Von Ulrike Eifler, Susanne Ferschl und Jan Richter
In einem gemeinsamen Beitrag für die April-Ausgabe der Zeitschrift Sozialismus schreiben Ulrike Eifler, Susanne Ferschl und Jan Richter, dass DIE LINKE es schaffen muss, aus dem destruktiven Streit über Waffenlieferungen, Sanktionen und den Krieg in der Ukraine eine produktive strategische Diskussion über eine linke Friedenspolitik im 21. Jahrhundert zu machen. Viel Zeit bleibt dafür nicht. Der nächste Bundesparteitag ist im November. Ob die Partei eine Zukunft hat, entscheidet sich in den nächsten acht Monaten.Wir spiegeln den Beitrag auf unserer Seite.
Die Partei DIE LINKE steht vor einem besorgniserregenden Zerfallsprozess. Die mangelnde Aufarbeitung der schlechten Wahlergebnisse in den letzten Jahren hat eine in sich verkantete innerparteiliche Strategiedebatte ausgelöst. Da diese von der Parteispitze weder organisiert noch eingebettet wird, kommt sie über das Niveau eines destruktiven Streits nicht hinaus und wird deshalb auch die notwendige strategische Klärung nicht herbeiführen. Die immer akuter werdende gesellschaftliche Krisensituation und die knappe Zeit, auf drängende Fragen Antworten zu entwickeln, beschleunigen diese Entwicklung zudem. Immer deutlicher wird dabei: DIE LINKE muss es schaffen, aus dem destruktiven Streit über Waffenlieferungen, Sanktionen und den Krieg in der Ukraine eine produktive strategische Diskussion über eine linke Friedenspolitik im 21. Jahrhundert zu machen. Viel Zeit bleibt dafür nicht. Der nächste Bundesparteitag ist im November. Ob die Partei eine Zukunft hat, entscheidet sich in den nächsten acht Monaten.
Krisensymptome der Partei
Dass sich DIE LINKE nicht in einer schnell wieder vorübergehenden, sondern in einer existentiellen Krise befindet, zeigt sich an schlechten Wahlergebnissen ebenso wie an einer offenkundigen Strategielosigkeit. Das schlechte Abschneiden bei Wahlen und ein starker Zustimmungsverlust vor allem bei Arbeitern, Arbeitslosen und Rentnern ist nie richtig aufgearbeitet worden. Beides wurde in den Wahlanalysen der Partei festgestellt, beklagt und anschließend abgeheftet. Eine Analyse, die nach Gründen und Schwerpunktsetzung fragt und zu einer spür- und auch sichtbaren Kursänderung führt, ist seit der Europawahl ausgeblieben. Dass eine gründliche Auseinandersetzung mit den sich daraus ergebenen Fragen auch durch die Abteilung Strategie und Grundsatz nicht erfolgte, ist vielleicht der deutlichste Hinweis darauf, wie wenig DIE LINKE mit strategischen Fragen überhaupt noch operiert. Doch eine Partei, die verlernt hat, sich strategisch zu verorten, bekommt Probleme in Zeiten, in denen sich verschiedene Krisenkomplemente zu einer komplexen Vielfachkrise zusammenschieben: Ein Strukturwandel, der nicht nur einzelne Bereiche der Industrie sondern die gesamte Arbeitswelt betrifft, eine Gesundheitskrise, neue soziale Verwerfungen, der Klimakollaps und ein drohender Atomkrieg drängen mit Nachdruck auf linke Antworten. Die gesellschaftliche Krisensituation wird so zum Katalysator für das strategische Dilemma der Partei. Das ausbleibende Angebot einer linken Sichtweise auf diese komplexe gesellschaftliche Krisensituation verschärft den politischen Ruck nach rechts und macht den innerparteilichen strategischen Klärungsprozess noch schwieriger.
