Linke Klassenpolitik in Zeiten der Transformation

Linke Klassenpolitik in Zeiten der Transformation

Antrag der Bundessprecherinnen und Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft an die Bundesdelegiertenkonferenz am 19. März 2022

Die sozialen und ökologischen Verwerfungen nehmen zu. Folgerichtig hat die Parteispitze darauf mit einem Papier zum Jahresauftakt reagiert. Wir begrüßen, dass die Vorsitzenden sich für eine linke Transformation aussprechen, die sozial UND klimagerecht ist. Unsere Antwort auf die drohende Klimakatastrophe ist eine sozial-ökologische Transformation, die den Klimaschutz in eine umfassende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft einbettet. Soziale und ökologische Kämpfe müssen zusammengeführt werden.

Unterschiedliche Transformationsprozesse

Diskussion und Aktivität der Partei müssen an den betrieblichen Realitäten anknüpfen. Dort zeigt sich schon seit längerem, dass sich die Arbeitswelt in einem tiefgreifenden Umbruch befindet, der weit über Klimafragen hinausgeht. Globalisierung und Digitalisierung wurden bereits in der Vergangenheit zum Rationalisierungsangriff genutzt. Mit der Pandemie verschärften sich diese Prozesse. Unterm Strich bleibt: Globalisierung, Digitalisierung UND Klimawandel werden zu Megatrends, die in bisher unbekannter Geschwindigkeit einen wirtschaftlichen Veränderungsprozess vorantreiben.

In den Autofabriken werden E-Autos hergestellt, was gelernten Mechatronikern völlig neue Fähigkeiten abverlangt. Im Einzelhandel werden Selbstscanner-Kassen und digitale Anproben eingesetzt, die den in Warenkunde und Beratungsgesprächen geübten Verkäufer überflüssig macht. Der Einsatz der elektronischen Patientenakte fordert die digitalen Kompetenzen des Pflegepersonals heraus und das Homeschooling die didaktischen Fähigkeiten des Lehrkörpers. In Bremen sitzen Müllmänner auf Autos, die mit Wasserstoff angetrieben werden. Bei Thyssenkrupp in Duisburg sollen die Hochöfen mittelfristig durch Direktreduktionsanlagen ersetzt werden. Und der Einsatz von KI für Datenanalysen und Bedarfsprognosen krempelt den gesamten Logistikbereich vollständig um. In jedem dieser Bereiche verändern sich die Anforderungen an den Tätigkeitsbereich. Sie befördern unter den Beschäftigten die Angst vor Entqualifizierung und Jobverlust, werfen aber für Gewerkschaften und Mitbestimmungsgremien auch die Frage nach höheren Eingruppierungen und mehr Gehalt auf.

DIE LINKE darf die Dynamik und die Gleichzeitigkeit dieser Veränderungsprozesse nicht unterschätzen. Sie muss diese vielmehr in den Blick nehmen. Es ist der größte Umbruch seit Beginn der Industrialisierung. Er verändert gesellschaftliche Kräfteverhältnisse und stellt DIE LINKE vor die Herausforderung, ihren Platz darin zu definieren.

Rolle der Beschäftigten

Den Beschäftigten kommt in diesem Prozess eine aktive Rolle zu. Beim ökologischen Umbau der Industrie geht es nicht nur um Umweltaspekte, sondern auch darum, wie die Zukunft der Arbeit aussieht und wer sie gestalten kann. Aber um die Arbeit von morgen überhaupt ökologisch, sozial und demokratisch gestalten zu können, braucht es neben mehr Betriebsräten auch deutlich mehr Mitbestimmung. Mit ihrem Konzept »Ahoi, Mitbestimmung« hat DIE LINKE im Bundestag jüngst einen Dreiklang von notwendigen Maßnahmen vorgelegt, um die betriebliche Mitbestimmung zukunftsfest zu machen und zur Demokratisierung der Arbeitswelt beizutragen.

