Was wir immer brauchen, sind Sichtbarkeit und Solidarität!

Die Tarifrunde Post geht in die heiße Phase. Jan-Noah Friedrich ist ver.di-Vertrauensleutesprecher in Niedersachsen. Wie die Stimmung bei den Beschäftigten ist, sich ihre Arbeitsbedingungen ändern und wie Die Linke unterstützen kann, hat er unserem Bundessprecher Nils Böhlke erzählt.

Was wir immer brauchen, sind Sichtbarkeit und Solidarität!
Foto von Markus Spiske / Unsplash

BAG Betrieb & Gewerkschaft: Die Auseinandersetzung bei der Post geht in die heiße Phase. Wie nimmst du die Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen wahr?

Jan-Noah Friedrich: Bei uns im Standort ist die Stimmung sehr gut. Und ich weiß, dass das in vielen anderen Standorten auch so ist. Für die meisten von uns war es keine besonders große Überraschung, dass die Post auch in der zweiten Verhandlungsrunde am 23./24. Januar kein vernünftiges Angebot vorgelegt hat. Aber dass es wirklich so wenig Verhandlungsbereitschaft gibt, hat schon viele von uns wütend gemacht. Wir alle merken die gestiegenen Preise im Supermarkt, bei der Miete, bei den Nebenkosten – wir wollen keinen Luxus, sondern nur vernünftig leben können. Letztes Jahr hatte sich der Konzern das Thema "Wertschätzung" groß auf die Fahne geschrieben, aber davon haben wir nicht viel gemerkt. Jetzt ist den meisten von uns klar, dass wir ohne Streik nicht weiterkommen.

Das klingt nach der richtigen Stimmung...

Die Stimmung ist auch deshalb so gut bei uns, weil wir gleich zu Beginn der Warnstreikmaßnahmen vorne mit dabei waren und sich sehr viele Kolleg*innen beteiligt haben, sogar mehr als bei unserer großen Tarifrunde 2023. Unser Streikposten war komplett selbst organisiert und wir wissen, dass das unser Erfolg ist und dass wir wirklich ordentlich Druck aufbauen können, wenn wir uns zusammentun. Viele von uns sind über WhatsApp und Facebook gut vernetzt und die hunderten Fotos der Streikenden machen sehr viel Mut, dass wir uns am Ende gegen den Konzern durchsetzen können. 

Gleichzeitig gibt es aber auch viele Kolleg*innen, die zwar bereit sind, aber noch auf ihren ersten Streikaufruf warten oder – wie wir – gleich ein weiteres Mal rausgehen würden, um den Druck noch zu erhöhen. Gerade da sind vernünftige Rückkopplung und eine gute Streikstrategie sehr wichtig, um selbstbewusst voranzugehen und nicht schon nachzulassen, bevor es überhaupt richtig angefangen hat.

Wie haben sich eure Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren verändert?

Wie woanders auch haben wir mit Arbeitsverdichtung und Flexibilisierung zu kämpfen. Mit immer neuen Umstrukturierungen versucht der Arbeitgeber, Zeit und Personalkosten einzusparen. Bei den regelmäßigen Neubemessungen werden unsere Zustell-Bezirke dann immer größer gemacht bei gleichbleibender Arbeitszeit. Das hat natürlich Auswirkungen auf unsere Qualität und unser Stresslevel bei der täglichen Arbeit in den Betrieben und auf der Straße. Die meisten von uns mögen ihren Job, weil wir viel Kontakt mit unseren Kundinnen und Kunden haben und gute Qualität bringen wollen. Je mehr der Konzern spart, desto schwieriger wird das.

