Wir trauern um Sybille Stamm und Detlef Hensche

Wir trauern um Sybille Stamm und Detlef Hensche

Von Ulrike Eifler

In den vergangenen Tagen erreichte uns die Nachricht, dass mit Sybille Stamm und Detlef Hensche zwei engagierte Gewerkschafter und langjährige Mitglieder der Partei DIE LINKE verstorben sind. Auch der BundessprecherInnenrat der BAG Betrieb & Gewerkschaft nimmt Abschied von diesen beiden herausragenden Figuren der Gewerkschaftsbewegung. Sie hatten vor allem der Gewerkschaftslinken über viele Jahre ein Gesicht gegeben.

Sybille Stamm starb im Alter von 78 Jahren in Stuttgart. Die Politologin war nach der Gründung von ver.di die erste Landesbezirksleiterin in Baden-Württemberg. Unter ihrer Leitung wuchsen die ÖTV, die HBV, die IG Medien, die Deutsche Postgewerkschaft und die DAG zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft zusammen. Vor der ver.di-Fusion war Sybille Bezirksleiterin und Leiterin der Abteilung Tarifpolitik der IG Medien. Davor arbeitete sie in der IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg. In dieser Funktion hatte sie vor allem der erfolgreiche Kampf um die 35-Stunden-Woche in der Metall- und Elektroindustrie politisch geprägt. „Im Arbeitskampf um die 35-Stunden-Woche 1984 war die Losung der Frauen: Wir wollen ‚Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen‘“, erinnerte sie Jahre später. „Und manchmal wurde ein ‚Lernen‘ hinzugefügt, denn auch dafür wollten die Frauen mehr Zeit. Das ging weit darüber hinaus, Arbeitslosigkeit mit Arbeitszeitverkürzung bekämpfen zu wollen. Mit der Frauen-Losung ertönte plötzlich eine ganz besondere Melodie im Streik, eine Melodie, die das ganze Leben in den Blick nahm“. Sybille stand für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik, wie später auch der wochenlange Arbeitskampf im öffentlichen Dienst gegen die Arbeitszeitverlängerung 2006 gezeigt hatte. Sybille war aber auch Mitglied der Partei DIE LINKE. Wir viele andere Gewerkschafter war sie nach langjähriger SPD-Mitgliedschaft aus Protest gegen die Agenda 2010 aus der SPD aus- und in DIE LINKE eingetreten. Sie engagierte sich sowohl in der Partei als auch in der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Für viele linke Gewerkschafter war Sybille mit ihrer politischen Biografie, mit ihrem Engagement und ihrer Meinungsstärke ein wichtiger politischer Referenzpunkt.

(c) Rosa-Luxemburg-Stiftung

Gleiches galt für Detlef Hensche. Der promovierte Jurist begann seine gewerkschaftliche Laufbahn zunächst als wissenschaftlicher Referent am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ehe er die Leitung der Abteilung Gesellschaftspolitik beim DGB-Bundesvorstand übernahm. 1975 wurde er in den geschäftsführenden Hauptvorstand der IG Druck und Papier gewählt wurde. Es folgten Arbeitskämpfe, die die Bundesrepublik verändern sollten, darunter der Kampf der Heinze-Frauen für gleiche Bezahlung von Männern und Frauen 1981 und natürlich der große zwölfwöchige Streik für die Einführung der 35-Stunden-Woche in der Druckindustrie nur drei Jahre später. In besonderer Erinnerung aber bleibt der Druck-Streik aus dem Jahr 1976 gegen die Lohnleitlinie der Bundesregierung, gegen die Aussperrung zehntausender und für den Erhalt der gewerkschaftlichen Handlungsfähigkeit. „Es war ein Sieg über die herrschende Ideologie, nach der die Arbeiter und Angestellten nur still ihre Opfer bringen sollten – auf dem Altar des imaginären Wachstums und angeblich arbeitschaffender Investitionen“, sagte Detlef rückblickend. „Es war ein Zeichen, dass Widerstand auch in der Krise nicht nur notwendig, sondern auch möglich ist“. Ab 1989 führte er zwölf Jahre lang als Vorsitzender die IG Medien. Mit der Agenda 2010 trat auch Detlef nach 40 Jahren aus der SPD aus und schloss sich der LINKEN an. Auch wenn es sich manch einer gewünscht hatte, aber er übernahm kein Amt mehr in der Partei, blieb aber bis zuletzt Mitglied im Ältestenrat der Partei. Er starb im Alter von 85 Jahren in Berlin.

(c) Stefanie Herbst

Die Meldungen zum Tod von Sybille Stamm und Detlef Hensche folgten kurz aufeinander. Beide gehörten zu einer Gewerkschaftsgeneration, die dem Konflikt zwischen Kapital und Arbeit kollektive Mobilisierungen und offensive Durchsetzungsstrategien entgegenstellte und daran politisch wuchs. Der Mut zum Widerspruch, das Vertrauen in die Kraft gewerkschaftlicher Gegenwehr und die Fähigkeit, betriebliche Kämpfe politisch zu verallgemeinern, ist etwas, was diese Generation maßgeblich kennzeichnet. Der Tod von Sybille und Detlef ist nicht nur ein schmerzlicher Verlust für die Gewerkschaftslinke, die zwei ihrer profiliertesten und klügsten Köpfe verliert. Er zeigt uns auch, dass sich allmählich eine Generation verabschiedet, die für eine organische Verbindung von kritischen Intellektuellen und der Klasse der Lohnabhängigen stand. Mit großer Selbstverständlichkeit haben sie ihre intellektuellen Fähigkeiten in den Dienst der Gewerkschaftsbewegung gestellt und dadurch wesentlich zur Politisierung der Gewerkschaftsarbeit beigetragen.

Diese Generation machte Gewerkschaftspolitik ebenso wenig unter selbstgewählten Umständen wie die heutige. Damals wie heute fanden bzw. finden wir gesellschaftliche Verhältnisse vor, in die wir eingreifen müssen, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen mindestens zu schützen, wenn nicht langfristig zu verändern. Für Sybille und Detlef war es nie eine Diskussion, diese Auseinandersetzungen weiter als das Tarifgeschäft zu fassen. Weil die Arbeits- und Lebensbedingungen nicht allein durch Managementbeschlüsse sondern auch durch gesellschaftliche Entwicklungen und politische Entscheidungen unter Druck geraten, war ihnen die Stärkung des politischen Mandats der Gewerkschaften stets ein wichtiges Anliegen. Mit der Erfahrung im Kampf um die 35-Stunden-Woche verfügten sie über ein Vertrauen in die eigene Unbeugsamkeit und das Selbstbewusstsein, Machtfragen offensiv zu stellen. Die BAG Betrieb & Gewerkschaft ist stolz darauf, dass Sybille und Detlef in den Reihen unserer Partei standen und die politische Ausrichtung wesentlich mitprägten.