Sachgrundlose Befristungen verharren auf hohem Niveau

Sachgrundlose Befristungen verharren auf hohem Niveau

Von Jan Richter

»Befristete Beschäftigung in Deutschland« lautet die Anfrage, die Susanne Ferschl im Namen der Fraktion DIE LINKE an die Bundesregierung gestellt hat. Die anhaltend hohe Zahl der Befristungen ist alarmierend und passt so gar nicht zum beklagten Fachkräftemangel, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, nachdem sie sich die Antwort angeschaut hat. Es verstoße zudem gegen jedes Verständnis von guter Arbeit, Arbeitsverträge ohne Vorliegen eines Grundes zu befristen. Die Ergebnisse der Anfrage findet ihr hier.

Als SPD, Grüne und FDP Ende 2021 ihren Koalitionsvertrag vorstellten, widmeten sie dem Thema Befristungen ganze fünf Zeilen: „Damit der öffentliche Dienst als Arbeitgeber mit gutem Beispiel vorangeht, schaffen wir die nur dort bestehende Möglichkeit der Haushaltsbefristung ab. Beim Bund als Arbeitgeber reduzieren wir die sachgrundlose Befristung Schritt für Schritt. Um Kettenbefristungen zu vermeiden, begrenzen wir mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge beim selben Arbeitgeber auf sechs Jahre. Nur in eng begrenzten Ausnahmen ist ein Überschreiten dieser Höchstdauer möglich.“ (Koa-Vertrag, S. 70). Susanne Ferschl hat im Namen der Fraktion DIE LINKE bei der Bundesregierung nachgefragt, wie es um die Umsetzung dieser Vorhaben bestellt ist. Der Stand der Umsetzung ist genauso ernüchternd, wie die weiteren Ergebnisse der Anfrage.

Rückblick: Die Hartz-Gesetze und die Agenda 2010 waren Geschenke an die Arbeitgeber. Mit dem Ziel, die Löhne zu senken, wurde die soziale Sicherung von Erwerbslosen verschlechtert, Arbeitnehmerrechte runtergefahren und Niedriglöhne vorangetrieben. Das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit wurde zugunsten der Kapitalseite verschoben. Die Zahl der Menschen, die sich ohne Perspektive mit Leiharbeit, befristeten Arbeitsverträgen oder Minijobs begnügen müssen, ist deutlich angestiegen. Es sind zahlreiche Maßnahmen notwendig, um eine Umkehr dieser Politik einzuleiten. Ein wichtiger erster Schritt ist die Eindämmung von befristeten Arbeitsverträgen. Ein Drittel der Neueinstellung erfolgt zeitlich befristet. Insgesamt hat sich die Zahl der befristet Beschäftigten in den letzten 20 Jahren auf 3,24 Millionen mehr als verdreifacht.

Will man die Arbeitsbedingungen verbessern, muss man Befristungen den Kampf ansagen. Wer befristet beschäftigt ist, hat Angst vor dem Verlust seiner Arbeit und hält deswegen lieber die Klappe, schleppt sich krank zur Arbeit und wehrt sich nicht gegen Ungerechtigkeiten. Man meldet sich nur selten kritisch zu Wort und unterstützt den Betriebsrat oder die Gewerkschaft höchstens verdeckt. Der Kündigungsschutz läuft ins Leere, wenn befristete Arbeitsverträge einfach auslaufen ohne dass es einer Sozialauswahl bedarf. So werden Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt und die Arbeit von Betriebsräten erschwert. Befristungen führen den Beschäftigten beständig vor Augen, dass ihre Arbeit nur vorrübergehenden Charakter hat und sie jederzeit austauschbar sind. Befristungen sind ein Disziplinierungsinstrument, mit dem die Unternehmen ihre Machtposition sichern.

Ergebnisse der Kleinen Anfrage

2022 waren rund 3,24 Millionen abhängig Beschäftigte befristet beschäftigt, über die Hälfte von ihnen sachgrundlos. In der Privatwirtschaft liegt sogar bei drei Viertel der befristet Beschäftigten kein Grund vor und auch im öffentlichen Dienst ist jeder dritte befristete Job sachgrundlos befristet. Die übergroße Mehrheit der befristeten Verträge läuft nur kurze Zeit: Knapp die Hälfte belaufen sich auf eine Dauer von 7 bis 12 Monaten, gut ein Viertel läuft lediglich bis zu 6 Monaten.

Ein Drittel der befristeten Arbeitsverträge wurden 2022 verlängert, knapp jeder fünfte lief aus. Trotz rückläufiger Personalabgänge wurden letztes Jahr noch immer mehr Verträge verlängert oder liefen aus, als dass Übernahmen in unbefristete Arbeitsverhältnisse erfolgten. Hinzu kommt, dass befristet Beschäftigte ein deutlich höheres Risiko tragen im Niedriglohnbereich zu arbeiten: Ist in der Gesamtwirtschaft etwa jede/r Fünfte von Niedriglöhnen betroffen, ist es unter den befristet Beschäftigten bereits jede/r Dritte.

Von den sozialversicherungspflichtigen Neueinstellungen 2022 erfolgte insgesamt ein Drittel befristet. In gerade mal 8% der Fälle lag dabei ein Sachgrund vor. Zwei von drei befristet Beschäftigten haben keine Dauerbeschäftigung gefunden. Bei folgenden Merkmalen ist der Befristungsanteil überdurchschnittlich hoch: mit akademischem Grad (10,9%) und ohne Bildungsabschluss (16,2%); bei Ausländern (16,6%); bei 15-24-Jährigen (27,7%), bei 25-34-Jährigen (14,1%)  und bei ab 65-Jährigen (10,5%).

Die Bundesregierung erkennt an, dass „befristet Beschäftigte und Leiharbeitskräfte in Krisenzeiten wie der COVID-19-Pandemie besonderen Risiken ausgesetzt [sind], da sie nicht über dieselbe faktische Beschäftigungssicherheit verfügen wie „Normalbeschäftigte“.“ Dennoch sind die Vorhaben im Koalitionsvertrag nicht ausreichend und darüber hinaus befindet sich das BMAS diesbezüglich erst in Vorarbeiten.

Dazu erklärt Susanne Ferschl, stv. Fraktionsvorsitzende von DIE LINKE im Bundestag:

„Die anhaltend hohe Zahl der Befristungen ist alarmierend und passt so gar nicht zum beklagten Fachkräftemangel. Arbeitsverträge mit Verfallsdatum sind ein gezieltes Mittel, das Arbeitsrecht zu schleifen und Beschäftigte zu disziplinieren. Das permanente Gefühl auf der Abschlussliste zu stehen, sorgt dafür, dass man so einiges einsteckt, um die Arbeit nicht zu verlieren. Dem Wunsch der Arbeitgeber nach unbegrenzter Flexibilität ist ein Riegel vorzuschieben. Er ist mit dem Schutzbedürfnis Millionen Beschäftigter nicht vereinbar. Es verstößt gegen jedes Verständnis von guter Arbeit, Arbeitsverträge ohne Vorliegen eines Grundes zu befristen. Die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag sachgrundlos zu befristen, ist ersatzlos aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz zu streichen.“

Die Anfrage der Bundestagsfraktion und Antwort der Bundesregierung findet ihr hier auf der Seite des Deutschen Bundestages. Eine übersichtliche Auswertung der Ergebnisse findet ihr hier auf der Seite der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

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