In Erinnerung an einen politisch klugen und gewerkschaftlich geerdeten linken Intellektuellen

In Erinnerung an einen politisch klugen und gewerkschaftlich geerdeten linken Intellektuellen

Von Ulrike Eifler und Dr. Steffen Lehndorff

Die BAG Betrieb & Gewerkschaft nimmt Abschied von Harald Werner. Er war ein autonom denkender, in der marxschen gesellschaftstheoretischen Tradition gebildeter, zugleich durch seine Verbundenheit mit gewerkschaftlicher Interessenvertretung geerdeter linker politischer Intellektueller. Aus diesem Grund gründete er vor über dreißig Jahren gemeinsam mit Jakob Moneta, Gerald Kemski und anderen die BAG Betrieb & Gewerkschaft und war lange Zeit der gewerkschaftspolitische Sprecher der Partei. Harald Werner starb am 23. Dezember 2023.

Harald Werner ist tot. Geboren 1940 und aufgewachsen in Berlin-Kreuzberg gehörte er zu jener Generation von Kriegskindern, die nach 1945 in den Trümmern spielten und im Winter noch auf Kreuzberger Straßen rodeln konnten. Schon mit 14 zog es ihn von der Schule weg – hin zur Stahlbauschlosser-Lehre, dem Ausgangspunkt einer äußerst vielseitigen beruflichen Laufbahn. Bereits in der Lehre und dann in seinem Aufstieg zum Vorarbeiter war er aktives IG Metall-Mitglied. Die Gewerkschaftsarbeit blieb auch in den darauffolgenden Jahrzehnten in unterschiedlichen beruflichen Zusammenhängen das eine Standbein seiner politischen Aktivität.

Das andere Standbein wurde die politische Bildung. Dazu kam es allerdings erst rund um 1968. Zuvor hatte es ihn, der mittlerweile zum dreifachen Vater geworden war, in ganz andere Tätigkeiten wie Werbegrafik und Journalismus gezogen und nach einigem Hin und Her nach Westdeutschland verschlagen, wo er schließlich in Oldenburg landete. Dort wurde er Juso-Vorsitzender und ehrenamtlicher Funktionär der IG Druck und Papier. Und 1968 ff. in Oldenburg bedeutete dies: am linken Rand der SPD von marxscher Theorie inspirierte gewerkschaftliche Bildungsarbeit zu betreiben. Diese „linksradikalen Aktivitäten“ kosteten ihn zwar seinen Job bei der Nord-West-Zeitung, beflügelten ihn aber zur Aufnahme eines sozialwissenschaftlichen Studiums mit dem Schwerpunkt der Sozialpsychologie, bis er schließlich – wie er es später nannte – „promovierter Stahlbauschlosser“ wurde. In diesen Jahren war er zwar studentischer Vertreter im Gründungsausschuss der Universität Oldenburg, aber da er mittlerweile von den Jusos zum Marxistischen Studentenbund Spartakus und zur DKP gewechselt war, blieb ihm die angestrebte wissenschaftliche Tätigkeit an der von ihm mitgegründeten Uni verwehrt. Anfang der 80er erhielt er dann auch offiziell Berufsverbot. Er wäre ein toller Professor geworden, aber das wollten die damals Regierenden nicht.

Dies war der Startschuss für eine neue berufliche Etappe: Er wurde hauptamtlicher DKP-Funktionär und bald zum Vorsitzenden seiner Partei in Oldenburg gewählt. Was zunächst gradlinig erschien erwies sich jedoch als immer holperiger, denn wie einige andere seiner Spezies geriet er Mitte der 80er – wie er es schrieb – „auf die schiefe Bahn der Gorbatschow-Anhänger“. So kam es auf der Silvesterfeier 1986/87 bei Harald Werner und seiner (zweiten) Frau Heidi Knake-Werner zu einer Übereinkunft mit einigen anderen hauptamtlichen Funktionären, einen – selbstverständlich geheimen – bundesweiten Oppositions-Zirkel in der DKP aufzubauen. Daraus entstand eine in ihrem Selbstverständnis demokratisch-sozialistische „Erneuerungsströmung“, die erst ab dem Sommer 1988 an die Parteiöffentlichkeit zu treten wagte. In der Zwischenzeit wurde Harald vom Parteivorstand „zur Bewährung“ (wie er es selber nannte) auf die von der SED geführte Parteihochschule in Berlin-Biesdorf geschickt, wo er jedoch aus Sicht seiner Auftraggeber alles noch schlimmer machte. Mit einigen anderen Aufmüpfigen bildete er dort ein als „Wilde 13“ berüchtigtes Oppositionsgrüppchen gegen die Parteivorstands-Gehorsamen. Später schrieb er ein sehr unterhaltsames und immer noch lesenswertes Buch über dieses lehrreiche Jahr unter dem Titel Offene Fragen in der geschlossenen Abteilung. Das erfolgreiche Scheitern einer Kaderperspektive“. Die Worte „erfolgreiches Scheitern“ sind programmatisch zu verstehen: Als Parteifunktionär scheiterte er, aber sein Erfolg — und der anderer, die sich damals wie er in der Kommunistischen Partei für einen demokratischen Sozialismus engagierten — bestand in der Selbstbefreiung aus dem dogmatischen Gehäuse des Glaubens an eherne Grundsätze, die vermeintliche Sicherheit boten, weil sie nie dem verunsichernden Realitäts- und Praxistest unterworfen wurden.