Seinen Kulminationspunkt erreichte dieses Dilemma in der Diskussion um das „Manifest für Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Kleinster gemeinsamer Nenner war hier: Verhandlungen statt Waffenlieferungen. Andernfalls, so die Einschätzung der Initiatorinnen, besteht die Gefahr, dass wir „unaufhaltsam auf die Rutschbahn Richtung Weltkrieg“ geraten. Nach einer Woche hatten bereits 500.000 Menschen das Manifest unterzeichnet, 50.000 waren dem Aufruf zur Kundgebung am Brandenburger Tor gefolgt. Doch was viele Menschen mobilisierte, sorgte innerhalb der LINKEN für Streit. Während Gregor Gysi den Aufruf unterschrieb, distanzierte sich Bodo Ramelow von der Initiative. Während es der Parteivorstand ablehnte, zu einer Teilnahme an der Kundgebung aufzurufen, mobilisierten Parteigliederungen nach Berlin. Darunter die Landesverbände Bayern und Niedersachsen, die Kommunistische Plattform, die BAG Betrieb & Gewerkschaft, die BAG Selbstbestimmte Behindertenpolitik, die Sozialistische Linke oder der Studierendenverband SDS.
Kern des Streits
Kern des Streits war die Behauptung, der Protest sei nach rechts offen und es gehöre zum antifaschistischen Selbstverständnis der Partei, nicht gemeinsam mit AfD-Funktionären, Reichsbürgern und der Identitären Bewegung zu demonstrieren. Dabei wurde völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die AfD keine Friedenspartei sei. So hatte Gründungsvater Alexander Gauland bereits 2012 im Tagesspiegel geschrieben: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden (…), sondern durch Eisen und Blut.“ Zudem stellt sich die AfD programmatisch bewusst in die Tradition des deutschen Militarismus. Sie bekennt sich zum Zwei-Prozent-Ziel der NATO. Sie ist für die Wiedereinführung der Wehrpflicht, und immer wieder brandet innerparteilich die Forderung nach „Atomwaffen für Deutschland“ auf. Und nach der Zeitenwenden-Rede von Olaf Scholz verwies Haushaltspolitiker Michael Espendiller darauf, dass die AfD bereits in der letzten Legislaturperiode auf eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes und eine bessere Ausrüstung der Bundeswehr gedrängt habe.
Obwohl die AfD mit diesen Positionen den extremsten Flügel des deutschen Militarismus markiert, versucht sie sich seit einiger Zeit als Friedenspartei zu inszenieren. Der Grund: Der Kampf um die Deutungshoheit in der Friedenfrage ist der Versuch, die Friedensbewegung inhaltlich zu schwächen und politisch zu spalten. So muss auch die öffentlichkeitswirksame Unterzeichnung des „Manifests für Frieden“ durch Tino Chrupalla eingeordnet werden. Eine Abgrenzung nach rechts macht die Friedensbewegung daher resilienter und stärker gegen rechte Vereinnahmungsversuche und schärft die friedenspolitischen Positionen in der politischen Auseinandersetzung. Aus gutem Grund haben sich die Initiatoren daher von rechten Vereinnahmungsversuchen distanziert. „Rechtsoffen“ waren weder die Kundgebung noch das Manifest.
Opportunismus und Sektierertum
In zugespitzten gesellschaftlichen Krisensituationen hängt linke Handlungsfähigkeit nicht selten zwischen Opportunismus und Sektierertum fest. Dieses Dilemma prägt auch die innerparteiliche Debatte um die Teilnahme an der Kundgebung vorm Brandenburger Tor. Wagenknecht distanzierte sich auch auf Druck ihrer eigenen Partei mehrfach von rechts. Der Vorwurf der mangelnden Abgrenzung, den die Parteispitze der LINKEN gegenüber Wagenknecht erhob, war falsch. Dennoch unterschätzte Wagenknecht die Gefahr der AfD für die Friedensbewegung, indem sie zwischen der AfD einerseits und der extremen Rechten andererseits unterschied.
