Die Krise der Partei und die Rolle der BAG Betrieb & Gewerkschaft
In eigener Sache: Wir diskutieren mit Janine Wissler und Heinz Bierbaum darüber, welche Rolle wir als BAG Betrieb & Gewerkschaft im Erneuerungsprozess unserer Partei einnehmen. Wir gehen mit sechs Thesen in die Debatte.
DIE LINKE befindet sich in einer existenziellen Krise. Starke Mitgliederverluste, sinkende Umfragewerte und die Abspaltung des Bündnisses Sahra Wagenknecht markieren die Krise unserer Partei. Gleichzeitig geraten durch die Politik der Ampel in vielen Branchen die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Kolleginnen und Kollegen unter Druck – einerseits durch eine unzureichende Investitionsbereitschaft in die öffentliche Daseinsvorsorge, andererseits durch eine fehlende Strategie für die industriellen Kernbereiche. Beides hängt mit dem blinden Festhalten an der Schuldenbremse und der fehlenden Bereitschaft, hohe Vermögen angemessen zu besteuern, zusammen.
Hier zeigt sich: Die Bundesregierung macht eine Politik im Interesse der Herrschenden, die an der bestehenden Verteilungsungerechtigkeit nichts ändern, sondern diese erhalten möchte. Nach mehr als dreißig Jahren Neoliberalismus bewegen sich die Klassenauseinandersetzungen auf niedrigem Niveau. Arbeitskämpfe und gesellschaftliche Mobilisierungen als Antwort auf die Klassenangriffe der Bundesregierung waren in der Vergangenheit eher zögerlich, auch wenn ab 2015 sowohl im Bereich der Pflege als auch in den Sozial- und Erziehungsdiensten Aufwertungskämpfe erfolgreich geführt werden konnten und sich Tarifrunden in der Verteilungsauseinandersetzung mit Bund, Ländern und Kommunen zum Teil politisierten. Auch die Zusammenarbeit zwischen ver.di und der Klimabewegung für eine Mobilitätswende waren Schritte in die richtige Richtung.
Ohne große gesamtgesellschaftliche Mobilisierungen in der aktuellen gesellschaftlichen Krisensituation steht für politische Veränderungen jedoch lediglich der parlamentarische Raum zur Verfügung, was die Krise der politischen Linken verschärft. Vor diesem Hintergrund bräuchte es nicht nur eine starke LINKE in den Parlamenten, sondern auch in den Gewerkschaften. Die BAG Betrieb & Gewerkschaft hat sich in den letzten Jahren vermehrt mit inhaltlichen Aufschlägen zu Wort gemeldet, um den notwendigen innerparteilichen Strategieprozess einzufordern. Dabei stand der solidarische Streit um Inhalte im Vordergrund, mit dem Ziel, die Partei zu stärken. Mit den folgenden Thesen meldet sich der BundessprecherInnenrat nun erneut zu Wort.
Diese 1
DIE LINKE macht Politik unter vorgefundenen Umständen. Wir haben uns diese nicht ausgesucht, aber wir müssen uns daran ausrichten. Wir agieren in einer Zeit eines erheblichen politischen Rechtsrücks. Der in der Ampel eingeschlossene Klassenkompromiss hinterlässt tiefe soziale Schleifspuren. Dabei werden traditionelle linke Positionen dadurch marginalisiert, dass sie von denen in Frage gestellt werden, die sie früher vertreten haben. Mehr und mehr legen SPD und GRÜNE die Rolle als gesellschaftliche Kritikerinnen von Sozialabbau, Krieg, Aufrüstung und rechter Hetze ab und tragen so dazu bei, dass diese traditionell linken Positionen zu gesellschaftlichen Randpositionen werden. Das erschwert es der LINKEN, sich zu behaupten. Wir arbeiten sozusagen gegen den gesellschaftlichen Trend. Dennoch: Schaffen es die Gewerkschaften und die politische Linke nicht, die berechtigten Anliegen der Beschäftigten nach guten Arbeits- und Lebensbedingungen zu kanalisieren, wird sich der Unmut ein anderes Ventil suchen und rechte Ansätze stärken. Das gilt insbesondere auch mit Blick auf die aktuellen Proteste gegen die AfD. Die BAG Betrieb & Gewerkschaft ruft dazu auf, sich auch weiterhin an den Demonstrationen zu beteiligen, damit es eine laute, öffentlich wahrnehmbare Stimme gegen den aktuellen Rechtsruck gibt. Aber so wichtig es ist, möglichst breit gegen rechts auf die Straßen zu gehen, braucht es um so dringlicher eine gemeinsame Bewegung aus Gewerkschaften, Sozialverbänden, Kirchen und linken Parteien für die Verteidigung des Sozialstaates. Deshalb muss unsere politische Schwerpunktsetzung aus der Analyse der gesellschaftlichen Krisensituation heraus begründet werden.