Am Ende wollen wir abends zuhause sagen können: Wir haben was Sinnvolles getan und die Arbeit geschafft, die wir uns vorgenommen haben. Aber auch das wird immer schwieriger. Zur körperlich anstrengenden Arbeit kommt immer mehr psychische Belastung und Druck, auch durch fehlende Anerkennung. Innerhalb der Logistik-Branche mag unser Konzern noch die besten Arbeitsbedingungen und gute betriebliche Mitbestimmung haben. Gleichzeitig haben viele Kolleginnen und Kollegen das Gefühl, dass sie als Mensch und ihre Fachkenntnisse als Beschäftigte gar nicht gefragt sind und dass sie überhaupt keinen Einfluss auf ihre tägliche Arbeit haben. Und dem können wir nur etwas entgegensetzen, wenn wir unsere Mitbestimmungsrechte gut nutzen und uns besser organisieren, um deutlich zu machen: "Das ist unsere Arbeit und wir lassen uns nicht alles gefallen!"

In der letzten Tarifrunde vor zwei Jahren sind die Beschäftigten sehr kämpferisch aufgetreten. Was hat sich seit dieser Tarifrunde bei euch im Betrieb und auch insgesamt unter den Beschäftigten verändert?

Kämpferisch sind wir immer noch. Aber natürlich ist es nicht leichter geworden. Wir haben weiterhin eine hohe Fluktuation. Zum einen verlassen uns viele Mitglieder in ihren wohlverdienten Ruhestand. Zum anderen gibt es immer mehr Kolleg*innen, die die Post verlassen und z.B. in den öffentlichen Dienst wechseln, weil die Arbeitsbelastung zu groß wird. Das heißt wir sind nochmal mehr auf gute betriebsnahe Gewerkschaftsarbeit und Organisierung angewiesen, wenn wir erfolgreich Arbeitskämpfe führen wollen. Das klappt insgesamt schon ganz gut, aber wir stehen auch noch vor einigen Herausforderungen. 

Die da wären?

Je größer der Druck und der Stress im Betrieb, desto mehr leiden auch unsere Teams darunter, weil Arbeitsleistung miteinander verglichen wird und es immer weniger Zeit gibt, Gespräche zu führen oder Konflikte vernünftig auszutragen. Gleichzeitig sorgt höhere Flexibilität durch ständiges Wechseln der Bezirke für weniger enge Beziehungen und Solidarität unter uns Kolleg*innen. Unsere Aufgabe als Gewerkschaft ist es, dafür zu sorgen, dass wir uns nicht gegenseitig fertig machen und stattdessen an einem Strang ziehen. Vor allem in Tarifrunden wie 2023 ist das sehr wichtig. Da konnten wir uns als Kolleg*innen mehr beteiligen und haben eine der größten Streikbewegungen bei der Post seit Jahren aufgebaut.

Ich denke rückblickend sehen viele Kolleg*innen, dass wir 2023 ein gutes Ergebnis erzielt haben, auch im Vergleich zu anderen guten Abschlüssen z.B. im öffentlichen Dienst. Was uns immer noch nachhängt, ist der schnelle Abschluss, nachdem die Kolleg*innen gerade erst mit großer Mehrheit für einen unbefristeten Streik gestimmt hatten. Auch jetzt sind die Kolleg*innen streikbereit, haben aber auch eine große Erwartungshaltung, dass ehrlich mit ihnen umgegangen wird und wichtige Entscheidungen nicht über ihre Köpfe hinweg getroffen werden. Schließlich geht es um ihren Lohn und ihre Arbeitsbedingungen; es ist ihr Arbeitskampf.

Wie habt ihr die Vernetzung unter den Beschäftigten vorangetrieben?

Vor Ort haben wir im letzten Jahr einen Verteiler mit allen Vertrauensleuten eingerichtet und versuchen uns, regelmäßig zu treffen und noch mehr Mitglieder dazuzuholen. Viele erzählen, dass man früher noch mehr miteinander zu tun hatte, da gab es öfter Betriebsausflüge und große, standortübergreifende Feiern. Heute sieht man sich vor allem auf den Betriebsversammlungen, da war unsere letzte große Versammlung am 22.01. nochmal ein entscheidender Moment, um unsere Interessen als Belegschaft auf den Tisch zu bringen.

Letztes Jahr haben wir im Sommer mit vielen Aktiven über unsere Standorte hinweg ein großes Fest organisiert unter dem Motto: "Gemeinsam arbeiten, zusammenhalten, zusammen feiern".

