Es wäre fatal, wenn durch ein BGE sozialstaatliche Leistungen wie Kinder-, Kranken-, Blinden- oder Wohngeld wegfallen würden, schreibt Susanne Ferschl. Unterschiedliche Belastungen machen unterschiedliche Leistungen notwendig. Rufe nach einem BGE sind auch Folge eines Vertrauensverlustes in den Sozialstaat, der brüchig geworden ist und längst nicht mehr alle so absichert, wie es notwendig wäre. Politische Angriffe auf diesen dürfen aber nicht dazu führen, dass darin verbriefte Solidaritätsprinzip als Grundsatz in Frage zu stellen. Stattdessen sollten wir seine Stärke herausstellen: durch eine angemessene soziale Sicherung und gerechte Finanzierung.
von Susanne Ferschl
„Die Idee des Geldes ohne Gegenleistung bekommt neuen Aufwind“, schreibt DIE WELT und greift damit eine aktuelle Diskussion derjenigen auf, die Corona zum Anlass für einen Modellversuch nehmen wollen, um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) kurzfristig und zeitlich befristet einzuführen. So forderte es kürzlich eine Petition an den Bundestag. Begründet wird die Idee mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Und auch die BAG Grundeinkommen der Partei DIE LINKE schwärmt für ein temporäres Grundeinkommen, weil „Millionen von Menschen (…) durch Corona in ihrer Existenz bedroht (…), aber durch den bestehenden Sozialstaat und die geschaffenen Hilfsmaßnahmen nicht ausreichend“ abgesichert seien.
Dieser Sicht auf die Auswirkungen der Krise ist zuzustimmen. Die Corona-Pandemie schafft eine Situation sozialer Verwerfungen, die in der Geschichte der Bundesrepublik einmalig ist. Zahlreiche Branchen sind in Schwierigkeiten: Freiberuflerinnen und Freiberufler, Konzertveranstalter, Theater, Hotels, der Gastronomiebereich, Clubs, die Tourismusbranche oder Teile des Einzelhandels. Mehr als sieben Millionen Menschen sind in Kurzarbeit, immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Betriebsschließungen oder Massenentlassungen bedroht.
Wunsch und Wirklichkeit
Doch dem Wunsch nach sozialer Absicherung wird ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht gerecht. Es orientiert sich nämlich nicht an Menschen, die in eine sozial prekäre Lage geraten sind, sondern soll völlig unterschiedslos allen gezahlt werden – unabhängig davon, ob eine Bedürftigkeit vorliegt oder nicht. Das hat mit sozialer Gerechtigkeit nichts zu tun, sondern ist Ausdruck sozialer Gleichgültigkeit. Brauchen Land- und Bundestagsabgeordnete wirklich ein zusätzliches Grundeinkommen? Ihre Diäten werden ungekürzt und in voller Höhe weitergezahlt. Auch Einkommensmillionäre rutschen in Folge der Rezession nicht in die Existenzlosigkeit. Die Geschwister Quandt haben sich während des Lockdowns mehr als eine Milliarde Euro an Dividenden ausschütten lassen. Nicht einmal der BMW-Vorstandschef Harald Krüger ist auf ein bedingungsloses Grundeinkommen angewiesen – seine jährliche Vergütung ist kürzlich auf 8,3 Millionen Euro angehoben worden.
Während also die Beschäftigten durch Corona Monat für Monat weniger in ihrer Lohntüte haben oder befürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, streicht das Management weiter ungeniert die Gewinne ein – bei BMW und in vielen anderen Betrieben auch. An dieser Ungerechtigkeit ändert ein bedingungsloses Grundeinkommen nichts. Ganz im Gegenteil: Es behandelt alle gleich und nennt das auch noch soziale Gerechtigkeit. Es eignet sich deshalb nicht als linkes Rezept gegen die Krise. Statt eine ungerechte Idee sozial auszuschmücken, muss der Sozialstaat krisenfest gemacht und so ausgebaut werden, dass er gegen Risiken absichert, angemessen weiterbildet oder sinnvoll umschult.
