Die Versorgungssicherheit mit Energie steht auf der Kippe. Gerade jetzt aber benötigen wir eine stabile Energieversorgung, wenn die sozial-ökologische Transformation gelingen soll. Betrieb & Gewerkschaft hat mit Uwe Witt gesprochen. Der klima- und energiepolitische Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung erklärt, warum es eine konsistente energie- und industriepolitische Strategie braucht, sollen die Klimaschutzziele erreicht werden.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Der Klimawandel macht einen ökologischen Umbauprozess auch in den drei großen Leitindustrien – Chemie-, Stahl- und Automobilindustrie – notwendig. Wie wichtig sind die drei Industrien für das Gelingen der Energiewende?
Uwe Witt: Bislang konzentrierte sich die öffentliche Klimaschutzdebatte vor allem auf die Energiewirtschaft, den Verkehr und die Gebäude. Nunmehr rückt die Industrie stärker in den Fokus. Das wird auch höchste Zeit, und zwar aus zwei Gründen: Sie ist nicht nur für knapp ein Viertel der direkten deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich, sondern auch einer der größten Energieverbraucher. Zum einen müssen also die Sektor-Emissionen der Eigenerzeugung von Strom und Wärme runter sowie jene Emissionen, die in der Industrie durch stoffliche Prozesse Treibhausgase anfallen, etwa in der Stahl- und Zementindustrie. Regenerative Energien statt Kohle und Gas sind hier das Stichwort, hinzukommt der Einsatz grünen Wasserstoffs und dessen Folgeprodukten, übrigens auch als Rohstoff für die Grundstoffchemie. Zum anderen muss in der Industrie insgesamt der Energie- und Rohstoffverbrauch so stark wie möglich begrenzt werden. Hier geht es vor allem um den direkten und indirekten Fremdbezug von Strom, Wärme und Rohstoffen. Indirekt wäre beispielsweise der Bezug von Wasserstoff, der je extrem energieaufwändig mittels Ökostrom hergestellt werden muss. Würden wir einfach auf dem heutigen Niveau Autos, Plastikartikel oder Düngemittel so weiter produzieren – nun bloß mit Ökostrom und grünem Wasserstoff statt mit fossilen Rohstoffen – so würde das Energiesystem überfordert, Stichwort Flächenverfügbarkeit und Akzeptanz. Es gäbe zudem mehr weltweit Rohstoffkonflikte. Das alles gilt auch und gerade für Wasserstoff-Importe, wo wir im Zweifelsfall unsere Probleme nur in andere Staaten auslagern, statt sie zu lösen.
Auf der anderen Seite benötigen wir für die Energie- und Industriewende zunächst erhebliche Mengen an Stahl und chemischen Grundstoffen, etwa für zusätzliche Photovoltaik- und Windkraftanlagen.
Die Herstellung der Komponenten in Deutschland ist in den vergangenen Jahren eingebrochen und muss zurückgeholt werden. Bei Wafern für PV-Modulen sind wir inzwischen zu 95 Prozent von China abhängig – kein beruhigender Gedanke. Ob die Verkehrswende gelingt, hängt wiederum auch davon ab, ob der Umbau der Automobilindustrie sich schrittweise, aber druckvoll, in Richtung moderner Fahrzeuge und Dienstleistung für den öffentlichen Gemeinschaftsverkehr entwickelt oder lediglich eine Antriebswende hin zur E-Mobilität vollzogen wird. E-Autos sind wichtig, dürfen aber nur für den kaum vermeidbaren Restverkehr eine Rolle spielen.
Bei der Gelegenheit möchte ich auf unser Studienpaket zum sozialökologischen Umbau der Industrie verweisen, welches die Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik auf den Weg gebracht hat. Neben den Branchenstudien setzt sich eine Untersuchung auch mit den Herausforderungen für eine zukunftsfähige Arbeitspolitik auseinander. Das war anderswo so noch nicht zu lesen.
