15 Jahre DIE LINKE - Zeit, erwachsen zu werden

15 Jahre DIE LINKE - Zeit, erwachsen zu werden

von Ulrike Eifler

Gelegentlich staunen Eltern an Kindergeburtstagen, wie schnell die Zeit vergangen ist. Gestern noch stolzes Kindergartenkind, heute im besten Teenageralter und auf dem Sprung ins Erwachsenenleben. Nun ist DIE LINKE kein Kind, und doch bietet ihr 15. Geburtstag Anlass, mit etwas elterlichem Stolz und vielleicht ein bisschen Nachsicht auf die letzten Jahre zurückzuschauen. DIE LINKE ist eine Partei, die in Zeiten manifester sozialer Härten, Krieg und ökologischer Rücksichtslosigkeit erwachsen werden und ihren Weg finden muss. Und wie im richtigen Leben gibt es dabei Dinge, die uns schwach machen, aber auch Dinge, aus denen wir Stärke und Resilienz beziehen.

Notwendigkeit und Potential für eine neue linke Partei

Der Ursprung unserer Partei liegt im Jahre 2004, als die Quantität neoliberaler Ausfälle in eine neue Qualität umschlug: Der rot-grüne Neoliberalismus der Regierung Gerhard Schröders hatte es vor allem Gewerkschaftern immer schwerer gemacht, sich an der Sozialdemokratie zu orientieren. Nach dem Sündenfall im Kosovo, dem Bündnis für Arbeit und der Rürup-Kommission war es schließlich die Politik der Agenda 2010, die das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Mit Flexibilisierung und Deregulierung sollte der Sozialstaat reformiert werden – doch zu offensichtlich war, dass die Reform nicht im Interesse der abhängig Beschäftigten war. Und so waren es überwiegend Gewerkschafter aus dem Westen der Bundesrepublik, die sich öffentlich für eine Alternative zur Regierung Schröder aussprachen und die Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) gründeten.

Als Schröder im Mai 2005 vorgezogene Bundestagswahlen ausrief, auch um der WASG den Wind aus den Segeln zu nehmen, bekam das Parteiprojekt eine neue Dynamik. Nicht zuletzt, weil der ehemalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine öffentlichkeitswirksam seine Partei verließ und dazu aufrief, WASG und PDS zusammenzuführen. Einige hatten Zweifel, ob da wirklich zusammenkam, was zusammengehörte. Aber die meisten erkannten das Potential einer neuen gesamtdeutschen linken Partei. Folglich wurde auf allen Seiten mit viel Geduld, Toleranz und Kompromissbereitschaft um den gemeinsamen Erfolg gerungen. Aus einer Kritik an der neoliberalen Politik von Rot-Grün erwuchs ein Verantwortungsgefühl, die Einheit herzustellen, um als Alternative sichtbar zu werden. Auf dieser Grundlage füllte das Parteiprojekt Veranstaltungsräume und gab jenen Hoffnung, Stolz und Selbstbewusstsein, die mit der herrschenden Politik nicht mehr einverstanden waren. Und so verhandelten WASG und PDS miteinander – angetrieben von dem Wunsch, bei der Bundestagswahl im September 2005 mit einer gemeinsamen Liste unter dem Namen DIE LINKE anzutreten. Der Einzug gelang schließlich mit dem fulminanten Ergebnis von 8,9 Prozent.

Rahmenbedingungen verändern sich

Zwei Jahre später, im Juni 2007 kam es in Berlin zum Vereinigungsparteitag. Er war das Ergebnis eines gemeinsamen Ringens, die Partei trotz aller Widersprüche zusammenzuführen. Es kursierten Aufrufe, die „Einheit statt Klarheit“ forderten. Sie appellierten an die Mitglieder beider Parteien, trotz politischer Meinungsunterschiede zusammenzustehen. DIE LINKE war ein kostbarer politischer Edelstein, der aus den Widersprüchen politischer Entwicklungen und dem gemeinsamen Wunsch nach einer starken linken Partei entstanden war. Ihre Verankerung wuchs mit dem flächendeckenden Einzug in die Kommunalparlamente und Landtage. Im Saarland gelang der Einzug sogar mit einem Ergebnis von über 20 Prozent. Den Höhepunkt parlamentarischer Erfolge bildete die Bundestagswahl 2009, wo der LINKEN ein Achtungserfolg von 11,9 Prozent gelang.

