„Die Überwindung der Klassengesellschaft beginnt mit dem Hinterfragen der Verhältnisse.“
Ulrich ist Lehrer, GEW-Vorsitzender im Münsterland und will für Die Linke als Direktkandidat aus Steinfurt in den Bundestag. Uns hat er erzählt, was ihn antreibt und warum ein unterfinanziertes Bildungssystem ihn wütend macht. Wir freuen uns über seine Kandidatur und wünschen Ulrich viel Erfolg.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Ulrich, du bist Direktkandidat in Steinfurt und bewirbst dich um einen vorderen Listenplatz. Was motiviert dich, für den Bundestag zu kandidieren?
Ulrich Thoden: Marx schrieb einst "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an sie zu verändern". Das geschieht nicht nur, aber eben auch im Parlament. Ohne die Linke als einzige Friedenspartei gäbe es dort keinen Widerspruch zur offen vorangetriebenen Militarisierung, zum Sozialabbau, zur wachsenden sozialen Ungleichheit und zum Wegbrechen der Daseinsvorsorge. In meinem Alltag als Lehrer erlebe ich die bitteren Folgen dieses Klassenkampfs von oben, insbesondere bei Schüler:innen aus wenig privilegierten Familien. Ihnen aber auch allen anderen Gruppen in unserer Gesellschaft, die sonst keine Stimme haben, möchte ich im Parlament Gehör verschaffen.
Du bist Vorsitzender der GEW in Münster. Die Bildung ist in diesem Land gnadenlos unterfinanziert. Wo siehst du die Ursachen für diese Entwicklung?
Geld ist genug da. Und würde man endlich mal ein faires Steuersystem einführen, sogar noch viel mehr. Es ist nur eine Frage der Priorisierung, wofür man es ausgibt. Wenn es beispielweise um Rüstungsausgaben oder Steuererleichterungen für Besserverdienende geht, scheint ja genug Geld da zu sein. In einer Klassengesellschaft, wie der unseren ist Bildung immer auch ein Instrument zur Reproduktion dieser Klassenverhältnisse. Ein unterfinanziertes Bildungssystem trifft Menschen, die sich keine teure Privatschule oder Nachhilfeinstitute leisten können. Wenn ich aus wohlhabender Familie stamme, ist für mich auch die Höhe des Bafög unerheblich.
Wäre die Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Bildungssektor und eine bessere Ausstattung der Bildungseinrichtungen der Bereich, an dem du gern im Bundestag schwerpunktmäßig arbeiten wollen würdest?
Unbedingt! Die Überwindung der Klassengesellschaft beginnt mit dem Hinterfragen der Verhältnisse. Bildung ist dazu ein Schlüssel, ein Werkzeug der Emanzipation. Die Arbeiter:innenbewegung des 19. Jahrhunderts wusste das genau und hat daher die Arbeiter:innenbildungsvereine ins Leben gerufen.
Wie genau würdest du das angehen?
Der kostenlose und freie Zugang zu Bildung muss für Menschen jedes Alters jederzeit gewährleistet sein. In Schulen heißt das zum Beispiel: Eine Schule für alle im gebundenen Ganztag. Essen für Kinder und Jugendliche in allen Bildungseinrichtungen muss kostenlos sein. Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen z.B. für Erzieher:innen und Lehrkräfte. Und Bildung muss endlich vernünftig ausfinanziert sein. Dann können die Kolleg:innen endlich wieder in Klassen mit einer Schüler:innenzahl arbeiten, die eine individuelle Förderung ermöglicht, die ihren Namen verdient.
Du bist mit Leib und Seele Gewerkschafter. Brauchen wir mehr Gewerkschafter im Parlament, damit die Welt der Arbeit wieder stärker in den Fokus rückt?
Gewerkschaften sind die größte Organisation unserer Klasse. Gewerkschafter:innen bringen diese Perspektive ein, sind fest geerdet im wirklichen Leben und stehen im konstanten Austausch mit den Kolleg:innen. Bei bürgerlichen Abgeordneten habe ich zu oft den Eindruck, dass diese sehr abgehoben sind und in einer Parallelwelt leben. Deshalb sind auch Vorhaben wie z.B. eine erleichterte Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen für sie auch kein Thema. Deshalb mehr Gewerkschafter:innen in den Bundestag!
Letzte, private Frage: Hast du ein Lieblingsbuch und wenn ja, Worum geht es darin?
Ich habe mehrere Lieblingsbücher. Ganz vorn ist aber sicherlich Brave New World von Aldous Huxley aus dem Jahr 1932 mit dabei. Von allen düsteren Zukunftsvisionen verschiedener Autor:innen beeindruckt mich seine am meisten, weil er darin eine Klassengesellschaft beschreibt, in der durch selektiven Zugang zu Bildung, zwanghaftem Konsum und trivialer Unterhaltung die ausgebeuteten Massen vom Aufbegehren gegen das System abgehalten werden. Ich sehe da leider deutliche Parallelen zur Gegenwart.
Vielen Dank für das Interview, Ulrich. Wir freuen uns über deine Kandidatur und wünschen dir viel Erfolg.
Artikel wurde am 14. Jan. 2025 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/politik/2025/01/die-uberwindung-der-klassengesellschaft-beginnt-mit-dem-hinterfragen-der-verhaltnisse/.