Diese 2
Das Herumwursteln der Ampel muss in eine Analyse der tiefen multiplen Krisensituation eingebettet werden, die sich zusammensetzt aus Klimakrise, Krieg, tiefen Umbrüchen in der Arbeitswelt, einer zunehmenden Verteilungsungerechtigkeit und einer Krise der Demokratie. Lösungen in einer Sphäre führen zur Krisenverschärfung in einer anderen Sphäre: So verschärft der außenpolitische Kurs der Ampel die Klimakrise und gleichzeitig die Verteilungsauseinandersetzungen in der Bundesrepublik – Krieg und Aufrüstung sind nicht nur Klimakiller Nummer eins, sie verschärfen auch gesellschaftliche Umverteilungskämpfe. Diese wiederum hemmen den Umbau der Industrie. Ohne Umbau der Industrie keine sozialverträgliche Klimawende. Diese Krisenkonstellation stellt unsere Partei vor Herausforderungen, die für die Nachkriegsgeschichte einmalig sind. Nie waren ein kollektiver Strategieprozess, die Verständigung auf eine gemeinsame politische Orientierung in unübersichtlichen Zeiten und politische Führung wichtiger als heute.
Diese 3
Die Strategie der Gewerkschaften ist widersprüchlich. Auf der tarifpolitischen Ebene agieren sie offensiver als in den letzten Jahren. Insbesondere in den Tarifrunden der ÖD-Gewerkschaften (ver.di, GEW, GdP und IG BAU), aber auch bei EVG und NGG wurden neue Protestformen ausprobiert. Dahinter steht auch ein hoher Erwartungsdruck der Beschäftigten, die nach den niedrigen Abschlüssen während der Corona-Pandemie gerade jetzt, wo Lebensmittelpreise, Energiekosten und Benzin steigen, auf kräftige Abschlüsse angewiesen sind. Tarifpolitisch fallen die Industriegewerkschaften etwas dahinter zurück. Das liegt vor allem daran, dass sich die Industrie angesichts anstehender Dekarbonisierungsnotwendigkeiten in einem großen Umbruch befindet. Obwohl die Bundesregierung die Gewerkschaften mit der Konzertieren Aktion zum Burgfrieden aufrief, um hohe Abschlüsse zu verhindern, waren jedoch viele Tarifrunden durch eine neue Streikbereitschaft gekennzeichnet – das galt für Dienstleistungsgewerkschaften ebenso wie für die Industriegewerkschaften. Dabei gelang es jedoch nur in Ausnahmefällen, einen Inflationsausgleich durchzusetzen. Hinzu kommt: Über die betriebliche und tarifpolitische Ebene hinaus, halten sich die Gewerkschaften mehrheitlich zurück. Die Bundesregierung greift in die Rentenkassen, verschärft die Sanktionen für Bürgergeldempfänger und hebt den CO2-Preis an, aber die Gewerkschaften beschränken sich aktuell auf verbale Reaktionen, anstatt dagegen aktiv zu werden. Angesichts dieser Entwicklungen muss DIE LINKE zum wichtigsten Bündnispartner der Gewerkschaften werden. In einer Zeit, in der die Arbeits- und Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschen nicht allein durch Managemententscheidungen unter Druck geraten, sondern vermehrt durch die fahrlässige Politik der Ampel, muss DIE LINKE die Gewerkschaften darin bestärken, wieder stärker ihr gesellschaftspolitisches Mandat wahrzunehmen und die Ampel durch politische Gegenmobilisierungen in die Schranken zu weisen.
