Friedenskonferenz: Die Gewerkschaften dürfen sich von kurzweiligen Stimmungen nicht entmutigen lassen (Özlem Alev Demirel)

Die Gewerkschaften spielen in der Auseinandersetzung gegen Aufrüstung und Krieg eine Schlüsselrolle, sagt die Gewerkschafterin und linke Europaabgeordnete Özlem Alev Demirel im Gespräch mit uns.

Friedenskonferenz: Die Gewerkschaften dürfen sich von kurzweiligen Stimmungen nicht entmutigen lassen (Özlem Alev Demirel)
Bild: Ferran CornellàÖzlem Demirel. Bonn, 2019.01CC BY-SA 4.0

BAG Betrieb & Gewerkschaft: Özlem, du wirst an der Gewerkschaftskonferenz für den Frieden teilnehmen, die vom 14.-15. Juni in Stuttgart stattfinden wird. Wie wichtig sind die Gewerkschaften für die Friedensbewegung?

Özlem Alev Demirel: Wenn wir uns erfolgreich gegen Kriege, Aufrüstung und Eskalation stellen wollen, dann haben Gewerkschaften als natürliche Organisation der Arbeitenden dabei eine Schlüsselrolle. Denn wenn „die werktätigen Volksmassen sich gegen Kriege stellen, dann werden Kriege unmöglich“ sagte schon Rosa Luxemburg 1914. Wir dürfen niemals vergessen, was in jedem imperialen Krieg gilt: Es sind die arbeitenden und armen Menschen, die in Kriegen und für Aufrüstung die Zeche zahlen, und es sind in der Regel nicht die Söhne der Reichen, die an der Front sterben. Vielmehr liefern die Waffen die Reichen und die Armen die Leichen.

Wirkt sich der Krieg denn auch in sozialer Hinsicht auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in Deutschland aus?

Natürlich. Die Folgen des Krieges und die Folgen der NATO-Russland-Konfrontation führen zu Preissteigerungen, die die abhängig Beschäftigten und Armen am härtesten treffen. Und in Deutschland führt die massive Aufrüstung dazu, dass die Forderungen nach Sozialabbau, Rentenkürzungen und längeren Arbeitszeiten lauter werden. Deshalb ist es notwendig, die Folgen von Krieg und Aufrüstung aus dem Blickwinkel der abhängig Beschäftigten zu betrachten und Antworten zu formulieren. Hierbei spielen Gewerkschaften eine Schlüsselrolle, denn es ist notwendig, diese Debatten auch in den Betrieben zu führen.

Wie nimmst du denn aktuell die Diskussion in den Gewerkschaften zur Friedensfrage wahr?

Jeder Krieg wird mit eigenen Narrativen geführt. Russlands Überfall auf die Ukraine ist selbstverständlich zu verurteilen. Aber man sollte nicht so tun als ob der Westen auf der Seite der Menschen in der Ukraine steht. Verhandlungen für einen Waffenstillstand im Frühsommer 2022 wurden mit den Rufen Richtung Ukraine „Kämpft Jungs, kämpft weiter, ihr kämpft für unsere Freiheit“, abgebrochen. Die Ukraine wurde ermuntert, für die geopolitischen Interessen des Westens diesen Krieg weiterzuführen.

Ermunterungen, die von immer umfangreicheren, immer größeren und immer schwereren Waffenlieferungen begleitet wurden.

So ist es. Der Bevölkerung in Deutschland wurde das Ganze als Akt der Solidarität mit dem angegriffenen Volk verkauft und ihre Ängste vor einer Ausweitung des Krieges missbraucht für eine gigantische Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland. Diesen Narrativen wurde wenig entgegengesetzt. Zwar hielten die Gewerkschaften an ihren Positionen gegen Aufrüstung fest, aber wenn man diese Narrative nicht offensiv auseinandernimmt, dann verfangen sie in der Gesellschaft. Und das ist das Dilemma, vor dem wir stehen.

Das heißt, wir müssen diese Narrative schärfer angreifen?

Wenn wir das Sterben in der Ukraine beenden und schlimmeres verhindern wollen, dann müssen wir alle gemeinsam - auch die Gewerkschaften - offensiver und mutiger auftreten. Ich sage immer, es ist einfach, in Zeiten von Frieden gegen Krieg zu sein, aber in Zeiten von Kriegen für den Frieden aufzustehen, erfordert Mut.

Was heißt das konkret?

Ich hätte mir von den Gewerkschaften an der einen oder anderen Stelle deutlichere Worte gegen die zunehmende Militarisierung der deutschen Außenpolitik gewünscht. Stattdessen gab es ein Stillhalten vor der Ampelregierung. Das Hauptproblem ist aber, dass der Krieg Russlands in der Ukraine zu großen Verunsicherungen bis weit in die Gewerkschaften hinein geführt hat. Die Scharfmacher von Hofreiter bis Strack-Zimmermann nutzen diese Verunsicherung, um ihre Agenda der Konfrontation und der Aufrüstung mehrheitsfähig zu machen. Aber die Gewerkschaften dürfen sich von kurzweiligen Stimmungen nicht entmutigen lassen. Gewerkschaften können selbstbewusst auf ihre Anti-Kriegs-Tradition zurückblicken.

Können sich die Gewerkschaften dabei auch auf eine zunehmende Kriegsmüdigkeit in der Bevölkerung stützen?

Gerade im Ukraine-Krieg wird von Tag zu Tag deutlicher, dass die NATO-Strategie, den Krieg auf dem Schlachtfeld zu entscheiden, gescheitert ist. Aus meiner Sicht wächst in der Tat in der Bevölkeeung die Kriegsmüdigkeit. Aber dieses Unbehagen und die Skepsis müssen auf der Straße und in den Betrieben sichtbarer werden.

Dasselbe gilt natürlich auch für Israels Kriegsverbrechen gegen Gaza. So schrecklich die Bilder und Verbrechen am 7.Oktober waren, umso schrecklicher sieht es Monate nach den vielen Kriegsverbrechen Israels in Gaza aus. Hier hätten sich die deutschen Gewerkschaften den vielen anderen Gewerkschaften in der Welt anschließen müssen und Waffenlieferungen nach Israel schärfer verurteilen müssen.

Du bist Abgeordnete der LINKEN im Europäischen Parlament und setzt dich dort gegen den Aufrüstungskurs der EU ein. Wie sehr würde dir dabei eine klarere Positionierung der Gewerkschaften gegen die Militarisierung der Gesellschaft helfen? 

Eine deutlichere Positionierung der Gewerkschaften gegen die Militarisierung der Gesellschaft würde nicht nur meinen Einsatz für Frieden und Abrüstung im Europäischen Parlament erheblich stärken. Gewerkschaften haben historisch eine starke Stimme und großen Einfluss, wenn sie sich geschlossen und entschlossen zu politischen Fragen äußern. Nicht nur in der öffentlichen Diskussion, sondern auch im konkreten Handeln: Wir sehen in der aktuellen Auseinandersetzung um den Krieg der israelischen Armee im Gaza-Streifen, wie Gewerkschaften einen realen Unterschied machen können. So weigerten sich indische Hafengewerkschaften, Schiffe zu verladen, in denen sich Kriegsmaterial für Israels Krieg im Gaza befand. Das gleiche Signal ging von belgischen Luftfahrtgewerkschaften aus. Ich bin mir sicher, dass auch die Politik in Deutschland zu einem Kurswechsel gezwungen werden kann, wenn der Druck aus den Betrieben zunimmt.

Vielen Dank für das Gespräch!