Aber natürlich ist die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen auch Folge eines Vertrauensverlustes in den Sozialstaat. Er ist in den letzten Jahren brüchig geworden, weil er längst nicht mehr alle in der Form absichert, wie es eigentlich notwendig wäre. Auslöser war die Agenda 2010. Sie hat mit dem Hartz IV-System Armut in Gesetzesform gegossen. Menschen ohne Arbeit werden durch Bedürftigkeitsprüfungen drangsaliert, sie werden durch die Androhung von Leistungskürzungen diszipliniert und durch Zumutbarkeitskriterien gezwungen, jede Arbeit – und sei sie noch so mies – anzunehmen. Statt Armut zu bekämpfen, stabilisiert das den Niedriglohnsektor und schafft neue Armut. Mit sozialer Absicherung hat das nichts zu tun. Ebenso wenig wie die Ausweitung von Befristungen, die Liberalisierung von Leiharbeitsverhältnissen, die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters oder die Absenkung des Rentenniveaus. All das aber war keine schicksalhafte Entwicklung, sondern Folge konkreter politischer Entscheidungen. Diese Entscheidungen können und müssen rückgängig gemacht werden.
Das Aus für den Sozialstaat?
Zum Gründungskonsens der LINKEN gehört die gemeinsame Empörung über die Agenda 2010. Wir waren Teil der Montagsdemonstration gegen Hartz IV und Kern der gewerkschaftlichen Opposition gegen die Schaffung eines Niedriglohnsektors. Kurz: DIE LINKE hat sich gegründet mit dem Ziel, die soziale Sicherung wieder so auszubauen, dass niemand durch das Raster fällt, sondern in Würde leben kann. Deshalb haben wir den Mindestlohn als Lohnuntergrenze gefordert und auf der Straße wie im Parlament so viel Druck gemacht, dass die Bundesregierung seine Einführung nicht länger verweigern konnte. Gegen das menschenunwürdige Hartz IV-System setzen wir die Sanktionsfreie Mindestsicherung. Sie soll sicherstellen, dass niemand von weniger als derzeit 1.050 Euro netto im Monat leben muss. Gegen die Altersarmut haben wir die Solidarische Mindestrente ebenfalls in Höhe von derzeit 1.050 Euro netto. Wir fordern eine bedarfsdeckende Kindergrundsicherung, einen Zuschlag für Kinder aus armen Familien, die Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten und schließlich die Anerkennung einmaliger und besonderer Bedarfe.
All das sind steuerfinanzierte Mindestsicherungen, die dort wirken sollen, wo die beitragsfinanzierten Sozialversicherungssysteme nicht greifen. Beide Versicherungssysteme gilt es allerdings deutlich zu stärken. Der Angriff auf den Sozialstaat – damals durch die Agenda 2010, heute durch den Versuch die Sozialabgaben zu Lasten der Beschäftigten zu deckeln – darf nicht dazu führen, dass der Sozialstaatsgedanke als Grundsatz in Frage gestellt wird. Stattdessen muss seine Stärke herausgestellt werden: durch eine angemessene soziale Sicherung und gerechte Finanzierung.
Das bedingungslose Grundeinkommen und der Ausbau des Sozialstaates sind keine sich ergänzenden Konzepte, auch wenn sich viele Befürworterinnen und Befürworter des BGE das vermutlich wünschen. Sie stehen vielmehr klar gegeneinander. Denn einerseits bricht ein bedingungsloses Grundeinkommen mit dem sozialstaatlichen Prinzip, dass denen geholfen werden muss, die es brauchen. Andererseits wäre ein wirklich existenzsicherndes Grundeinkommen von 1.200 Euro monatlich, wie die BAG Grundeinkommen vorschlägt, unter Beibehaltung eines funktionierenden Sozialstaates nicht zu finanzieren. Ein solches Grundeinkommen würde jährlich ca. eine Billion Euro kosten. Das ist mehr als Bund, Länder und Kommunen momentan zur Verfügung haben. Eine derartig große Summe könnte also bestenfalls nur über eine Streichung von Sozialleistungen aufgebracht werden, was das faktische Aus für den Sozialstaat wäre.
Die Agenda der Arbeitgeber
Doch es wäre fatal, wenn plötzlich sozialstaatliche Leistungen wie Kindergeld, Krankengeld, Blindengeld, Schwerbehindertenzuschläge oder Wohngeld wegfallen würden. Denn unterschiedliche Belastungen machen unterschiedliche Leistungen notwendig. Weil die Lebenshaltungskosten in Rostock niedriger sind als in München oder weil akute oder chronische Erkrankungen eine gesonderte medizinische und finanzielle Unterstützung erforderlich machen. Mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens würden alle gleichbehandelt werden, obwohl Blinde, Menschen mit Behinderung oder alte Menschen höhere Aufwendungen haben. Sozial gerecht ist es, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln und zu unterstützen, wo es notwendig ist.
