In wenigen Tagen wird Ines Schwerdtner in Halle für den Vorsitz der Partei Die Linke kandidieren. Ines ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft, ist engagiert in der GEW und war bis 2023 Chefredakteurin des Jacobin-Magazins. Ulrike Eifler hat mit ihr über ihre Beweggründe für die Kandidatur und ihre Vorstellungen zur Stabilisierung der Partei gesprochen.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Ines, du kandidierst in Halle als Parteivorsitzende. Was hat dich zu dieser Entscheidung bewogen?
Ines Schwerdtner: Ich habe mir die Entscheidung in jedem Fall nicht leicht gemacht, weil die Aufgabe natürlich immens ist. Aber im letzten Jahr habe ich so viele großartige Genossinnen und Genossen auf meiner Tour kennenlernen dürfen, dass ich davon überzeugt bin, dass alles, was diese Partei braucht, um zu alter Stärke zu finden, bereits in ihr steckt. Als Parteivorsitzende wäre es meine Aufgabe, dieses enorme Potenzial zu heben.
Nenne uns drei Gründe, warum dir die Delegierten ihre Stimme geben sollten?
Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns auf das zurückbesinnen, wo wir herkommen. Eine Partei in der Tradition der Arbeiterinnenbewegung, eine Partei mit der wechselvollen deutschen Geschichte, als Volkspartei einerseits und als Partei gegen neoliberale Schweinereien der Agenda 2010 andererseits. Ich stehe mit meiner Biographie und meinen Überzeugungen voll und ganz in dieser Tradition. Ich traue mir zu, dort zu vermitteln, wo die Widersprüche aufeinander prallen und klar Position zu beziehen, wo es notwendig wird. Und ich glaube ich habe eine Idee davon, wie diese Partei in Zukunft sein könnte.
Nun ist klar, dass es in einer funktionalen Partei nur schwer möglich wäre, als relativ neues Parteimitglied für den Vorsitz zu kandidieren. Aber wir wissen: Die Linke ist derzeit keine funktionale Partei, sondern befindet sich in einer tiefen Krise. Was würdest du anders machen als deine Vorgänger?
Ja, das ist in der Tat so, unter anderen Bedingungen wäre es nicht möglich. Aber vielleicht ist dieser frische Wind in einer Partei, die trotz Wahlniederlagen beharrlich weitergemacht hat, wie bisher, auch ganz hilfreich. Nach einer Abspaltung klingt das vielleicht paradox, aber ich glaube, wir müssen mutiger in den Konflikt gehen, bei uns selbst und mit dem politischen Gegner. Selbstbewusst unsere Positionen vertreten, immerhin sprechen wir für unsere Klasse.
Du machst häufig den Punkt stark, dass Abgeordnete ihre Diäten in einen Sozialfonds spenden und nicht mehr zum Leben haben sollten als ein Facharbeiter. Ist das nicht Umverteilung in der Partei als Kompensation dafür, dass es mit der gesellschaftlichen Umverteilung noch nicht so klappt?
Nein, das wird niemals kompensieren, was es an gesellschaftlicher Umverteilung braucht. Dafür streiten wir ja auch weiter. Der Ansatz steht vielmehr in der Tradition der Pariser Kommune und anderer marxistischer Parteien: eine Abgeordnete sollte sich auch materiell nicht vom Leben der normalen Menschen abheben, sonst wird auch irgendwann ihre Politik abgehoben. Sozialsprechstunden und die Abgabe von Geldern sind eine Möglichkeit, die Haftung nicht zu verlieren. Viele unserer Mandatsträger machen das bereits, aber wir haben keine gemeinsamen Regeln dafür. Abgaben sollten nicht der Charity-Akt von Einzelnen sein, sondern eine gemeinsame politische Entscheidung.
Was könnte Die Linke von anderen linken europäischen Parteien lernen, um aus der Krise zu kommen? Und was müsste sie vielleicht auch selbst strategisch entwickeln?
Wir können kein Konzept 1zu1 übertragen, aber ich denke ein Blick über den Tellerrand ist hilfreich, um aus der Krise zu kommen: vieles von der Glaubwürdigkeit und dem Fokus auf wenige Themen wie das Wohnen können wir uns von der KPÖ abschauen, die betriebliche Verankerung und mobilisierende Kampagnen von der Partei der Arbeit in Belgien. Ihnen ist gemeinsam ein marxistisches Fundament. Wir als deutsche Linke haben eine eigene widersprüchliche Geschichte, die wir für die Weiterentwicklung ernst nehmen müssen. Ich denke da an konkrete Ideen und Ansprachen für den Parteiaufbau Ost & West, ich denke an konkrete Vorschläge, wie das deutsche Wirtschaftsmodell umzubauen wäre. Das alles kann man sich nicht abschauen.
Du hast in den letzten Monaten durch deine Tätigkeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung den Strategischen Dialog mitorganisiert, ein Veranstaltungsformat, das verschiedene Flügel der Partei zu strategischen Fragen zusammengeführt hat. Wäre es aus deiner Sicht sinnvoll, dass der neue Parteivorstand an der Verstetigung eines solchen Formates arbeitet und wenn ja, warum?
Der strategische Dialog ist ja aus der Not heraus entstanden, dass die Partei solche Formate über die zentralen gesellschaftlichen Fragen wie Frieden und Blockkonfrontation, den sozial-ökologischen Umbau oder die Frage, wohin wir unsere Wähler verloren haben, nicht systematisch gestellt hat. Ich finde, wir sollten diesen Dialog zwischen Stiftung und Partei weiterführen, am liebsten mit reger Teilnahme oder sogar unter der Federführung des Parteivorstands.