Es waren die politischen Widersprüche 2004, die zum Entstehen der LINKEN führten und die bis 2009 den Erfolg der Partei zementierten. Doch mit der globalen Finanzkrise veränderten sich die politischen Rahmenbedingungen. Der Kollaps der Investmentbank Lehman Brothers löste die größte Weltwirtschaftskrise seit den 1930er Jahren aus. Sie wurde zu einer Zäsur, vielleicht einer Zeitenwende. Für die Kolleginnen und Kollegen in der strauchelnden Autoindustrie mit ihrer weitverzweigten Zulieferstruktur gab es Kurzarbeit, für systemrelevante Banken Milliardenbeträge, die bis dato nicht vorstellbar waren. Und je mehr das Marktversagen offensichtlich wurde und die jahrzehntelange neoliberale Praxis in Erklärungsnot geriet, desto vehementer mussten die Prinzipien von Deregulierung und Flexibilisierung in Südeuropa durchgedrückt werden. Der Kampf der Herrschenden um finanzpolitische Stabilität einerseits und ein breiter linker Protest, der sich vor allem in Griechenland, Portugal und Spanien formierte, prägten die Zeit nach 2009. Der Erfolg der Partei DIE LINKE in Deutschland wurde nicht zuletzt auch vom Aufschwung sozialer Bewegungen in Südeuropa getragen.

Strategischer Scherbenhaufen

Doch der inspirierende Moment gesellschaftsverändernden Protestes verschwand, als die klassenübergreifende Mobilisierung ihren Höhepunkt erreicht hatte. Nach dem griechischen OXI-Referendum gelang es den Europäischen Institutionen, ihr austeritätspolitisches Diktat in allen Punkten durchzusetzen: In Griechenland, der Wiege der Demokratie, wurden Flexibilisierung, Deregulierung und eine weitreichende Privatisierung autoritär durchgestellt. Eine Tragödie für den Großteil der griechischen Bevölkerung, die infolge der erbarmungslosen Memoranden verarmte. Eine Tragödie aber auch für die gesamte europäische Linke, die nun vor einem strategischen Scherbenhaufen stand. Weder die mächtigen Generalstreikbewegungen in Südeuropa, noch die Solidaritätsbewegung aus Mittel- und Nordeuropa hatten die Troika daran hindern können, ihre zerstörerische Austeritätspolitik durchzusetzen. Insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum war die Solidarität sehr groß, Medikamente wurden gesammelt, Schulmaterialien und vieles andere mehr, aber die bestehenden Kräfteverhältnisse beeinflusste das nicht.

Hätten sich Angela Merkel und Wolfgang Schäuble mit ihrem Kurs gegenüber Griechenland durchsetzen können, wenn es nicht nur eine breite Solidaritätsbewegung, sondern auch eine breite Protestbewegung in Deutschland gegeben hätte? Was wären Anknüpfungspunkte für Gewerkschaften gewesen, ihren Unmut über die Austeritätspolitik in Südeuropa nicht nur zu artikulieren, sondern auf der Straße sichtbar zu machen? Hätte eine stärkere Verankerung der LINKEN in den Gewerkschaften diesen Diskurs möglicherweise beeinflussen können? Und die wichtigste Frage von allen: Wie konnten neoliberale Prinzipien, die mit der Lehman-Pleite derart in die Kritik geraten waren, plötzlich wieder Oberwasser bekommen? Statt Fragen wie diese zu diskutieren, beschränkte sich der strategische Diskurs der Partei auf den Austausch von Glaubensbekenntnissen: Hatte SYRIZA angesichts einer institutionellen Übermacht der Gläubiger keine andere Wahl, als dem Memorandum zuzustimmen oder hatten sie willfährig die Interessen ihrer Wähler verraten?