Wir brauchen wieder mehr solcher Räume, wo wir uns besser kennenlernen, austauschen und Vertrauen aufbauen können. Je besser das klappt, desto stärker sind wir dann auch im Streikfall dem Arbeitgeber gegenüber. Während der letzten Tarifrunde 2023 haben wir über ein Organizing-Seminar auch eine bundesweite Vertrauensleute-Vernetzung gestartet, um mehr Beteiligung in den Arbeitskampf zu bringen und unsere Betriebsgruppen vor Ort aufzubauen. Über Konferenzen, Seminare und Aktionen vor Ort sind wir in den letzten Monaten nochmal gewachsen und tauschen uns regelmäßig aus. Die Betriebe laufen alle unterschiedlich, da gibt es viel voneinander zu lernen und Grenzen im Kopf zu verschieben.

Was wollt ihr in den nächsten Wochen machen, um den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen?

Erstmal gehen unsere Warnstreiks weiter. In der dritten Verhandlungsrunde wird sich dann zeigen, ob wir den Druck noch weiter erhöhen müssen. Je länger die Verhandlungen dauern, desto eher kommen wir auch in die "heiße Phase" der Kolleg*innen im öffentlichen Dienst. Viele unserer Kolleg*innen wünschen sich mehr Öffentlichkeit und gemeinsame Streiks, um den Druck gegen Politik und Arbeitgeber zu erhöhen. Aus anderen Niederlassungen weiß ich, dass Demonstrationen geplant sind. Was wir gerade jetzt nach den ersten Streiks tun müssen: Weiter systematisch ins Gespräch mit den Kolleg*innen gehen, unseren Plan erklären und sie für weitere mögliche Streiks gewinnen. Der Konzern wird nur auf unsere Forderung eingehen, wenn er sieht, dass die Mehrheit von uns streikbereit ist, im Zweifel auch für länger als nur ein paar Warnstreiktage.

Spielt die vorgezogene Bundestagswahl in eurer Tarifrunde eine Rolle?

Das ist wirklich eine besondere Situation gerade. Obwohl der öffentliche Dienst direkter davon betroffen ist, merken wir das bei uns an den Einschüchterungsversuchen der Arbeitgeber, da wird dann von demokratischer Verantwortung und Verhältnismäßigkeit erzählt. Ich kenne aber kaum Kolleg*innen, bei denen das zieht. Unsere Forderung ist notwendig, gerecht und machbar. Wir streiken nicht aus Lust oder Langeweile, sondern weil wir dringend mehr Geld und Entlastung brauchen. Der Arbeitgeber hat es in der Hand, ob und wie lange wir streiken müssen oder auch nicht. Davon abgesehen befinden wir uns gerade erst in der Warnstreikphase. Mit längeren Ausfällen ist erst zu rechnen, wenn unsere dritte Verhandlungsrunde am 12./13. Februar erfolglos verläuft, bis dahin sollte es keine großen Verzögerungen geben. Aber auch da trägt der Arbeitgeber die Verantwortung.

Was empfiehlst du den Genossinnen und Genossen, wie sie euch am besten unterstützen können?

Einfach offen auf die Kolleg*innen zugehen, fragen, was sie brauchen und Unterstützung anbieten. An unserem Streikposten war Die Linke mit Kaffee und Süßigkeiten am Start – das hat uns im Orga-Team viel Arbeit abgenommen, ist gut bei den Kolleg*innen angekommen und es gab einige sehr schöne Gespräche. Was wir immer brauchen, sind Sichtbarkeit und Solidarität, gerade wenn länger gestreikt wird und unsere Kund*innen stärker betroffen sind. Da helfen vor allem drei Sachen: die Verantwortlichen benennen, zeigen, dass es viele Menschen gibt, die hinter uns stehen und deutlich machen, dass genug Geld da ist, um unsere Forderung zu erfüllen. Die Konzernseite schläft nicht und versucht, unseren Zusammenhalt zu brechen. Jede Stimme dagegen bringt uns unserem Erfolg einen Schritt näher.

Danke für das Gespräch und viel Erfolg für eure Tarifrunde.