Demgegenüber steht die Position des Parteivorstandes, die geprägt war von einer Überhöhung der eigenen antifaschistischen Grundhaltung. Pazifismus und Antifaschismus wurden einander gegenübergestellt und moralisch aufgeladen. Als Gewerkschafter demonstriere man nicht mit Nazis, sondern gegen sie, musste sich beispielsweise die BAG Betrieb & Gewerkschaft auch von Mitgliedern des Parteivorstandes anhören, nachdem der BundessprecherInnenrat beschlossen hatte, den Zusammenschluss zur Teilnahme an der Kundgebung aufzurufen. Die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert nannte den Aufruf, den mit Christoph Butterwegge und Gerhard Trabert immerhin zwei Bundespräsidentenkandidaten der Partei unterschrieben hatten, „querfronttauglich“. Obwohl sich neben Wagenknecht weitere Initiatoren von den rechten Vereinnahmungsversuchen distanzierten, wurde in der parteiinternen Debatte der Begriff der Querfront, der eine organisierte Zusammenarbeit zwischen links und rechts beschreibt, völlig zu Unrecht aufrechterhalten. ‚Nieder wieder Krieg!‘ und ‚Nie wieder Faschismus!‘ gehören für DIE LINKE zusammen! – mit diesem Satz wurde das Denken in und das Arbeiten mit Widersprüchen, das Ringen um Argumente und Ausrichtungen einem rhetorischen Bekenntnis zum Antifaschismus untergeordnet. Dabei wurde übersehen: Wenn eine antifaschistische Grundhaltung dazu genutzt wird, die Partei zu demobilisieren, dann bleibt diese Grundhaltung folgenlos, weil sie weder die Friedensbewegung noch die Partei gegenüber rechten Unterwanderungsstrategien handlungsfähig macht, sondern im Gegenteil, das Zepter des Handelns der Rechten überlasst.
Programmatischer Streit
Hinter den Auseinandersetzungen über das „Manifest für Frieden“ steckt aber auch ein programmatischer Streit um die friedenspolitischen Positionen der Partei. Insbesondere das parteiinterne Forum demokratischer Sozialismus drängt schon seit längerem auf eine Aufweichung der friedenspolitischen Grundsätze, wie sie im Erfurter Programm festgelegt wurden. Vor dem Hintergrund von Regierungsbeteiligungen soll die Bündnisfähigkeit durch eine Annäherung der eigenen friedenspolitischen Positionen an die von SPD und Grünen unter Beweis gestellt werden. Nicht zufällig sind es die Landesverbände, die an rot-rot-grünen Regierungen beteiligt sind, die sich innerparteilich, aber auch öffentlich wahrnehmbar am vehementesten für Waffenlieferungen aussprechen: Klaus Lederer und Katina Schubert für die Berliner LINKE und Bodo Ramelow für DIE LINKE in Thüringen. Und der Landessprecher der LINKEN in Bremen, Christoph Spehr, prägt sogar den Begriff des „pazifistischen Bellizismus“, um die Kritik an Waffenlieferungen zu diskreditieren.
