Was das Klimaurteil für die Beschäftigten bedeutet

Was das Klimaurteil für die Beschäftigten bedeutet

Paukenschlag aus Karlsruhe: Wir müssen schneller klimaneutral werden. Was bedeutet das für die Beschäftigten? Jetzt geht es um Beschäftigungssicherung, Mitbestimmung bei Investitionsentscheidungen und Qualifizierung, schreibt Tilman von Berlepsch in seinem Gastbeitrag. Fakt ist: Die Industrie steht vor riesigen Umbrüchen. Mit der Digitalisierung, die von den Unternehmen häufig als Rationalisierungsangriff benutzt wird, und dem „Brandbeschleuniger“ Corona verschärft sich die Situation. Manche Branchen und Unternehmen werden verschwinden. Aber statt in Abwehrkämpfe zu verfallen, sollte DIE LINKE viel mehr selbstbewusst die Chancen des Umbaus für Beschäftigungserhalt und neue Jobs zum Ausdruck bringen. Und dabei betonen, welche Möglichkeiten durch die Transformation für Kommunen und ganze Regionen entstehen.

Die Ankündigung der Bundesregierung kam unmittelbar nach der Verkündung des Klimaurteils durch das Bundesverfassungsgericht: Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden – noch fünf Jahre vor der EU. Bis 2030 sollen nur noch 437 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen werden. Die Festlegung eines begrenzten CO2-Budgets ist ein Erfolg der Klimabewegung. Doch global ist das CO2-Budget in schon sieben Jahren aufgebraucht. Die Zeit drängt.

SPD-Finanzminister Scholz bemerkte nach dem Urteil: „Ziele sind noch keine Maßnahmen!“ und versuchte zu übertönen, dass er maßgeblich an dem unzureichenden Maßnahmenpaket mitgewirkt hat. Jetzt will die Bundesregierung mit dem „Sofortprogramm 2022“ acht Milliarden zusätzlich für den Klimaschutz nachschießen. Zum Vergleich: DIE LINKE fordert jährlich 45 Milliarden an zusätzlichen Investitionen in den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft.

Nun mag aus einer sozialpartnerschaftlichen Denkrichtung die Forderung nach mehr staatlichen Investitionen attraktiv sein, da damit der sich verschärfende Klassenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit befriedet werden kann. Klar muss aber sein, dass die Konzerne, die jahrzehntelang ihren Reibach mit umwelt- und klimazerstörender Produktion machen konnten, jetzt auch die Hauptlast für den Umbau der Industrie zu tragen haben. Vor allem die deutsche Autoindustrie konnte trotz Abgasskandal in den letzten Jahren Rücklagen in Höhe von 180 Milliarden Euro bilden. Wenn sich Milliardenkonzerne jetzt nagelneue Fabriken auf der grünen Wiese aus Steuergeldern finanzieren lassen, dann können wir das als Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nicht bedingungslos unterstützen.

Fakt ist: Die Industrie steht vor disruptiven Umbrüchen (v.a. Auto, Maschinenbau, Konsumgüter, Chemie- und Grundstoffindustrie). Mit der Digitalisierung, die von den Unternehmen häufig als Rationalisierungsangriff benutzt wird, und dem „Brandbeschleuniger“ Corona verschärft sich die Situation vieler abhängig Beschäftigter zusätzlich. Zur bitteren Wahrheit gehört: Manche Branchen und Unternehmen werden verschwinden. Die Beschäftigten müssen nun für Beschäftigungssicherung, Mitbestimmung bei Investitionsentscheidungen und Qualifizierung kämpfen.

Das Problem: Wirtschaft, Bundesregierung und die Grünen setzen hauptsächlich auf Marktinstrumente wie Emissionshandel und CO2-Preis, gespickt mit ein bisschen Technologie- und Forschungsförderung. Doch der Markt wird das Problem nicht lösen. Stattdessen braucht es ordnungspolitische Eingriffe in den Markt, bestimmte Technologien müssen verboten bzw. mit einen Ausstiegsdatum versehen werden. Auch im Interesse der Unternehmen selbst, die nur mit Planungssicherheit konkrete Investitionen angehen werden.