Diese Selbst(!)-Befreiung machte ihn für eine weitere Verwendung als hauptamtlicher DKP-Funktionär untauglich, doch für eine politisch engagierte Forschungstätigkeit umso geeigneter. Dies konnte er in den 90er Jahren als aktives Mitglied der PDS in verschiedenen Aufgabenbereichen fortsetzen — zunächst in Bremen, dann in Bonn, wohin er seiner zur Bundestagsabgeordneten gewählten Frau folgte, und schließlich in Berlin, wo Heidi ab 2002 Senatorin für Soziales war. Harald konnte in diesen Jahren seine beiden politischen Standbeine reaktivieren: Er wurde Verantwortlicher des Vorstands für die politische Bildung in der Partei Die Linke, und er war von 2006 bis 2012 gewerkschaftspolitischer Sprecher des Parteivorstands, dem er in dieser Zeit angehörte.

Beides war für Harald sowohl Herzens- als auch Verstandessache. Ihm war klar, wie sehr die Substanz einer linken Partei von der politischen Bildung ihrer Mitglieder abhängt — und zwar gerade nicht durch die Verankerung von Glaubenssätzen, sondern durch die Befähigung zur eigenständigen und fundierten Meinungsbildung. Begeistert erzählte er von den kritischen und engagierten Diskussionen in den bundesweiten Seminaren mit örtlichen Bildungsverantwortlichen. Ebenso wichtig war ihm die „Erdung“ linker Parteipolitik — und dies wird am ehesten durch die Erfahrung von gewerkschaftlichem Engagement im beruflichen Alltag gewährleistet. Beides gehörte für Harald zusammen und motivierte ihn in seinem Engagement für die BAG Betrieb & Gewerkschaft der Partei Die Linke.

Harald gehörte zu den Gründungsmitgliedern der BAG, die heute der größte innerparteiliche Zusammenschluss ist und vor einem Jahr ihr dreißigjähriges Bestehen feierte. Gemeinsam mit Jakob Moneta, Peter Schoder, Gerald Kemski, Hermann Ziegenbein und noch einigen anderen gründete er am 25./26. Januar 1992 im thüringischen Friedrichroda die Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft. Es folgten nahezu jährlich gewerkschaftspolitische Konferenzen, die Fragen gewerkschaftlicher Strategiebildung aufgriffen und diskutierten. 2015 erinnerte Harald daran, dass die BAG in der Entwicklungsgeschichte des deutschen Mindestlohnes eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hatte. In den späten 1990er Jahren war es die BAG Betrieb & Gewerkschaft – damals noch eine Arbeitsgemeinschaft der PDS – die gegen den erheblichen Widerstand der eigenen Partei, die gerade im Osten der Republik den Verlust Tausender Arbeitsplätze fürchtete, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns zum Thema gemacht hatte. „Den einzigen Verbündeten fand die AG damals im Vorsitzenden der NGG, Franz-Josef Möllenberg, der mich freilich noch 2001 Hände ringend bat, die PDS möge das Thema nicht in die Öffentlichkeit tragen, bevor sich der DGB Bundesvorstand zum gesetzlichen Mindestlohn bekannt habe“. Dass DIE LINKE im Bundestagswahlkampf 2005 – gegen den Widerstand aller anderen Parteien – den Mindestlohn zu ihrer zentralen Forderung machte, war also auch Folge der unermüdlichen Arbeit der BAG Betrieb & Gewerkschaft.

Auch nach seinem Ausscheiden aus den Verantwortlichkeiten in seiner Partei blieb Harald ein engagierter und belesener Analytiker und Kommentator auf der Höhe der Zeit. Auf seiner Internetseite nahm er bis vor kurzem Stellung zu aktuellen Themen — von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ in Berlin über die Strategie der AfD bis hin zu Marx‘ und Engels‘ Analyse des kapitalistischen Naturverbrauchs. Man merkte ihm an, dass er zu gerne weiter Verantwortung getragen hätte. Aber er wusste, dass ihm dafür die Kraft fehlte — und machte daraus auch kein Geheimnis gegenüber denen, die ihn kannten.

Harald Werner war ein autonom denkender, in der marxschen gesellschaftstheoretischen Tradition gebildeter, zugleich durch seine Verbundenheit mit gewerkschaftlicher Interessenvertretung geerdeter linker politischer Intellektueller. Er starb am 23. Dezember 2023.

Ulrike Eifler ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft und arbeitet für die IG Metall in Bayern. Dr. Steffen Lehndorff ist wissenschaftlicher Mitarbeit im Institut für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen im Bereich Arbeitszeit und Arbeitsorganisation.