Vor dem Hintergrund der gescheiterten Fortsetzung der rot- grün-roten Zusammenarbeit in Berlin scheinen sich diese Positionen zusätzlich zu radikalisieren. Die Berliner Sozialsenatorin Katja Kipping beispielsweise nennt die Kritik der LINKEN an der NATO und die Forderung nach einem kollektiven Sicherheitsbündnis unter Einschluss von Russland „aus der Zeit gefallen“ und diffamiert alle innerparteilichen Kritiker von Waffenlieferungen öffentlich als „Russia-Today-Fraktion“. Und der Chef der Thüringer Staatskanzlei Benjamin Immanuel Hoff und der Staatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung Alexander Fischer riefen erneut dazu auf, „die pathologische Abneigung und das notorische Eindreschen auf die SPD zu überwinden“. Stattdessen forderten sie programmatische Veränderungen: „… für DIE LINKE stehen Klärungsprozesse an, die weit über den bundespolitisch anstehenden Häutungsprozess von der Fixierung auf die Zerstörungsmission Sahra Wagenknechts und ihrer Anhänger:innen hinausgehen.“
Politische Polarisierung
Die Orientierung des Regierungsflügels auf eine stärkere Zusammenarbeit mit SPD und Grünen erfolgt in einer Zeit, in der die SPD in Berlin der Linken den Stuhl vor die Tür stellt, in Bundestagsdebatten die friedenspolitischen Initiativen der Linksfraktion diffamiert und treibende Kraft in einer Wahlrechtsreform war, die unter anderem zum Ziel hat, die linke Opposition aus dem Parlament herauszudrängen. Sie erfolgt in einer Zeit, in der die SPD-Spitze friedenspolitisch keinerlei Haltung zeigt und die Grünen beinahe täglich eine neue bellizistische Metamorphose vornehmen. Dass sich mit der Kriegsfrage perspektivisch tiefe soziale Einschnitte verbinden, zeigt die Blockade der FDP bei der Kindergrundsicherung ebenso wie die Diskussion, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu erhöhen oder der Hinweis des Verteidigungsministers Boris Pistorius, der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst würde die Spielräume für die Modernisierung der Bundeswehr einschränken. Parteien, die sich nicht für ein schnelles Ende des Krieges auf dem Verhandlungswege aussprechen, werden sich einer Politik sozialer Grausamkeiten nicht entziehen können.
Hand in Hand mit Politikern der Regierungsparteien bis hin zu Kathrin Göring-Eckhardt, Christian Lindner oder Robert Habeck bemühte sich die mediale Berichterstattung mit einer einseitigen und diffamierenden Berichterstattung darum, die Sorge vor Waffenlieferungen ebenfalls öffentlich zu diskreditieren. Er sehe in dem Aufruf „das schwarze Herz der Leninistin“, schrieb Jan Fleischhauer in einer Kolumne für den Focus. Das Redaktionsnetzwerk argumentierte, dass Wagenknecht eine „Gefahr für die Demokratie“ sei, der baden-württembergische Finanzminister spricht von der „hässlichsten Fratze Deutschlands“ und Comedian Bastian Bielendorfer nennt Wagenknecht einen „menschlich komplett verdorbenen Zellhaufen.“ Die zugespitzte politische Diskussion spiegelt die offenkundige Angst der Regierungsparteien vor einer schwindenden Zustimmung zum Krieg wider.
Für oder gegen den Krieg
Die politische Polarisierung zeigt: Die Kritik an Waffenlieferungen muss der Kern linker Friedenspolitik sein. DIE LINKE darf mit dieser Forderung nicht hadern, sondern muss aus sicherheits- ebenso wie aus verteilungspolitischen Gründen dagegen sein. Wie groß das Eskalationspotential in diesem Krieg ist, zeigt sich daran, wie sehr sich die Debatte über Waffenlieferungen bereits verändert hat. Schloss die Bundesregierung anfangs die Lieferung schwerer Waffen noch aus, wird mittlerweile über die Lieferung von Langstreckenwaffen und Kampfjets diskutiert. Der ukrainische Außenminister Kuleba fordert sogar international geächtete Streumunition sowie Phosphor-Brandwaffen. Und der renommierte Journalist Josef Joffe geht soweit, den Verweis auf das atomare Eskalationspotential als Angstmache herunterzuspielen. „Schließlich der Atomhammer, den die Apologeten regelmäßig schwingen, ohne zu checken, dass sie so Putin in die Hände spielen. Er werde mit Atomwaffen um sich werfen, wenn der Krieg sich gegen ihn wende. Hier ersetzt die Angstmacherei die Analyse“, schreibt er in einem Gastkommentar für die Neue Züricher Zeitung.
