Alice Bernard ist in unserer belgischen Schwesterpartei seit 2011 für Betriebsgruppen und Gewerkschaftsfragen zuständig. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie es der Partei der Arbeit (PTB) gelungen ist, ihre gewerkschaftliche Verankerung auszubauen und zu festigen. Das Interview hat unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler geführt.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Liebe Alice, die PTB ist nicht nur bei Wahlen sehr erfolgreich, sondern verfügt auch über eine relativ große gewerkschaftliche Verankerung. Von den etwa 16.000 Parteimitgliedern sind 3.000 in Betriebsgruppen aktiv. Warum ist euch die betriebliche Arbeit wichtig?
Alice Bernard: Nach unserem Verständnis spielt die Arbeiterklasse eine Schlüsselrolle, sowohl im Kampf für Sozialreformen als auch für eine andere Gesellschaft. Es sind die Beschäftigten, die den gesellschaftlichen Reichtum produzieren und über die Kenntnis modernster Produktions- und Planungstechnik verfügen. Gleichzeitig werden sie durch den kollektiven Produktionsprozess geformt, organisiert und diszipliniert. Außerdem stehen sie in der Tradition kollektiver Gegenwehr. Zusammengenommen machen all diese Gründe sie zu einer Klasse, die in der Lage ist, auch andere Schichten der Arbeiterbewegung in emanzipatorische Kämpfe einzubeziehen. Deutlich wurde dies im Februar diesen Jahres. Mit einem Generalstreik konnte die Regierung zu einer teilweisen Rücknahme der Rentenreform gezwungen werden.
Wie einfach ist es, Beschäftigte zu organisieren?
Es ist alles andere als einfach. Arbeitstempo und Arbeitsverdichtung haben zugenommen, ebenso prekäre Arbeit, Personalfluktuation und der Druck durch die Vorgesetzten. Das macht betriebliche und gewerkschaftliche Organisierung schwieriger. Doch in kollektiven Arbeitsprozessen entstehen auch Kooperation, Kameradschaft und Solidarität.
Und wie sieht eure betriebliche Arbeit konkret aus?
Wir haben Betriebsgruppen in Metallbetrieben, im öffentlichen Dienst, bei der Post oder Eisenbahn, aber auch im Einzelhandel, in Schulen, kommunalen Behörden, in Häfen und Krankenhäusern. Es gibt monatliche Treffen, auf denen die nächste Ausgabe der Betriebszeitung diskutiert oder eine Veranstaltung zu aktuellen Fragen organisiert wird. Das Anfertigen von Transparenten für die nächste Demo oder das Sammeln von Unterschriften gegen die Fernseh-Steuer kann dabei ebenso im Vordergrund stehen wie Stadtführungen, gemeinsame Ausstellungsbesuche oder Kinoabende. Zur Zeit sind wir im Wahlkampf. Das erhöht die politische Diskussion in den Betrieben. 2014 gelang es uns auf diesem Weg, die Wahlergebnisse zu beeinflussen.
Wie steht es um euren Einfluss in den Gewerkschaften?
Neoliberale Politik erfordert gewerkschaftliche Gegenmacht. Deshalb treten wir für die Stärkung der Gewerkschaften und eine offensive, konfliktorientierte und partizipative Gewerkschaftspolitik ein.
Was heißt das konkret?
Wir lassen beispielsweise Studien über die Reichtumsverteilung anfertigen, diskutieren diese in den Betrieben und veröffentlichen jedes Jahre eine Liste mit großbetrieblichen Steuersündern. Ähnlich verfahren wir mit Altersarmut, Pflege oder Energiepreisen. Wir wollen an der Unzufriedenheit und am Widerstand der Menschen anknüpfen und zeigen, dass neoliberale Politik nicht alternativlos ist. Das hat unser politisches Profil gegenüber den Gewerkschaften gestärkt. Unsere Fachpolitiker werden zu Vorträgen eingeladen und der Gewerkschafteranteil unter den Mitgliedern erreicht Rekordwerte. Insgesamt ist unsere Glaubwürdigkeit in den Gewerkschaften gestiegen.
Wer profitiert davon: Partei oder Gewerkschaft?
Für mich ist das kein Wettbewerb. Gewerkschaften spielen eine andere Rolle als Parteien. Die Partei organisiert alle, die eine andere Gesellschaft wollen, was leider (noch) nicht die Mehrheit ist. Die Gewerkschaft organisiert die Mehrheit der Beschäftigten als Klasse. Das ist eine wichtige Voraussetzung, um Kämpfe gemeinsam zu führen, gerade in Zeiten, in denen Kapitalstrategien auf Zersplitterung und Spaltung setzen. Deshalb gehören die Gewerkschaften im Kampf für sozialen Fortschritt, für Demokratie, Frieden und ökologischen Wandel in die erste Reihe. Sie zu stärken, ist zentral.
Vielen Dank für das Gespräch!