"Wirtschaftspolitik ist das Herzstück linker Gewerkschaftspolitik."
Onur ist Jurist und Gewerkschaftssekretär in Bielefeld. Als Direktkandidat für Die Linke bewirbt er sich nun um einen Platz im Bundestag. Wir haben mit ihm über seine Schwerpunkte gesprochen, aber auch, warum «Die Ästhetik des Widerstandes» in Zeiten linker Spaltungen eine lesenswerte Lektüre ist.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Lieber Onur, welche Themen liegen dir besonders am Herzen?
Wirtschaftspolitik ist das Herzstück linker Gewerkschaftspolitik. Um die Kampfkraft der Gewerkschaften zu stärken und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, brauchen wir eine Politik, die konsequent auf Vollbeschäftigung setzt. Dafür muss die Schuldenbremse nicht nur umgangen, sondern langfristig abgeschafft werden. Es braucht ein Investitionsprogramm in historisch beispielloser Größe, um massiv in Wirtschaft, Infrastruktur, Umwelt und Gesundheit zu investieren.
Wie wichtig ist dir die Mitbestimmung?
Ein weiteres entscheidendes Thema ist in der Tat die Ausweitung von Mitbestimmungsrechten. Besonders die Unternehmensmitbestimmung wird viel zu oft vernachlässigt, dabei ist sie ein zentrales Instrument, um direkten Einfluss auf die Investitionspolitik der Unternehmen zu nehmen. Sie stellt ein Stück vergessener Wirtschaftsdemokratie dar, das wir dringend neu beleben müssen.
Wäre die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in dem Bereich, aus dem du kommst, ein Schwerpunkt deiner Arbeit im Bundestag?
Ja, auf jeden Fall. Ich arbeite in der Rechtsabteilung der Gewerkschaft ver.di in Ostwestfalen-Lippe und erlebe tagtäglich, wie Arbeitgeber den Klassenkampf auch mit juristischen Mitteln führen. Daher müssen wir die Kampfbedingungen der Beschäftigten nicht nur auf betrieblicher, sondern auch auf juristischer Ebene verbessern.
Wie genau würdest du das angehen?
Es gibt zahlreiche konkrete Baustellen. Ein zentraler Punkt ist das Kündigungsschutzgesetz, das dringend reformiert werden muss. Der Arbeitsplatz darf kein "wilder Westen" sein. Der Kündigungsschutz muss ab dem ersten Tag gelten. Es ist nicht hinnehmbar, dass Beschäftigte in kleinen Betrieben mit weniger als 10 Mitarbeitenden oder in den ersten sechs Monaten ihrer Tätigkeit der Willkür von Arbeitgebern ausgeliefert sind.
Ein weiteres massives Problem ist die Tarifflucht. Um diesem Trend entgegenzuwirken, brauchen wir dringend ein Verbot von OT-Mitgliedschaften (ohne Tarifvertrag) in Arbeitgeberverbänden. Das bedeutet: Unternehmen dürfen nicht weiter Mitglied im Arbeitgeberverband sein, ohne an Tarifverträge gebunden zu sein. Das wäre ein Meilenstein für die Tarifbindung.
Brauchen wir mehr aktive Gewerkschafter im Parlament?
Ja, unbedingt. Wir brauchen vor allem mehr betriebliche Akteure: Betriebsräte und Vertrauensleute. Diese Kolleginnen und Kollegen sind im Betrieb geerdet, kennen die täglichen Herausforderungen der Beschäftigten und wissen aus eigener Erfahrung, was Klassenkampf bedeutet. Ihre Perspektive ist unersetzlich, um realitätsnahe und dennoch radikale Politik, die über den Tellerrand hinausreicht, zu machen.
Hast du ein Lieblingsbuch?
Definitiv Die Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss. Eine wundervolle Lektüre über die Erfahrungen und Niederlagen der Arbeiterbewegung mit einem Plädoyer für die Einheit der Arbeiterbewegung – gerade in Zeiten der Spaltung besonders lesenswert.
Vielen Dank für das Gespräch, lieber Onur.
Artikel wurde am 23. Dez. 2024 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/politik/2024/12/wirtschaftspolitik-ist-das-herzstuck-linker-gewerkschaftspolitik/.