Während die nunmehr 750.000 Unterschriften unter dem „Manifest für Frieden“ ein deutlicher Hinweis darauf sind, dass die Sorge vor einer Ausweitung des Krieges in der Bevölkerung wächst und die Zustimmung vieler Menschen zum außenpolitischen Kurs der Bundesregierung allmählich kippt, verstärkt das Vorpreschen von Schubert, Lederer oder Ramelow die politischen Orientierungsschwierigkeiten der Partei. Obgleich sich der Parteitag im Juni 2022 klar gegen Waffenlieferungen ausgesprochen hatte, heizen sie die Diskussion einseitig an und desorientieren die Mitglieder. Die beiden Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan haben sich stets gegen Waffenlieferungen ausgesprochen. Die Partei in der Friedensbewegung zu demobilisieren, wie dies in der Auseinandersetzung um die Teilnahme am 25.02. geschehen ist, leistet aber jenen Kräften Vorschub, die die friedenpolitischen Positionen der Partei entsorgen wollen. Nur eine klare Haltung des Parteivorstandes gegen Waffenlieferungen würde die Mitglieder orientieren und in der Friedensbewegung handlungsfähig machen sowie einem relevanten Teil der Bevölkerung eine Stimme geben.
Rosa Luxemburg
Schon Rosa Luxemburg sagte 1915: „Wir sind der Auffassung, dass Kriege nur dann und nur so lange geführt werden können, als die arbeitende Masse sie entweder begeistert mitmacht, weil sie sie für eine gerechte und notwendige Sache hält oder wenigstens duldend erträgt. Wenn hingegen die große Mehrheit des werktätigen Volkes zu der Überzeugung gelangt – und in ihr diese Überzeugung, dieses Bewusstsein zu wecken, ist gerade die Aufgabe, die wir Sozialdemokraten uns stellen – wenn, sage ich, die Mehrheit des Volkes zu der Überzeugung gelangt, dass Kriege eine barbarische, tief unsittliche, reaktionäre und volksfeindliche Erscheinung sind, dann sind Krieg unmöglich geworden.“
Das ist der Grund, warum sich Politiker von CDU und FDP bis hin zu SPD und Grünen negativ über die Initiative von Wagenknecht und Schwarzer geäußert haben und das ist der Grund, warum seit der Kundgebung vor allem Wagenknecht als Person öffentlich unter Beschuss steht. Bei aller Kritik an den Alleingängen von Sahra Wagenknecht, aber bei derartigen Angriffen ist es Aufgabe des Parteivorstandes, sich ohne zu Zögern vor die eigenen Mitglieder zu stellen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Angriffe auf Wagenknecht und die Berichterstattung über den desolaten Zustand der Partei DIE LINKE ein und dasselbe Motiv haben: all diejenigen, die vom kriegstreibenden Mainstream abweichen, zu diskreditieren und handlungsunfähig zu machen und günstigstenfalls noch DIE LINKE als Sahnehäubchen mitzuerledigen.
Was tun?
Bis zum Bundesparteitag im November bleibt noch ein gutes halbes Jahr. Diejenigen, die ein Interesse an der Weiterexistenz einer Partei links von SPD und Grünen haben – und die aktuelle Politik von SPD und Grünen zeigt wie notwendig das ist – sollten sich darüber im Klaren sein, was auf dem Spiel steht und dass zur Rettung der Partei nur wenige Monate bleiben. Nach dem Parteitag im November wird sich ein Zeitfenster schließen, das für die innerparteiliche Debatte jetzt weit offensteht. Die Politik der Demobilisierung muss durch eine innerparteiliche Debatte und eine breite Mobilisierung zu den Ostermärschen, zum 8. Mai oder zum Antikriegstag ersetzt werden. Diese Mobilisierung wird auch deswegen wichtig sein, weil der innerparteiliche Streit nicht aus seiner Verkantung herauskommt, solange er auf der programmatischen Ebene bleibt. Es braucht vielmehr gemeinsame Aktivitäten und gemeinsame Erfahrungen. Diese werden nicht zufällig zustande kommen, sondern müssen organisiert werden. DIE LINKE muss als Teil der gesellschaftlichen Linken einen Beitrag dazu leisten, dass der einseitigen Berichterstattung eine Diskussion um die Einordnung des Krieges und die aktuelle Krise als spezifisches Kräfteverhältnis zwischen den Klassen entgegengestellt wird. Dies könnte den innerparteilichen strategischen Diskurs befördern und den destruktiven Streit produktiv nach vorn auflösen. Der Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung Heinz Bierbaum schlägt daher völlig zu Recht eine bundesweite Strategiekonferenz vor.