Du hast in deiner Wahlkampftour zur Europawahl stark gemacht, dass Die Linke für und um den Osten kämpfen müsse. Das ist aufgrund des tiefen Strukturbruchs in den letzten drei Jahrzehnten sicherlich auch nicht falsch. Aber das niedrigste Lohnniveau deutschlandweit findet man derzeit in Gelsenkirchen und Duisburg. Was bietet Die Linke den Menschen im Westen an, wo es auch große Armut und eine allgemeine Perspektivlosigkeit aufgrund tiefer Strukturwandelprozesse in den letzten Jahren gibt?
Die Linke steht im Westen nach wie vor vor der Aufgabe, Strukturen aufzubauen, die wir im Osten vergeblich versuchen zu halten. Meinem Eindruck nach ist gerade im Ruhrgebiet die Frustration mit der Sozialdemokratie und die wachsende Armut etwas, das wir nutzen müssten, um Menschen zu organisieren. Ich glaube, auch hier hilft es, wieder ganz grundsätzlich von der Position der Arbeit auszugehen, auch von der Würde der Arbeit. Ich dachte mir immer, wenn wir mehr Frauen bei uns hätten wie Susi Neumann, eine Putzkraft und Betriebsrätin aus Gelsenkirchen, die leider zu früh verstorben ist, dann werden wir auch wieder glaubwürdig. Das gilt auch für Hafenarbeiter in Bremerhaven oder einen Facharbeiter bei VW in Niedersachsen. Wir setzen uns bedingungslos dafür ein, dass niemand in Armut oder in die Arbeitslosigkeit rutscht.
Du bist GEW-Mitglied und Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft. Es ist vermutlich müßig, dich zu fragen, wie wichtig ein gutes Verhältnis der Partei Die Linke zu den Gewerkschaften für dich ist, oder?
Ja, die Gewerkschaften wurden in letzter Zeit immer in einer langen Aneinanderreihung progressiver Bündnispartner genannt. Dabei sind sie nicht einfach irgendeine Bewegung, sondern der zentrale Bündnispartner, wenn wir unsere Forderungen nach Umverteilung durchsetzen wollen. Es ist unsere Aufgabe, die ökonomischen Forderungen der Gewerkschaften auf eine politische Ebene zu heben und zu verallgemeinern. Ich finde, wir sollten nicht nur den Gewerkschaftsrat unserer Partei stärken, sondern auch die betriebliche Verankerung langfristig bestärken. Wir hätten dann ein viel stärkeres Fundament für unsere politische Arbeit.
Welche Schwerpunkte müsste die Partei in den nächsten Monaten setzen, um 2025 erneut in den Bundestag einzuziehen?
Ich würde mir wünschen, dass wir bis zur Bundestagswahl nicht jede Woche neue Forderungen aus dem Hut ziehen, sondern im Vorwahlkampf mit zehntausenden Gespräche innerhalb des Plan 25 sehr genau auswerten, was den Menschen wichtig ist und was unsere zentralen Themen sein werden. Wichtig ist der Fokus auf ein bis zwei Themen, mit denen wir in den Wahlkampf gehen und bei denen wir dranbleiben sollten. Damit jeder und jede wieder weiß, wofür die Linke steht.
Wie wichtig ist dabei das Thema Frieden für dich? War die Partei in der Frage bisher zu zögerlich?
Ja, ich denke, es war falsch, die Friedensfrage im Europawahlkampf weitgehend zu umschiffen. So haben wir massiv an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Ich habe kürzlich in unserer Mitgliederzeitschrift Links bewegt aufgeschrieben, wie ich mir einen Klassenstandpunkt in der Friedensfrage vorstelle und was das konkret für den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten bedeutet. Jan van Aken und ich haben auch bewusst an der Demo zum 3. Oktober teilgenommen, weil es uns wichtig war, die Partei dort selbstbewusst zu vertreten. Ich weiß natürlich um die widersprüchlichen Haltungen darum in unserer Partei, aber wir können uns den brennenden Fragen des Krieges nicht entziehen, schon gar nicht anderen überlassen. Denn es gibt natürlich einen Zusammenhang mit den Handelskriegen in der Welt, dem Wirtschaftsabschwung hierzulande, mit Sozialkürzungen und der inneren Zeitenwende in unserer Gesellschaft. Als Sozialistinnen sehen wir dieses große Ganze, um es auch im Einzelnen kritisieren zu können.
Vielleicht noch eine letzte private Frage: Welches Buch hast du zuletzt gelesen und worum ging es dabei?
Oh, ich habe “Bittere Brunnen” und “Die Reisenden der Weltrevolution” im Sommer parallel gelesen. Die beiden Autorinnen Regina Scheer und Brigitte Studer hielten kürzlich auch eine gemeinsame Lesung in der Rosa Luxemburg Stiftung und da merkte ich, dass dieser persönliche und wissenschaftliche Zugang zur Geschichte der kommunistischen Bewegung sich wirklich wunderbar ergänzt und meine Lektüre ganz und gar die richtige war.
Herzlichen Dank, Ines, für das interessante Interview. Der Bundessprecherinnenrat der BAG Betrieb & Gewerkschaft drückt dir fest die Daumen für die Wahl und freut sich auf die Zusammenarbeit.
Das Bewerbungsschreiben von Ines findet ihr hier: Kandidatur Ines Schwerdtner