Hat die Bundesregierung eine industriepolitische Strategie und wenn ja, worin genau besteht diese?
Ja, teilweise, zumindest aus Sicht des Klimaschutzes. In ihr bilden sich aber die Widersprüche zwischen den Koalitionspartnern ab, so dass die Strategie am Ende nicht wirklich konsistent ist. Die russische Aggression auf die Ukraine wirbelt momentan noch einmal viel durcheinander. Einige wichtige Weichen sind richtig gestellt. Etwa der Fokus auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, um die Industrie mit Strom, Wärme und Wasserstoff versorgen zu können. Zum Teil auch Konstruktionen, um sehr teure, aber notwendige Technologien öffentlich fördern zu können, ohne allzu große Mitnahmeeffekte für die Konzerne zu organisieren. Carbon Contracts of Difference, die ausgeschrieben werden, sind hier ein sinnvolles Instrument, damit beispielsweise die zunächst sehr hohen Kosten für den Einsatz von Wasserstoff zur Ablösung klimaschädlichen Kokses bei der Stahlherstellung von den Unternehmen geschultert werden können. Wird das Ganze billiger, zahlen die Unternehmen an den Staat zurück.
Und was sind nach deiner Einschätzung die strategischen Widersprüche innerhalb der Ampel?
Beim EU-Emissionshandel wird es beispielsweise schon schwieriger. Die letzte Bundesregierung war hier mitbeteiligt, einige Schlupflöcher zu schließen und den Minderungspfad anzuschärfen. Für die deutsche Industrie hat sie parallel aber stets Ausnahmen und Sicherheitspuffer reinverhandelt, die neue Bundesregierung bleibt offensichtlich dabei. Sie hat maßgeblich den Vorschlag vorangetrieben, EU-weit im Vergleich zum ursprünglich angestrebten Pfad zusätzliche Emissionsrechte auf den Markt zu werfen, um mit den zusätzlichen Versteigerungseinnahmen den künftigen EU-Klimasozialfonds zu füllen. Ein Klassiker: Anstatt endlich auch die hohen Einkommen und Vermögen zur Kasse zu bitten, sollen Klimaschutzinstrumente den Goldesel spielen. Dabei sollte selbst der FDP klar sein: Zusätzliche Emissionsrechte für Energiewirtschaft und Industrie bedeuten zusätzliche Emissionen – die dann an anderer Stelle zusätzlich eingespart werden müssen, etwa bei den privaten Haushalten.
Kommen wir zum Umgang mit Wasserstoff.
Das ist das zweite problematische Großthema. Klar brauchen wir grünen Wasserstoff für jene Anwendungen, die anders nicht zu dekarbonisieren sind. Und ein Teil davon wird sicher auch aus dem Ausland kommen – im Grundsatz liegt die Bundesregierung hier nicht falsch. Das mögliche Tempo des Hochlaufs, insbesondere bei den anvisierten Wasserstoff-Importen aus dem Globalen Süden, wird jedoch überschätzt. Es gibt dort kaum Elektrolyseanlagen oder Ökostromanlagen, die für den Norden Wasserstoff produzieren könnten, die Länder haben Großteiles selbst Energiearmut und niedrige Ökostromquoten. Ob sich das kurzfristig mit Großinvestitionen des Nordens ändern lässt. und zwar zu fairen Bedingungen – also ohne eine neue Runde neokolonialer Abhängigkeiten zu schaffen – dahinter stehen eine Menge Fragezeichen, wie wir in einer RLS-Studie zu Wasserstoff in Westafrika nachgewiesen haben. Ich glaube, hier wird ein Trugbild aufgebaut, teils auch, um unbequemen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen, die hierzulande zeitnah zu treffen wären, als da wären: Deutlich weniger und weniger große Autos aber besserer öffentlicher Verkehr, weniger Luxusgüter, dafür mehr Bildung, eine gerechte Verteilung von Einkommen und Vermögen, um einen solchen Umbau sozial absichern zu können.