So gehört beispielsweise die Förderung von Maßnahmen des betrieblichen Umweltschutzes längst zu den allgemeinen Aufgaben des Betriebsrates. Seine Beteiligung beschränkt sich allerdings auf Informations- und Unterrichtungsrechte. Gleichzeitig wird die Bedeutung des Umwelt- und insbesondere des Klimaschutzes immer größer, und alle gesellschaftlichen Akteure sind an dem Projekt der sozial-ökologischen Transformation zu beteiligen. Statten wir also den Betriebsrat hier mit einem erzwingbaren Mitbestimmungs- und damit Initiativrecht aus, wäre dieser in der Lage, Änderungen in der Produktion und der Unternehmensausrichtung oder Investitionen, die direkt oder indirekt umwelt- oder klimaschädliche Folgen haben können, zu stoppen oder abzuändern. Gleichzeitig kann er selbst Vorschläge machen, die die Umwelt- und Klimabilanz des Betriebes verbessern. So wirkt der Betriebsrat als umwelt- und klimapolitisches Korrektiv gegenüber dem Arbeitgeber und kann dabei darauf achten, die Interessen der Beschäftigten wirksam zu schützen.

Demokratische Prozesse hören nicht bei Wahlen auf und sind auch nicht beschränkt auf die Politik. Damit die Transformation nicht zu Lasten der Beschäftigten geht, sind sie in die Entscheidungsprozesse einzubinden. Hierzu braucht es eine Demokratisierung der Wirtschaft und eine Ausweitung wirtschaftlicher Mitbestimmung auf mehreren Ebenen: Beschäftigte sollen in Transformationsräten über die Verteilung von staatlichen Investitionsgeldern mitentscheiden können. Paritätisch besetzte Aufsichtsräte sollen die Interessen des Unternehmens und die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gleichermaßen vertreten. Aber auch Betriebsräte sollen bei der Dekarbonisierung der Betriebe mitbestimmen. So wird sichergestellt, dass einerseits alle Ideen und alles Wissen der Beschäftigten – den Experten vor Ort – für den Umbau der Wirtschaft zur Verfügung stehen und andererseits die Interessen der Kolleginnen und Kollegen nach guter Arbeit nicht übergangen werden.

Da sich der sozial-ökologische Umbau der Industrie in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht klassenneutral vollzieht, kommt der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Fragen die zentrale Rolle zu. Neben den bereits genannten Investitionsentscheidungen soll der Betriebsrat das Recht haben, bei Fertigungstiefen, Aus- und Verlagerungen, Schließungen von Betrieben und Betriebsteilen, Rationalisierungsvorhaben, neuen Arbeitsmethoden und Steuerungsmechanismen die Initiative ergreifen zu können. So werden Beschäftigte bei der bevorstehenden Transformation mitgenommen, prekäre Arbeit eingedämmt, Klima- und Umweltschutz in den Betrieben realisiert und die Digitalisierung im Sinne der Beschäftigten und auch des Allgemeinwohls vorangetrieben. Bei den wichtigen Zukunftsentscheidungen gebührt den Beschäftigten ein Platz am Verhandlungstisch. Ein Schritt von vielen auf dem Weg in eine gute Arbeitswelt von morgen, aber ein entscheidender. Klimaschutz geht nicht ohne gute Arbeit – und gute Arbeit braucht echte Mitbestimmung.

Für eine nachhaltige Industriepolitik

Die Komplexität des aktuellen Umbruchs besteht vor allem darin, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, um die fossile Energieproduktion durch Erneuerbare Energien zu ersetzen und den Umstieg vom Individual- auf den öffentlichen Nahverkehr zu organisieren. Industrielle Fertigungsprozesse spielen dabei eine wichtige Rolle, denn Windräder, Wasserstoffzüge oder Solarpanel müssen industriell hergestellt werden. Gleichzeitig muss aber eben diese Industrie nachhaltig umgebaut werden. Damit dieser Prozess zu einer Transformation im Interesse der Beschäftigten wird, braucht es ordnungspolitische Eingriffe und industriepolitische Strategien. Die Handlungsfähigkeit der LINKEN muss deshalb Strategien einer nachhaltigen Industriepolitik zur Grundlage haben.