Multiple Krise setzt sich fort

Auf die Eurokrise folgte die größte Zuwanderungsbewegung der Nachkriegsgeschichte. Sie stellte DIE LINKE vor neue Herausforderungen. Mit jedem ertrunkenen Geflüchteten im Mittelmeer und Aufnahmelagern wie Moria verhedderte sich die europäische Demokratie in moralischen Widersprüchen. DIE LINKE bewahrte sich auch in dieser Zeit den Austausch von Glaubensbekenntnissen zur Vermeidung strategischer Klärung. Die Suche nach dem gemeinsamen Konsens scheiterte. Und die Frage, wie man es in einer Partei miteinander aushält, wenn die einen nicht länger bereit sind, die Zustände im Mittelmeer widerspruchslos hinzunehmen und die anderen angesichts des jahrzehntelangen neoliberalen Kahlschlags in den Kommunen auf Missstände hinweisen, die auch ohne Zuwanderung schon zu schlechter Terminlage, langen Wartezeiten, vollen Schulklassen und zur Schließung von Sporthallen geführt hatten, blieb unbeantwortet.

Gleichzeitig hatte sich im Zuge der Eurokrise mit der AfD eine Partei gegründet, die sich populistisch in diesen Widerspruch hineinschob und den Menschen eine ausgrenzende, teils rassistische Antwort auf diese Fragen anbot. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie verfestigte sich die gesellschaftliche Krisensituation und mit ihr der polarisierende gesellschaftliche Diskurs. Ein Zustand, der mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine noch einmal übertroffen wurde. Und in der LINKEN wieder der Austausch von Glaubensbekenntnissen. So begann jedes Statement zum Krieg mit dem Hinweis auf den verbrecherischen, unmenschlichen und grausamen Angriffskrieg. Vergessen bei dieser merkwürdig tautologischen Wortschöpfung schien, dass das für jeden Krieg gilt. Aus gutem Grund ist die Arbeiterbewegung – trotz aller Widersprüche – in den letzten 150 Jahren immer auch Teil der Friedensbewegung gewesen: Weil sich Kriege in verbrecherischer, unmenschlicher und grausamer Weise immer gegen die Ärmsten der Gesellschaft richten – ganz egal, ob in Russland, der Ukraine oder in Deutschland. 

Der Blick durch die Brille der Klasse

DIE LINKE muss also den Austausch von Glaubensbekenntnissen, die teils mit öffentlichen Diffamierungen einhergehen, durch eine echte Strategiedebatte ersetzen. Dabei ist keine Zeit zu verlieren, denn die gesellschaftliche Krisensituation verfestigt sich weiter. Steigende Mieten, explodierende Lebensmittel- und Energiepreise, die größte Gesundheitskrise der Nachkriegsgeschichte und der immer bedrohlicher werdende Klimakollaps bedrücken die Menschen. Für DIE LINKE stellen sich Fragen, auf die es keine einfachen und schnellen Antworten gibt. Umso wichtiger ist es deshalb, den eigenen Blickwinkel zu schärfen: Wo wollen wir hin und wer ist dabei strategischer Bündnispartner? Die BAG Betrieb & Gewerkschaft sagt hier klar: Ohne betriebliche Verankerung hat DIE LINKE keinen Halt. Unser Fokus muss auf der Klasse der abhängig Beschäftigten liegen. Eine Partei, die nicht verankert ist in Betrieben, Krankenhäusern oder Büros kann die Interessen der abhängig Beschäftigten nicht vertreten. Man muss wissen, was die Menschen bewegt, will man ihre Sorgen und Nöte zum Thema machen.

