit dem wir die sofortige Umsetzung einer verpflichtenden Pflegepersonalrichtlinie fordern.
Aber es gibt doch Pflegepersonaluntergrenzen? Was würde sich mit dem Antrag verbessern?
Die Untergrenzen sind nur ein absolutes Minimum, so wie der Mindestlohn. Sie sind die Haltelinie. Aber wir wollen mehr als das Minimum und orientieren uns deshalb natürlich nach oben. Die sogenannte PPR 2.0 hingegen, also die Pflegepersonalregelung, wurde von der Gewerkschaft ver.di, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat entwickelt und bereits im November 2019 in bundesweit 44 Krankenhäusern evaluiert. Sie ist unmittelbar einsatzfähig, bildet den tatsächlichen pflegerischen Bedarf der Patientinnen und Patienten ab und wurde mithilfe pflegerischer und pflegewissenschaftlicher Expertise für einen praktikablen Einsatz erarbeitet.
In der Langzeitpflege ist in diesen Bereichen scheinbar mehr Bewegung drin: Es liegt eine wissenschaftlich fundierte Personalbemessung vor, ab September ist zumindest eine Entlohnung Pflicht, die sich an tariflichen Regelungen orientiert.
Mit der Personalbemessung in der Langzeitpflege muss noch mal ein ganz anderes Fass aufgemacht werden. Damit es nicht jetzt nicht den Rahmen sprengt nur so viel: Ausreichend ist sie bei weitem nicht. Aber die gesetzliche Regelung zur Tarifbindung ab September ist ein schlechter Witz. Es werden auch Haustarifverträge als ausreichend angesehen, egal wie schlecht sie sind. Damit verbessert sich gar nichts, im Gegenteil der Status Quo wird zementiert. Dabei ist es enorm wichtig, dass die Lohnlücke zwischen Langzeit- und Krankenpflege endlich geschlossen wird. Die Beschäftigten in der Langzeitpflege verdienen im Mittel rund 470 Euro im Monat weniger als ihre Kolleginnen und Kollegen in der Krankenpflege. Spätestens wenn im kommenden Jahr die ersten generalistisch ausgebildeten Pflegekräfte die Fachschulen verlassen werden, wird kaum jemand von ihnen in die Altenpflege gehen, wenn sie dort jeden Monat diese hohen Verluste hinnehmen müssen. Dort aber werden sie händeringend gebraucht.
Und wie soll diese Lohnlücke geschlossen werden?
Das Instrument dafür, zumindest verbindliche, tarifliche Regelungen für alle zu schaffen, hat die vorherige Bundesregierung und vor allem Arbeitsminister Hubertus Heil der ja immer noch im Amt ist, selber vorgelegt. Er hat die Voraussetzungen geschaffen, damit ein vorliegender Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann. Allerdings hat die Bundesregierung den kirchlichen Dienstgebern ein faktisches Veto-Recht eingeräumt. Wenn sie diesen Tarifvertrag, der für sie im Prinzip keine Relevanz hat, da ihre eigenen Arbeitsvertragsrichtlinien eine höhere Entlohnung vorsehen, nicht wollen, können sie die Allgemeinverbindlicherklärung stoppen. Und genau das hat die Caritas im vergangenen Jahr getan. Deshalb stellen wir außerdem den Antrag, dieses faktische Veto-Recht abzuschaffen und so eine Mindestabsicherung möglich zu machen. Das greift meiner Meinung nach nicht mal den 3. Weg des kirchlichen Arbeitsrechts an, denn es geht ja nur darum, dass die kirchlichen Dienstgeber keinen Einfluss auf andere, ausgehandelte Tarifverträge haben können.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Anträge zum Tag der Pflegenden von der Fraktion DIE LINKE im Bundestag
Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege nachhaltig verbessern – faktisches Veto-Recht der kirchlichen Kommissionen streichen: 2023 verlassen die ersten generalistisch ausgebildeten Pflegekräfte die Fachschulen, was die Fachkräftegewinnung in der Langzeitpflege durch die Lohnlücke zur Krankenpflege noch weiter erschwert. Das erhöht den Druck, die Löhne und Arbeitsbedingungen in der Langzeitpflege zu verbessern. Die Abschaffung des faktischen Vetorechts der kirchlichen Arbeitgeber gegen die Erstreckung tarifvertraglicher Änderungen ist ein Weg, der kurzfristige Verbesserungen schafft und dabei die Tarifautonomie wahrt. Den Antrag der Fraktion DIE LINKE findet ihr hier auf der Seite des Deutschen Bundestages.
Koalitionsvertrag umsetzen – Pflegepersonalregelung 2.0 einführen: Die Pflegepersonalregelung 2.0 (PPR 2.0), die ver.di gemeinsam mit den Krankenhäusern und dem Deutschen Pflegerat entwickelt hat, ist vernünftig und sofort einsatzfähig. Sie würde mehr Pflegekräfte in die Krankenhäuser bringen. In der GroKo von Union blockiert, soll sie laut Koalitionsvertrag der Ampel nun „kurzfristig“ eingeführt werden. Aber die Bundesregierung windet sich. Zum Tag der Pflege am 12. Mai fordern wir die Regierung auf, die Lippen nicht nur zu spitzen, sondern auch zu pfeifen! Den Antrag der Fraktion DIE LINKE findet ihr hier auf der Seite des Deutschen Bundestages.
Auch interessant zum Hintergrund:
Kirchliche Arbeitgeber signalisierten lange, das Tarifergebnis mitzutragen. Nährboden für ihren Verrat ist auch die Ökonomisierung und Privatisierung der Altenpflege. Die Caritas hat gehandelt, wie gewinnorientierte Privatunternehmer. Benutzt hat sie dazu die politische Sonderstellung des kirchlichen Arbeitsrechtes. Praktischer Nebeneffekt: In einigen diakonischen Bereichen hätten auch kirchliche Einrichtungen Niedriglöhne anheben müssen. Darauf können sie jetzt verzichten, wie die privaten Arbeitgeber auch. In Gottes Namen, ein Gastbeitrag von Sonja Kemnitz aus dem letzten Jahr zum Thema.