Wie wichtig ist Gas als Brückentechnologie für das Gelingen der Energiewende?
Robert Habecks Grüner Staatsekretär Patrick Graichen hat es nach Beginn des Ukraine-Kriegs recht zutreffend eingeschätzt: Die Brücke, die Erdgas im Erneuerbaren-Zeitalter spielen sollte, ist mit dem Einmarsch eingestürzt. Zum Teil jedenfalls, sofern man sich von Russland hier unabhängig machen will. Fakt ist, dass wir für den Übergang eine Anzahl zusätzlicher Gaskraftwerke brauchen werden, die allerdings nur wenige hundert Stunden im Jahr laufen dürfen, also nicht alle 8.760. Gerade innerhalb eines beschleunigten Kohleausstiegspfades müssen sie dann einspringen, wenn Sonne und Wind noch nicht genug Energie liefern. Nach Lage der Dinge wird nun zeitnah wohl eher LNG-Gas, also über Tanker angelandetes Flüssiggas, die Embargo-Lücken füllen, als Wasserstoff, der noch schwerer zu bekommen und noch teurerer sein wird. Dass die Bundesregierung für Deutschland nunmehr aber zwölf Standorte für LNG-Terminals plant, dürfte weit überzogen sein. Dass sind schon in wenigen Jahren teure stranded investments, sofern die Klimaziele erreicht werden. Im schlechtesten Fall organisiert und finanziert der Staat hier ein Lock In in eine neue fossile Infrastruktur. Diese lässt sich übrigens nicht so einfach auf Wasserstoff umrüsten, wie gelegentlich behauptet wird.
Heißt, Habeck geht hier ein Stück weit Konzerninteressen auf den Leim?
Ja. Zentral ist zudem, schnellstens Gas einzusparen, insbesondere im Wärmebereich, indem der Umstieg auf Wärmepumpen forciert und die Gebäudeeffizienz sozialverträglich erhöht wird. Aber auch die Industrie muss deutlich sparen. Bei diesem Komplex ist die Bundesregierung leider bislang deutlich unkonkreter als beim Ökostromausbau. Vielleicht ändert sich hier jetzt etwas unter dem Druck der Gaskrise. Angesichts der Engpässe zeitweise Kohlekraftwerke aus der Netzreserve herauszuholen und Gas künstlich noch teurerer zu machen, um einen Teil von Gaskraftwerken aus dem Markt zu drängen, wie es die Bundesregierung jetzt plant, kann wirklich nur eine kurze Überbrückungsmaßnahme sein. Gas muss vielmehr strukturell und dauerhaft eingespart werden, siehe oben. Solche Maßnahmen sparen letztlich auch Kohle. Das wiederum hilft dabei, das Enddatum des Kohleausstiegs 2030 erfüllbar zu machen. Ein Ziel, das nicht in Frage gestellt werden darf (was die Bundesregierung bislang auch nicht macht).
Industriepolitik kommt ohne Energiepolitik nicht aus. Wie beurteilst du die von der Ampel-Koalition formulierten Klimaziele – bis 2030 sollen 80 Prozent der Energien am Strommix nachhaltig sein. Ist das zu schaffen und wenn ja, was wäre dafür notwendig?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung zu einem zweifellos ambitionierten Klimaschutzpfad verdonnert (wenngleich dieser immer noch einen klimagerechten Beitrag zur Erfüllung der Paris-Verpflichtungen knapp verfehlt). Im Bundesklimaschutzgesetz ist der Pfad jahresscharf nach Sektoren abgebildet. 2045 Klimaneutralität, wie dort festgelegt, ist eine enorme Herausforderung, da bleibt hierzulande kein Stein auf dem anderen. Die 80 Prozent Ökostromquote bis 2030 auf dem Weg dahin sind ebenfalls sportlich. Dafür müsste im Verglich zu den letzten Jahrzehnten das Ausbautempo bei Wind und Sonne verdreifacht werden. Und dies bei weniger ertragreichen Flächen und gelegentlich auch wachsenden regionalen Widerständen gegen neue Anlagen. Letztere werden auch politisch geschürt, etwa wie in Bayern mit absurden Abstandsregelungen. Diese müssen fallen. Vielmehr braucht es eine starke finanzielle Beteiligung der Standortkommunen an den Erträgen der Betreiber. Das Gemeinwesen muss profitieren, nicht nur der Grundstückseigentümer, der seinen Boden an die Betreiber verpachtet. Für die Städte muss es Solarpflichten geben, und zwar auch für Wohngebäude, und hier auch im Bestand, nicht nur im Neubau. Die Dächer sind ja fast leer. Nicht zuletzt müssen Bürgerenergien und Stadtwerke wesentlicher Bestandteil der Energiewende bleiben, ein Großteil der Netze muss in öffentliche Hand. Geschieht das alles, so sind die Ziele erreichbar.