Gleichzeitig gilt: Ohne Energiepolitik keine Industriepolitik. DIE LINKE muss sich deshalb differenziert mit den unterschiedlichen energiepolitischen Einschätzungen aus der Klimabewegung und den Gewerkschaften auseinandersetzen. Ein vorgezogener Kohleausstieg ist richtig und notwendig, um die Klimaschutzziele der Bundesrepublik Deutschland umsetzen zu können. Doch dieser Prozess vollzieht sich nicht widerspruchsfrei. 38 Prozent des deutschen Stroms stammen aus der Kohleverstromung. Wenn Kohlestrom und Atomstrom gleichermaßen wegfallen, wenn der Ausbau der Stromnetze stockt, wenn damit zu rechnen ist, dass der Strombedarf in den nächsten Jahren steigt, dann sollte DIE LINKE zumindest erklären, warum sie zusätzlich auch den Ausstieg aus dem Erdgas fordert und wie sie trotz allem eine zuverlässige Versorgung mit Strom sicherstellen möchte.

Widersprüche aufgreifen

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung kündigt einen deutlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien auf einen Anteil von 80 Prozent am Strommix an und setzt zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit im Übergang auf moderne Gaskraftwerke. Modern deshalb, weil diese später im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren Energien auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können. Den Übergang zu Erneuerbaren Energien mit diesen modernen Gaskraftwerken abzustützen, bedeutet jedoch aktuellen Untersuchungen zufolge in der Praxis den größten Zubau thermischer Leistung, der jemals in der deutschen Geschichte vorgenommen wurde.

In unterschiedlichen Studien wird der Einsatz von Gaskraftwerken als Brückentechnologie entweder befürwortet oder abgelehnt, wobei sich mittlerweile nicht nur die Deutsche Umwelthilfe, sondern auch die Klimaallianz für den begrenzten Bau von modernen Gaskraftwerken aussprechen. Dennoch ist klar, dass unterschiedliche gesellschaftliche Akteure bei der Gestaltung der Transformation von unterschiedlichen Grundannahmen ausgehen und von unterschiedlichen Interessen geleitet sind. Dass Unternehmensverbände von rasant steigenden Energieverbrauchen ausgehen, hat nicht zuletzt auch etwas damit zu tun, dass sie von den vielen neuen Elektroautos, Wärmepumpen und einer CO2-armen Industrieproduktion profitieren wollen. Und dass Teile der Klimabewegung den künftigen Stromverbrauch weit niedriger einschätzen, hat möglicherweise auch etwas damit zu tun, dass sie die Bedeutung der Industrie für die Klimawende unterschätzen.

Will DIE LINKE die Debatte um die Rettung des Klimas auf der Höhe der Zeit führen, darf sie diese Widersprüche in der Diskussion nicht ausblenden, sondern muss nach den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen fragen und diese Widersprüche in den Kontext des Klassenkonfliktes einordnen. Dazu gehört es auch, die Vision einer linken Industriepolitik zu entwerfen, die Industrie nicht abbauen, sondern nachhaltig umbauen möchte. Ohne industrie- und schließlich auch energiepolitische Impulse wird die sozial-ökologische Transformation nicht zu schaffen sein.

Ordnungspolitische Eingriffe

Die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften kämpfen aktuell an vielen Orten für Beschäftigungssicherung, Mitbestimmung bei Investitionsentscheidungen und Qualifizierung. Die Bundesregierung dagegen setzt hauptsächlich auf Marktinstrumente wie Emissionshandel und CO2-Preis, gespickt mit ein bisschen Technologie- und Forschungsförderung. Doch der Markt wird das Problem nicht lösen. Stattdessen braucht es ordnungspolitische Eingriffe in den Markt. Bestimmte Technologien müssen verboten oder mit einem Ausstiegsdatum versehen werden. Bei der Umstellung von Gaskraftwerken auf Wasserstoff dürfen nicht die Amortisierungsinteressen der Kraftwerksbetreiber im Vordergrund stehen, sondern der Entwicklungsstand der Erneuerbaren Energien.