Gegenwärtig fordern die Arbeitgeber, die Sozialbeiträge dauerhaft und trotz oder gerade wegen Corona unter 40 Prozent zu halten und das obwohl sie davon ausgehen, dass die Sozialbeiträge eigentlich auf eine Größenordnung von etwa 50 Prozent steigen müssten, um die Krisenkosten stabil zu finanzieren. Hier zeigt sich, dass sie sich einseitig aus der Finanzierung herausziehen wollen.
Mit der Orientierung auf ein bedingungsloses Grundeinkommen würde DIE LINKE dem Druck der Arbeitgeber nichts entgegenstellen, sondern die Türen weit aufmachen. Es wäre vermutlich der Einstieg in den Ausstieg aus dem Sozialstaat.
Hinzu kommt, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen den Niedriglohnsektor ausweiten und Armut verfestigen würde. Arbeit hätte dann nur noch den Charakter eines Zuverdienstes, denn Arbeitgeber wären noch viel weniger in der Verantwortung, existenzsichernde Löhne zu zahlen. Es ist kein Zufall, dass auch neoliberale Hardliner, wie Götz Werner oder Carsten Maschmeyer, die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens befürworten. Darüber hinaus wäre es ein enormer Angriff auf die gewerkschaftliche Organisationsmacht. Einem Streik, dessen Ziel nicht mehr die Existenzsicherung, sondern die Erhöhung des Zuverdienstes ist, fehlt es an Kraft. Denn Beschäftigte ziehen ihren Stolz und ihr Selbstbewusstsein dann nicht mehr aus den erfolgreichen Kämpfen für eine Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen, sondern werden zu staatlichen Almosenempfängern degradiert.
Sozialstaat schützen und Sicherung ausbauen
Insbesondere in der Krise müssen die Angriffe der Arbeitgeber abgewehrt werden. Gleichzeitig verlangt die Finanzierung des Sozialstaates neue Antworten, denn durch die Corona-Krise leeren sich die Kassen der Sozialversicherungen. Leistungskürzungen und eine einseitige Belastung der Beschäftigten sind aus linker Sicht nicht akzeptabel. Um die Sozialversicherungssysteme zu stärken, müssen sie dafür auf andere Beine gestellt werden. Privatisierungen müssen rückgängig gemacht und die beitragsfinanzierten Bereiche ausgebaut werden. Dies gelingt, indem die Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung umgebaut wird, in die beispielsweise auch Abgeordnete und Selbständige einbezahlen und indem bei der Krankenversicherung auch andere Einkommensarten, wie Kapitalerträge, herangezogen werden. Darüber hinaus müssen die Beitragsbemessungsgrenzen an- bzw. perspektivisch aufgehoben werden, auch hier muss selbstverständlich sein, dass starke Schultern mehr tragen als schwache.
Wenn wir mit diesem Anspruch den Sozialstaat ernst nehmen, bedeutet das – konsequent zu Ende gedacht -, dass die Arbeitgeber stärker in die Verantwortung genommen werden müssen. Eine Orientierung am Nachbarland Österreich, wo die Arbeitgeberseite einen höheren Beitrag in die Rentenversicherung einzahlt als die Beschäftigten, könnte hier hilfreich sein. Es müssen nicht nur die Löhne rauf, sondern es müssen sich vor allem die gewinnstarken Unternehmen über höhere Beiträge stärker an der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme beteiligen. Wer sich in der Krise so weich in die Rücklagen der Arbeitslosenversicherung fallen lässt, um Lohnkosten einzusparen, wie es die Unternehmen in Deutschland getan haben, muss sich im Aufschwung auch daran beteiligen, die Kassen wieder aufzufüllen.
Es braucht neue sozialstaatliche Impulse, um eine weitere Abtragung des Sozialstaates zu verhindern. Dabei gilt das Grundversprechen, dem sich DIE LINKE verpflichtet fühlt: Jeder Mensch hat einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen. Aber ein Sozialstaat der Zukunft muss über die reine Funktion der Mindestsicherung darauf abzielen, die Rechte der Beschäftigten zu stärken. Ein Grundeinkommen – bedingungslos und bedürfnisunabhängig – wird uns dabei nicht behilflich sein. Es ist ein Bruch mit der Idee der Sozialstaatlichkeit und wird soziale Ungerechtigkeit zementieren.
Susanne Ferschl ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende von DIE LINKE im Bundestag und Leiterin des Arbeitskreises »Arbeit, Gesundheit und Soziales« Zudem ist sie Landessprecherin der AG Betrieb & Gewerkschaft in Bayern.
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Download und Bestellmöglichkeiten der Broschüre sowie weitere Argumente findet ihr hier: www.grundeinkommen-kritik.org
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