Es braucht Druck von unten, um Arbeitgebern und Bundesregierung weitere Zugeständnisse abzuringen, schreibt unsere Bundessprecherin Heidi Scharf in ihrer Bewertung zum Tarifabschluss der Metall- und Elektroindustrie. Gibt es kommenden Juni 5,2 Prozent mehr Geld, sind seit der letzten tabellenwirksamen Erhöhung bereits 62 Monate vergangen. Das schlägt sich durch auf Urlaubsgeld, betriebliche Sonderzahlungen oder Schichtzuschläge. Aber auch wenn mit dem Abschluss die Tarifverträge für die Beschäftigten immer komplizierter werden, war dessen Durchsetzung nur möglich, weil sich bundesweit rund 900.000 Metallerinnen und Metaller an den Warnstreiks beteiligt haben.
Von Heidi Scharf
Die Tarifparteien in der Metall- und Elektroindustrie haben sich letzte Woche in Baden-Württemberg geeinigt. Das Verhandlungsergebnis sieht wie folgt aus:
- Bis 02/2023 erfolgt Auszahlung erster Inflationsausgleichsprämie i.H.v. 1.500 Euro
- In 06/2023 erhöhen sich die Entgelte um 5,2 Prozent
- Bis 02/2024 erfolgt Auszahlung zweiter Inflationsausgleichsprämie von ebenfalls 1.500 Euro
- In 05/2024 erhöhen sich die Entgelte um weitere 3,3 Prozent
Das war nur möglich, weil die Kampfkraft der Beschäftigten in den vergangenen Wochen ständig zunahm. Bundesweit haben sich rund 900.000 Metallerinnen und Metaller an den Warnstreiks beteiligt. Das ist ein sehr gutes Zeichen gewesen und hat viel Druck auf die Arbeitgeber gemacht. Ohne diesen Druck hätten sich die „sturen Mittelständler“ wohl kaum bewegt.
Denn neu war bei dieser Tarifrunde, dass nicht mehr die Spitzen von SüdwestMetall (Arbeitgeberverband) mit der IG Metall Bezirksleitung verhandelt haben, sondern die zweite und dritte Garde der Arbeitgeber. Das sind vor allem die mittelständischen Industrievertreter. Sie wollten es besser machen als die bisherigen Verhandlungsführer. Für die IG Metall bedeutete das, sich innerhalb weniger Minuten auf eine neue Situation in der Verhandlungsführung einzustellen.
Der Tarifvertrag läuft nun vom 1.10.2022 bis 30.09.2024. Das entspricht einer Laufzeit von 24 Monaten. In der Metall- und Elektroindustrie ist dies jedoch keine neue Entwicklung. Darüber hinaus gibt es bereits einzelne Zusatz-Tarifverträge (Trafobaustein erhöht sich 2022 auf 18,4 Prozent und der T-ZUG beträgt 27,5 Prozent des individuellen Monatseinkommens) – aber diese Beträge gehen nicht die die Tabelle ein. Der aktuelle Tarifabschluss bedeutet auch, dass wenn zum 1. Juni 2023 die Tabellen um 5,2 Prozent erhöht werden, seit der letzten tabellenwirksamen Erhöhung 62 Monate vergangen sind. Das ist eine lange Zeit, schließlich hängt von der Höhe der Tabelle auch die Höhe des Urlaubsgeldes, der betrieblichen Sonderzahlung (Weihnachtsgeld), der Schicht- und Überstundenzuschläge sowie die Höhe der Beträge in einzelnen Zusatztarifverträgen (T-ZUG und Trafobaustein) ab. Vor allem aber werden mit solchen Abschlüssen die Tarifverträge für die Beschäftigten immer komplizierter.
Konzertierte Aktion
Außerdem gab es das Angebot der Bundesregierung, bis zu 3.000 Euro brutto für netto in die Tarifrunde einfließen zu lassen. Dieses Angebot hat die Beschäftigten nicht beeindruckt. Ihnen ging es vor allem um die Tabellenerhöhung und die Warnstreiks mit über 900.000 Beschäftigen haben dies auch gezeigt. Sie wissen, dass diese 3.000 Euro vor allem die Arbeitgeber entlasten, sowohl bei Steuern als auch bei Sozialversicherungsbeiträgen. Das gilt zwar auch für die Beschäftigten, hat aber trotzdem auch Nebenwirkungen. Die Beträge gehen nicht in eine Tabellenerhöhung und es gibt auch keine Beitragseinzahlung in die Sozialversicherung (Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) ein, weder durch die Arbeitgeber, noch durch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Besser wäre es gewesen höhere Tabellenergebnisse zu erzielen, als sich mit solchen Einmalzahlungen abspeisen zu lassen. Allerdings hätten dann die Erhöhungen mindestens doppelt so hoch sein müssen. Ein kleines Trostpflaster ist, dass die 3.000 Euro für die unteren Einkommensgruppen wesentlich mehr Geld im Verhältnis zum Monatsgrundlohn ist, als für die hohen Einkommensbeziehenden.
Allerdings kann bei den derzeitigen Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Mieten, Gas- und Strom ein Inflationsausgleich mit diesem Tarifabschluss nicht erreicht werden. Auch die lange Laufzeit von 24 Monaten ist ein hoher Preis. Derzeit weiß niemand, wie sich die Inflation entwickelt. Ein Abschluss nur für 12 Monate wäre aufgrund der Lage sicher optimal gewesen. So ist nun wieder Ruhe eingekehrt und die Arbeitgeber können weiter Profite maximieren und die Beschäftigten hinken hinterher.
Deshalb braucht es auch weiterhin Druck inner- und außerhalb der Betriebe. Denn nur der Druck von unten kann den Arbeitgebern und auch der Bundesregierung weitere Zugeständnisse vor allem für die Menschen mit niedrigen Einkommen abringen.
Heidi Scharf ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft und war bis zu ihrem Renteneintritt die 1. Bevollmächtigte der IG Metall in Schwäbisch Hall.
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