Und wir sagen auch: Auch die Vielstimmigkeit unserer Partei löst sich mit betrieblicher und gewerkschaftlicher Verankerung. Pflegekräfte stehen dabei ebenso im Fokus wie Kohlekumpel, Postboten ebenso wie Facharbeiter aus der Industrie. Egal ob sie befristet oder unbefristet sind. Egal ob sie Niedriglohn beziehen oder ein Facharbeitergehalt. Wichtig ist ihre Stellung im Konflikt zwischen Kapital und Arbeit. Egal sollte dabei im Übrigen auch sein, wie die Kolleginnen und Kollegen zunächst über den Klimawandel oder das Gendersternchen denken. Als LINKE müssen wir ihre Ängste, Sorgen und Nöte ernst nehmen und aus dem gemeinsamen Handeln auf Augenhöhe eine Perspektive aufzeigen. Nur aus einer solchen gemeinsamen Handlungsperspektive kann ein gemeinsamer Blick auf Klima, Ernährung oder Identität werden. Wenn wir uns also heute die strategische Klärung auf die Agenda schreiben, dann ist damit nicht gemeint, uns zwischen Sozialem oder Klima zu entscheiden, ebenso wenig wie zwischen Russland oder der NATO. Strategische Klärung bedeutet vielmehr, WIE wir auf diese Fragen blicken und mit wem wir die derzeitige Situation gemeinsam verändern wollen. Als BAG Betrieb & Gewerkschaft werben wir dafür, unsere Positionen zum Krieg in der Ukraine, zum Klimawandel oder zu steigenden Energiepreisen zu klären, indem wir den Blickwinkel der abhängig Beschäftigten einnehmen – ein Blickwinkel der sich an der Frage orientiert, wem es nutzt.

Geburtstag feiern

Gestehen wir uns also etwas elterliche Nachsicht zu: Unsere Partei muss in zugespitzten und unübersichtlichen Zeiten erwachsen werden. Wir haben in den letzten 15 Jahren durchaus Erfolge erzielt, darunter die Einführung des Mindestlohns. Den hätte es ohne DIE LINKE wohl nicht gegeben, weil sich erst mit unserem Einzug in den Bundestag der Diskurs der etablierten Parteien dazu änderte. Doch anstatt stolz auf diese und weitere Erfolge zu blicken, leisten wir uns einen zuweilen destruktiven innerparteilichen Streit. Die Mehrheit der Menschen in diesem Land, die abhängig Beschäftigten und ihre Familien, können sich angesichts steigender Preise unsere unproduktiven und öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen nicht mehr leisten. Zumal sie aus ihrem tagtäglichen Arbeitsprozess wissen: Um Probleme zu lösen, braucht es Kooperation, Wertschätzung und Respekt. Wen wundert es also, dass diejenigen, die am stärksten auf Kooperation angewiesen sind, sich zunehmend von einer Partei abwenden, die sich im öffentlichen Streit gefällt? Zur Verankerung in der Klasse gehört also auch, diesen unsolidarischen öffentlich ausgetragenen Streit endlich beizulegen.

Als Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft wünsche ich uns ein herzliches Happy Birthday – trotz alledem. Lasst uns heute die Geschenke auspacken und uns gemeinsam darüber freuen, dass diese, unsere Partei gebraucht und gewollt wird, wie eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung jüngst herausfand. Und lasst uns morgen den spätpubertär anmutenden Streit beiseiteschieben und stattdessen ein innerparteiliches strategisches Zentrum aufbauen, das die notwendige strategische Klärung so organisiert, dass sie uns in unserer Gesamtheit stärkt. 2025 werden wir volljährig. Und vielleicht werden wir dann ebenso schmunzelnd wie erleichtert zurückblicken und froh darüber sein, gemeinsam gestärkt auf dem Rollfeld ins Erwachsenleben zu stehen.

Ulrike Eifler ist stellvertretende Landessprecherin der Partei DIE LINKE in NRW und Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft

 

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