2018 hat die Kohlekommission einen detailliert festgelegten Ausstiegspfad für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung festgelegt. Müsste es nicht umgekehrt auch einen Einstiegspfad in die Erneuerbaren Energien und Effizienz geben?
Den gab und gibt es, was den Strombereich angeht. Das Wesentliche dazu steht im Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG). Anders als bei erneuerbarer Wärme und Effizienz. Hier sind die Instrumente recht bruchstückhaft, mit dem EEG vergleichbare wirkmächtige Instrumente für die Wärmepumpe oder die Gebäudeeffizienz im Bestand hat es beispielsweise nie gegeben. Förderprogramme allein bewirken eben häufig nur wenig. Zum Teil liegt das auch daran, dass die Themen komplexer sind, auch unmittelbarer in die Wohnbedingungen der Menschen eingreifen. Manch andere Staaten, etwa Dänemark, sind hier dennoch längst weiter mit verpflichtenden kommunalen Wärme- und Sanierungsplänen sowie ambitionierteren Vorgaben zum gesetzlichen Ende von Erdgas- und Ölheizungen. Vieles davon soll jetzt in Deutschland angeblich auch kommen (im Sommerpaket), hier wurde aber eben viel Zeit verschenkt.
Was ist dir abschließend wichtig?
Es geht im Übrigen nicht nur darum, überall Kohle, Gas und Öl durch Erneuerbare und Wasserstoff auszutauschen. Manches müsste einfach auch verboten werden. Zur Liste gehört ein Tempolimit genauso dazu, wie Regelungen, die den umwelt- und menschenfeindlichen SUV-Wahnsinn beenden. Dies alles verbunden mit einem massiven und Ausbau von Bahn, Bus, Rad- und Fußverkehr als attraktive und preiswerte Alternativen. Davor dürfte aber die FDP stehen, genauso wie vor einer gerechten Verteilung der Kosten und Gewinne des Umbauprozesses.
Lieber Uwe, vielen Dank für das Gespräch.
Uwe Witt ist klima- und energiepolitischer Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung
Auch interessant:
Das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, wird immer schwieriger. Warum es dazu eine transformative Industriepolitik braucht und warum es irrsinnig ist, Uran und Gas als umweltgerechte Energiequellen einzustufen, erklärt Roland Kulke von „transform! europe“ im Gespräch mit Betrieb & Gewerkschaft. Hier geht es zum Interview: Europäische Industriepolitik in Zeiten des Klimwandels
Aufrüstung und Klimaschutz passen nicht zusammen, meint unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler. Allein in Deutschland fallen bei der Produktion von Waffen jährlich 32.000 Tonnen CO2 an. Ihr Fazit: Das 100 Mrd. Euro schwere Sondervermögen ist ein Konjunkturgeschenk an die Rüstungsindustrie, das die Klimazerstörung vorantreiben wird. Aufrüstung ist daher auch aus ökologischen Gründen falsch. Hier geht es zum Beitrag: Klima und Energiesicherheit in der Zeitenwende