"Ich will den Geist unserer Arbeitskämpfe ins Parlament tragen."
Cem ist Arbeiter bei VW, aktiver Gewerkschafter und Vertrauensmann. Er tritt für Die Linke in Salzgitter als Direktkandidat zur Bundestagswahl an. Wir haben mit Cem über seine Beweggründe gesprochen. Seine Kandidatur macht uns sehr stolz. Für die Listenaufstellung wünschen wir ihm daher viel Erfolg.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Cem, du bist für Die Linke Direktkandidat in Salzgitter und bewirbst dich gleichzeitig um einen vorderen Listenplatz. Was motiviert dich, für den Bundestag zu kandidieren?
Cem Ince: Ich bin Direktkandidat im Wahlkreis 49 (Salzgitter, Wolfenbüttel, Vorharz), dem aktuellen Wahlkreis unseres Bundestagsabgeordneten Victor Perli.
Mich persönlich motiviert, die Arbeitskämpfe, die wir momentan auf den Straßen, in unseren Betrieben und in unseren Regionen bestreiten müssen, in die Parlamente zu tragen!
Ich möchte zeigen, dass wir als Die Linke solidarisch an der Seite der Beschäftigten stehen. Nicht diese haben die Unternehmen in ihre misslichen Lagen gebracht, sondern die hochbezahlten Manager und Vorstände. Daher kandidiere ich sowohl für unseren Wahlkreis, für den ich vergangenen Samstag einstimmig nominiert wurde, als auch für den Listenplatz 2 der niedersächsischen Linken.
Du bist Gewerkschafter und arbeitest bei VW. Wie schaust du auf die aktuellen Entwicklungen bei VW?
Bei Volkswagen geht es aktuell um alles, was wir Beschäftigten solidarisch mit unserer Gewerkschaft, der IG Metall, jahrzehntelang erkämpft haben. Es geht insgesamt um den Erhalt der Industrie, viele Industriebetriebe haben zurzeit große Probleme. Die Probleme sind aber meist hausgemacht und dürfen nicht auf uns Beschäftigte abgewälzt werden.
Was genau meinst du damit?
Volkswagen hat zum Beispiel auf eine falsche Modellpolitik gesetzt, die sogenannten "Volkswagen", also Autos, die qualitativ hochwertig und für Durchschnittsverdienende bezahlbar waren, wurden nach und nach vollständig aus dem Programm genommen, nur um mit anderen Autos höhere Margen zu erzielen. Volkswagen hat den Dieselskandal verantwortet, somit die Kunden vergrault, musste Milliarden an Strafen zahlen, und der Vorstand will das nun mit betriebsbedingten Kündigungen und Werkschließungen wieder gut machen.
Was sagt die Belegschaft dazu?
Da dass, was die Arbeitgeber jetzt durchdrücken wollen, langfristig nichts bringen wird, fordern wir eine durchdachte und angemessene Zukunftsstrategie. Ansonsten können wir aber auch selber, und in meinen Augen deutlich besser, dieses Unternehmen führen. Die Kündigung des Zukunftstarifvertrages und vieler weiterer Tarifverträge, zeigt einen deutlichen Bruch in der Geschichte von Volkswagen, sowie in der jahrelangen gelebten Zusammenarbeit, die das Unternehmen erst erfolgreich gemacht hat.
Und Volkswagen ist noch immer erfolgreich, auch wenn der Konzern versucht, einen anderen Eindruck zu erwecken…
So ist es. Volkswagen verzeichnet Rücklagen in Höhe von 147 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass der Konzern und die Kernmarke weiterhin Milliarden an Gewinnen einfährt. Genau darum befinden wir Beschäftigten uns momentan im Arbeitskampf. Wir werden nicht zulassen, dass die Profitrate zu unseren Lasten erhöht wird. Es sind bereits viele Warnstreiks und Tarifrunden gelaufen, doch bislang ohne Ergebnis. Somit stellen wir uns auf die nächsten, größeren Arbeitskampfmaßnahmen im Januar ein. Diese Woche wird es weitere Tarifverhandlungen bei Volkswagen geben, wir sind vorbereitet.
Das Vorgehen des Managements ist ein riesengroße Sauerei, und es ist gut, dass die Mannschaft sich das nicht gefallen lässt!
Ich nenne all das gerne beim Namen: Klassenkampf.
Wäre der Erhalt der Arbeitsplätze in der Industrie ein Bereich, an dem du gern im Bundestag schwerpunktmäßig arbeiten wollen würdest?