Klar muss sein, dass Konzerne, die jahrelang einen Reibach mit umwelt- und klimazerstörender Produktion machen konnten, jetzt auch die Hauptlast für den Umbau der Industrie zu tragen haben. Vor allem die deutsche Autoindustrie konnte trotz Abgasskandal in den letzten Jahren Rücklagen in Höhe von 180 Milliarden Euro bilden. Wenn sich Milliardenkonzerne den Umbau ihrer Produktion aus Steuergeldern finanzieren lassen, können weder die Gewerkschaften, noch DIE LINKE das bedingungslos unterstützen. Im Falle von Thyssenkrupp dagegen, wo die Eigenkapitalquote zu niedrig ist, um aus eigenen Mitteln die Umstellung auf eine grüne Stahlproduktion zu finanzieren, muss die Zahlung von Fördergeldern mit dem Erwerb staatlicher Beteiligungsanteile verbunden werden.

Für den Umbau der Industrie ist darum wirtschaftsdemokratische Investitionslenkung notwendig. Beschäftigte und Gewerkschaften müssen mehr Mitbestimmungsrechte einfordern. Hier bröckelt die Sozialpartnerschaft, doch der Konflikt mit den Unternehmen wird sich als alternativlos erweisen. Die Abwickelung von Betrieben oder Produktionsverlagerungen werden vermutlich für viele Unternehmen der günstigere und bequemere Weg sein. Deshalb müssen Investitionszusagen und Beschäftigungssicherung nur mit einer transformativen Industriepolitik von unten gegen die Konzernleitungen durchgesetzt werden. Im Kern geht es dabei um den Umbau, nicht den Abbau von Industrie.

Die Rolle der LINKEN

Die kritische Diskussion über die konservierende Transformationspolitik, die die Außendarstellung der Gewerkschaften lange dominiert hatte, ist eine strategische Leerstelle, die DIE LINKE ausfüllen muss. DIE LINKE sollte ihre strategische Diskussion auf die Chancen eines nachhaltigen Industrieumbaus für den Beschäftigungserhalt und neue Jobs konzentrieren. Sechs Prozent der gesamten Industrieproduktion sind schon jetzt der Umweltschutzgüterproduktion zuzurechnen. Es besteht ein enormes Potential beim Solar- und Windkraftausbau, der Produktion von umweltfreundlichen Mobilitätsgütern, der Wasserstoffindustrie oder im Recyclingbereich. Schon jetzt arbeiten 2,8 Millionen Beschäftigte in Umweltberufen. Die Tendenz ist steigend. Das Potential für einen nachhaltigen Mobilitätssektor liegt bei einer Millionen Stellen und die Beschäftigungslücke in den sozialen Berufen bei 1,2 Millionen Stellen. Beschäftigte mit einer Zukunftsperspektive und der dafür notwendigen Umschulung und Qualifizierung sind viel eher bereit, neue Wege zu gehen. Das funktioniert allerdings nur, wenn der sozialpolitische Rahmen nicht durch Hartz IV abgesteckt ist, sondern gute Absicherungen für den Übergang bereit hält.

Die Antwort der LINKEN ist eine sozial-ökologische Transformation, die niemanden zurücklässt und soziale Belange und ökologische Notwendigkeiten miteinander verbindet. Dies zum zentralen politischen Schwerpunkt für das Jahr 2022 zu machen, ist der Verdienst der beiden Vorsitzenden. Dabei müssen aber die Widersprüche diskutiert, der Blick auf die Welt der Arbeit geschärft und die Unklarheit in der Frage, wer Träger gesellschaftlicher Veränderung sein soll, überwunden werden. Linke Klassenpolitik muss mehr sein, als über die Klasse und ihre Lebensverhältnisse zu reden. Linke Klassenpolitik muss gesellschaftliche Widersprüche aufgreifen und die Klasse der abhängig Beschäftigten für die Perspektive einer anderen Gesellschaft gewinnen. Vor diesem Hintergrund muss der Schwerpunkt einer sozial-ökologischen Transformation in 2022 zu einer echten Strategiediskussion für DIE LINKE werden.

Dieser Text wurde als Antrag auf unserer Bundesdelegiertenkonferenz im März 2022 beschlossen und ihr findet ihn hier als Druckvorlage bzw. als PDF:

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