Für den Umbau der Industrie ist wirtschaftsdemokratische Investitionslenkung notwendig. Beschäftigte und Gewerkschaften müssen mehr Mitsprache bei den Investitionsentscheidungen einfordern. Hier bröckelt die Sozialpartnerschaft, doch zu dem Konflikt mit den Unternehmen gibt es keine Alternative. Eine Abwicklung des Betriebes und die Verlagerung der Produktion wird für viele Unternehmen der günstigere und bequemere Weg sein. Nur mit einer Betriebsoffensive, die eine transformative Industriepolitik „von unten“ gegen die Konzernleitungen durchsetzt, können Investitionszusagen und Beschäftigungssicherung erreicht werden. Das Ziel ist dabei der Umbau, nicht der Abbau der Industrie.

Sechs Prozent der gesamten deutschen Industrieproduktion sind schon jetzt der Umweltschutzgüterproduktion zuzurechnen. Es besteht enormes Potential beim Solar- und Windkraftausbau, der Produktion von umweltfreundlichen Mobilitätsgütern, der Wasserstoffindustrie sowie im Recyclingbereich.

Statt in konservierende Abwehrkämpfe zu verfallen, sollte DIE LINKE in ihrem Wahlprogramm viel mehr selbstbewusst die Chancen des Umbaus für Beschäftigungserhalt und neue Jobs zum Ausdruck bringen. Rettungsschirme und Transfergesellschaften zu fordern ist zwar richtig und wichtig. Motivierender wäre es jedoch zu betonen, welche Möglichkeiten durch die Transformation für Kommunen und ganze Regionen entstehen. Laut Umweltbundesamt arbeiten schon jetzt 2,8 Millionen Beschäftigte in Umweltberufen, das entspricht jedem 15. Job – Tendenz steigend. Das Potential für neue Beschäftigung allein im nachhaltigen Mobilitätssektor beträgt netto über eine Millionen Stellen. Beschäftigte mit einer Zukunftsperspektive und der dafür notwendigen Umschulung und Qualifizierung sind viel eher bereit neue Wege zu gehen. Klar ist, dass in den neu entstehenden Branchen und Berufsfeldern die tariflichen Standards nicht unterlaufen werden dürfen. Hier tragen die Gewerkschaften eine Verantwortung – aber auch die Politik. Wenn jetzt über europäische und bundesdeutsche Gelder Batterie- und Wasserstofffabriken hochgezogen werden, dann dürfen diese Subventionen nur gegen einklagbare Vereinbarungen zu Beschäftigungssicherung, Mitbestimmung, Tarifbindung und Umweltauflagen ausgezahlt werden. Auch in soziale Infrastruktur muss massiv investiert werden, nicht nur in die Beton-Infrastruktur. In den sozialen Berufen besteht eine Beschäftigungslücke von mindestens 1,2 Millionen Vollzeitstellen. Doch auch die Aufwertung dieser Berufe muss erkämpft werden, sie ist kein Automatismus.

Tilman von Berlepsch ist Wirtschaftspolitikwissenschaftler und arbeitet für den industriepolitischen Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, Alexander Ulrich.

Auch interessant: Zum Weiterlesen verweisen wir auf die kürzlich erschienene Broschüre der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag

(c) Fraktion DIE LINKE im Bundestag

Broschüre: Sozial, ökologisch und demokratischLinke Industriepolitik in Zeiten der Krise

Die Beschäftigten in der Industrie stehen unter enormen Druck: Globale Überpro-duktion, ständiger Kostendruck, Corona-Pandemie und Klimakrise. Doch für die Bewältigung der Klimakrise und der zunehmenden sozialen Polarisierung hilft nicht der wehmütige Blick auf die Vergangenheit, sondern nur ein radikaler sozial-ökologischer Aufbruch in die Zukunft der Industrie.

Dafür braucht es eine wirtschaftsdemo-kratische Investitionslenkung und eine Betriebsoffensive für gute und ökolo-gische Arbeitsplätze. Linke Industriepolitik muss eine transformative Industriepolitik sein, zu deren Weiterentwicklung wir euch alle herzlich einladen, um gemeinsam mit der LINKEN für eine soziale, ökologische und demokratische Industrie zu kämpfen.

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