Das Abarbeiten an der Person Wagenknecht und ihrem Umfeld muss ein Ende haben. Nicht alles, was die eigenen Genossen sagen, ist falsch. Um Fehleinschätzungen und falsch gesetzte Schwerpunkte muss ein politischer Streit geführt werden, der das Ringen um die Argumente in den Vordergrund stellt, nicht den Kampf gegen einzelne Personen. Dabei müssen sich die Parteiführung ebenso wie das Umfeld um Wagenknecht darüber bewusst sein, dass eine Spaltung der LINKEN eine politische Katastrophe wäre. Die Folge wäre ein politisches Erdbeben. In einer Zeit, in der die AfD die Stärke hat, in Ostdeutschland die Ministerpräsidenten herauszufordern, würde DIE LINKE geschwächt in die Landtagswahlkämpfe in Thüringen und Sachsen ziehen. Mit der Spaltung würde ein Projekt scheitern, das 2007 mit so viel Stolz und Selbstermächtigung begann. Ein Projekt, das linken Gewerkschaftern eine Stimme gegen die Agenda 2010 der Schröderregierung zurückgab. Ein Projekt, das diejenigen wieder aufrichtete, die durch Hartz IV niedergedrückt wurden. Ein Projekt schließlich, das denjenigen ein friedenspolitisches Zuhause anbot, die es mit Beginn des Kosovokrieges bei SPD und Grünen verloren hatten. Nie war die Existenz einer Partei links von SPD und Grünen mit einem starken sozialpolitischen und einem starken friedenspolitischen Profil notwendiger als in diesen Zeiten von Krise und Krieg.
Ulrike Eifler und Jan Richter sind Sprecher*innen der BAG Betrieb & Gewerkschaft, dem offiziellen Zusammenschluss für Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der Partei DIE LINKE. Susanne Ferschl ist Vize-Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Mitglied der BAG. Die drei sind offiziell berufene Mitglieder des Gewerkschaftsrates der Partei.
Hier gibt es den Beitrag als Druckvorlage:
Eifler, Ferschl, Richter – Zukunft der Partei DIE LINKE (Zeitschrift Sozialismus, April 2023)
Auch zum Thema:
DIE LINKE ist in einem desolaten Zustand. Dass es so weit kommen konnte, ist auf tiefe gesellschaftliche Krisenprozesse, aber auch auf organisationspolitische Versäumnisse, Führungsschwäche sowie den Verzicht, die Welt der Arbeit zum Bezugspunkt linker Politik zu machen, zurückzuführen. In ihrem Beitrag für die aktuelle Ausgabe des Sozialismus sagen Ulrike Eifler, Susanne Ferschl und Jan Richter, dass dieser unzureichende Blick auf die Welt der Arbeit zu analytischen Schwächen und einer strategischen Ausrichtung führte, die an den Interessen der abhängig Beschäftigten oft vorbeiging. Ohne die Wiederaufnahme des Klassenkompass, so ihre These, ist die Krise der Partei nicht zu lösen. Hier geht es zum Beitrag: DIE LINKE braucht einen Klassenkompass