Ja, die Industriearbeitsplätze in unserem Land sind von entscheidender Bedeutung. Die Existenz vieler Menschen, zahlreicher Familien und unzähligen Regionen hängt davon ab. Klar ist, dass sich vieles verändern muss, wir befinden uns momentan mitten in einer Transformationsphase der Industrie. Doch diese Transformation darf nicht zu Lasten der Beschäftigten gehen, die Beschäftigten müssen mitgenommen werden.
Wie genau würdest du das angehen?
Gerade im Hinblick darauf, dass sich viele Gewerkschafter*innen unserer Partei nicht mehr zur Wahl stellen, müssen wir die Lücken, die beispielsweise Susanne Ferschl oder Matthias W. Birkwald durch ihre großartige Arbeit hinterlassen, mit betrieblich verankerten GewerkschafterInnen füllen.
Susanne und Matthias, aber auch dein Vorgänger Victor Perli, standen immer für eine enge Zusammenarbeit den Gewerkschaften. Wenn ich dich richtig verstehe, willst du daran anknüpfen.
Ganz genau. Wir müssen uns als Linke in den Parlamenten und überall anders solidarisch mit den Beschäftigten erklären, ob in unseren Industriebetrieben, im öffentlichen Dienst oder ganz generell überall dort, wo die Arbeiter*innenklasse für ihre Rechte und bessere Arbeitsbedingungen kämpft. Wir müssen an ihrer Seite stehen. Wir müssen die Mitbestimmung und die Gewerkschaften stärken. Wir müssen dafür die gesetzlichen Rahmenbedingungen schaffen. Wir brauchen zudem einen Industriestrompreis und einen Transformationsfonds. Wir müssen den Umbau der Industrie, die Transformation, begleiten.
Welchen Anteil hat die aktuelle Bundesregierung an der aktuellen Deindustrialisierung?
Ihre politischen Fehlentscheidungen haben einen großen Teil dazu beigetragen, dass die Industriearbeitsplätze in Deutschland gefährdet sind. Wir müssen die nötige Infrastruktur schaffen und an den richtigen Stellen fördern, dafür muss die Schuldenbremse abgeschafft werden. Es muss Schluss sein damit, unsere Gelder in die Aufrüstung zu stecken. Stattdessen muss in den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge investiert werden, in den Ausbau des ÖPNV, in die Elektro-Ladeinfrastruktur, in die Sanierung unserer Schulen und der Aufbau des Bildungssystems. All das hängt unmittelbar miteinander zusammen.
Du bist aktiver Gewerkschafter. Brauchen wir mehr Gewerkschafter im Parlament, damit die Welt der Arbeit wieder stärker in den Fokus rückt?
Ich bin ehemaliger Jugend- und Auszubildendenvertreter, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender der Gesamt Jugend- und Auszubildendenvertretung bei Volkswagen und ehemaliges Mitglied des Ortsvorstandes der IG Metall Geschäftsstelle Salzgitter - Peine. Aktuell bin ich Mitglied der Vertrauenskörperleitung bei Volkswagen und Vorsitzender des Ortsmigrantenausschusses, sowie Delegierter der IG Metall Geschäftsstelle Salzgitter - Peine. Selbstverständlich brauchen wir mehr Gewerkschafter*innen aus unseren Betrieben in unseren Parlamenten, denn wir kennen die Probleme unserer Kolleginnen und Kollegen, nur so können wir diese in die Parlamente tragen. Grundsätzlich glaube ich aber, dass wir generell mehr Arbeiterinnen und Arbeiter in den Parlamenten brauchen und wenn diese dann noch gewerkschaftlich organisiert sind, umso besser!
Letzte, private Frage: Hast du ein Lieblingsbuch und wenn ja, worum geht es darin?
Ich habe ein Lieblingsbuch von Paulo Coelho - „Der Alchimist“. Aber aktuell lese ich noch ein Buch, was ich eigentlich seit längerem meinem Vorgänger, unserem ehemaligen Kreisvorsitzenden Rainer Nagel zurückgeben muss. Es ist von Jorge Semprun: „Federico Sanchez verabschiedet sich". Ich kann beide Bücher wärmstens empfehlen!
Vielen Dank für das Interview, Cem. Wir freuen uns über deine Kandidatur und wünschen dir viel Erfolg.
Portrait über Cem aus "der Freitag"
Artikel wurde am 22. Dez. 2024 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/politik/2024/12/ich-will-den-geist-unserer-arbeitskampfe-ins-parlament-tragen/.