These 4
Der aktuelle Stillhaltekurs der Gewerkschaften ist fatal, weil er die Menschen in Zeiten einer rot-grün-gelben Austeritätspolitik ohnmächtig zurücklässt, anstatt ihnen eine Perspektive zu bieten, sich aktiv dagegen zur Wehr zu setzen. Dass sich jetzt über 50 Unternehmer zusammengetan haben und eine Abkehr der Schuldenbremse fordern, ist begrüßenswert, aber es stärkt nicht zwangsläufig die Diskursmacht der Arbeitnehmerseite. Wenn die Gewerkschaften nicht zum Treiber der Debatte werden, befördert dies unter abhängig Beschäftigten das Gefühl der Ohnmacht und der Einflusslosigkeit. Deshalb ist es im Interesse der LINKEN, die Gewerkschaften dabei zu unterstützen, für eine Änderung der Politik auf die Straße zu gehen. Eine stärkere Verankerung in der Klasse der abhängig Beschäftigten – durch aktive Vertrauensleute, Betriebs- und Personalräte oder gewerkschaftliche Bildungsreferenten – verschafft der Partei eine stärkere Handlungsfähigkeit auch jenseits von Wahlkämpfen. Dreh- und Angelpunkt linker Strategieüberlegungen muss es sein, wie man im Bündnis mit Gewerkschaften und Sozialverbänden Sozialproteste gegen die Ampel aufbaut. Deshalb muss DIE LINKE ihre Organisations- und Diskursmacht stärken. Denn eine Stillhaltepolitik ohne Gegenwehr wird fatalere Folgen haben als 2004. Damals entstand aus der falschen Zurückhaltung der Gewerkschaften eine Partei links von der Sozialdemokratie. Ein Agenda-Deja-Vu auf der Grundlage fehlender Sozialproteste heute könnte das Vertrauen in die Gewerkschaften ebenso wie in linke Politik fundamental erschüttern und den „Rückfall in die Barbarei“ bedeuten – der aktuelle Rechtsruck und der Aufstieg der AfD schaffen jedenfalls kein Klima für linke Hoffnungsprojekte. Deshalb muss DIE LINKE stärker in gewerkschaftliche Strategiedebatten eingreifen – nicht von außen, nicht bevormundend, sondern mit ihren gewerkschaftlichen Funktionären als Teil der Gewerkschaftsbewegung.
These 5
Die Zukunft unseres Planeten wird durch die Zerstörung unseres Klimas, durch die Zerstörung sozialer Sicherheiten und durch das steigende Eskalationspotential kriegerischer Auseinandersetzungen zunehmend bedroht. Klimabewegung, Friedensinitiativen und Gewerkschaften haben deshalb den gleichen Gegner. Damit die Diskursmacht der Klimabewegung, der Erfahrungsreichtum der Friedensbewegung und die ökonomische Stärke gewerkschaftlicher Gegenwehr zusammenfinden können, muss DIE LINKE die Rolle annehmen, in all diesen Bewegungen eine treibende Kraft zu sein. Und treibende Kraft zu sein bedeutet, Einfluss auf den Diskurs zu nehmen und linker Stichwortgeber oder ggf. auch linkes Korrektiv zu sein. Das gelingt nur über Verankerung. DIE LINKE muss zum organischen Teil von Klima-, Friedens- und Gewerkschaftsbewegung werden, das heißt, ihre Mitglieder müssen aktiv werden in Gremien und Bündnisinitiativen und dort Verantwortung übernehmen. Für die Praxis der Partei kann es daher wesentlich sein, die Mitglieder stärker darauf zu orientieren, in Gewerkschaften und Bewegungen aktiv zu werden und sie mit dieser politischen Perspektive und entsprechendem Material auszustatten.
These 6
Der Zusammenschluss BAG Betrieb & Gewerkschaft muss innerparteilich stärker mit den ökologisch und friedenspolitisch ausgerichteten Zusammenschlüssen in einen gemeinsamen Dialog treten, damit sich ihre jeweiligen Schwerpunkte stärker strategisch verzahnen. Gleichzeitig muss die BAG Betrieb & Gewerkschaft die Stärkung der gewerkschaftlichen Linken in ihrer Gesamtheit in den Blick nehmen. Denn politisch engagierte Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter haben es aktuell in keiner Partei leicht. Deshalb sollte die BAG Betrieb & Gewerkschaft darüber nachdenken, sich breiter aufzustellen und über den Aufbau einer gemeinsamen Plattform den Austausch zwischen Gewerkschaftsmitgliedern unterschiedlicher Parteien zu befördern, um den Diskurs nach links zu verschieben und für eine soziale, ökologische und friedliche Politik Druck zu machen.
Bundessprecherinnen und Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft, Februar 2024
Artikel wurde am 22. Dez. 2024 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/debatte/2024/02/die-krise-der-partei-und-die-rolle-der-bag-betrieb-gewerkschaft/.