Kein Generationenkonflikt: Warum die Rentenpolitik alle betrifft

Rente mit 70 spaltet nicht Jung und Alt, sondern dient Arbeitgebern und Reichen. Die wirkliche Frage ist: Wer zahlt? Statt Angst und Spaltung brauchen wir eine Debatte, die sich an Fakten orientiert, schreibt Olga Jablonka in ihrem aktualisierten Beitrag. Für eine starke Rente für alle Generationen.

Kein Generationenkonflikt: Warum die Rentenpolitik alle betrifft

von Olga Jablonka

Die Ankündigung der Renten-Reformen für den Herbst hat die Debatten über die Rente während der Sommerpause ordentlich aufgeheizt. Die jüngste Forderung der Wirtschaftsministerin Reiche zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit mithilfe einer Anhebung des Renteneintrittsalters, schlägt damit nicht nur in der eigenen Koalition hohe Wellen. Begleitet wird sie von Äußerungen des Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger, der Sozialstaat stehe kurz vor dem Kollaps. Die SPD-Spitzen stellen sich zwar öffentlich gegen diese Vorschläge, doch eigentlich haben sie die Rente mit ihrer Agenda 2010 erst an den Abgrund geführt, vor dessen Hinabfallen sie sie jetzt immerhin bewahren wollen. Die Diskussionen über die Anhebung des Renteneintrittsalters und die anstehenden Renten-Reformen zeigen uns, was in der politischen und medialen Debatte um die Rente schiefläuft; denn die Rentenfrage ist selbstverständlich keine Generationenfrage, sondern eine Verteilungsfrage. Trotzdem scheint es schwierig, durch den Mainstream-Dschungel des Demografie-Alarmismus durchzudringen.

👤
Olga Jablonka ist Volljuristin und hat zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag in der Rentenpolitik gearbeitet.

Stabilisierung des Rentenniveaus: eine Rückkehr vom Paradigmenwechsel

Die Ampel-Regierung scheiterte daran, jetzt will es die schwarz-rote Koalition umsetzen: die Stabilisierung des Rentenniveaus. Während die Ampel noch ambitioniert eine Stabilisierung bei 48 Prozent bis zum Jahr 2040 festlegen wollte, ist dies im Referentenentwurf zum Rentenpakt I/2025 von Arbeitsministerin Bärbel Bas nur noch bis zum Jahr 2031 vorgesehen. Die Einigung auf die Stabilisierung des Rentenniveaus bedeutet eine Abkehr von der durch die Agenda 2010 und die Merkel-Jahre versteifte Fokussierung auf die Beitragsstabilität und hin zur dringend notwendigen Betrachtung der Leistungsseite: der Höhe der Renten. Ein erfreulicher Schritt angesichts der Anfang der 2000er Jahre unter der SPD und den Bündnisgrünen begonnenen Absenkung des Rentenniveaus von lebensstandardsichernden 53 Prozent auf magere 48 Prozent, in dessen Folge sich die Altersarmutsquoten in Deutschland beinahe verdoppelten. Denn ohne eine Stabilisierung des Rentenniveaus sänke dieses bis zum Jahre 2045 auf deutlich unter 45 Prozent, die Altersarmut stiege weiter dramatisch an. Selbstverständlich sind diese 48 Prozent nie genug gewesen, dennoch: das Rentenniveau zumindest auf 48 Prozent zu stabilisieren und ein weiteres Absinken zu verhindern, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Generationenkonflikt als Kampfbegriff der Marktradikalen

Wer bezahlt die Renten?

In der Debatte um die Rente-Reformen tritt immer wieder ein interessantes, wenn auch für die Rentenpolitik unvermeidbares Phänomen auf: das Aufbauschen eines Generationenkonflikts. Beim Rentenpaket II der Ampel-Regierung wurde dieser an den Kosten des Gesetzesentwurfs aufgehängt. Um die Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent zu finanzieren, müssten sowohl die Beiträge zur Rentenversicherung als auch die Bundeszuschüsse angehoben werden. Ein viel zu simples Grundverständnis des der Rentenversicherung zu Grunde liegenden Umlageverfahrens führt also zu folgender falschen Schlussfolgerung: die Jungen müssen zahlen und die Alten profitieren.

Foto: Mary Blackwey / Unsplash

Das ist selbstverständlich völliger Quatsch. Um es deutlich zu machen: Zehnjährige Kinder zahlen gar nichts, was auch gut so ist, denn es besteht Schulpflicht, aber sie sind zweifellos jung. Andererseits zahlen auch 35-jährige, 45-jährige, 55-jährige und 65-jährige Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung ein, bevor sie, je nach Jahrgang, beispielsweise in die Regelaltersrente wechseln. Unstrittig sind 55-jährige, 60-jährige und 65-jährige nicht mehr jung, sondern älter. In Wirklichkeit zahlen nicht die Jungen für die Alten, zumal es auch 20-jährige Rentner und Rentnerinnen gibt, diejenigen zum Beispiel, die eine Waisenrente erhalten. Es gibt auch 48-jährige Rentnerinnen und Rentner, beispielsweise Menschen, die ihren Partner oder Partnerin verloren haben und nun eine Hinterbliebenenrente erhalten. Generell dürfen die Senior:innen nicht mit den Rentner:innen verwechselt werden. Ebenso dürfen die Beitragszahler:innen nicht mit den Jungen verwechselt werden. Jung ist man ausweislich fast aller politischer Jugendverbände nur bis maximal zum 35. Geburtstag. Rentenbeiträge zahlen die Menschen aber bis zu ihrem Berufsaustritt Jahrzehnte später.

Diese Aufzählung sollte deutlich machen, dass es bei der Rentenfinanzierung nicht um Jung und Alt geht, zumal es immer mehr Rentner:innen gibt, die weiterarbeiten.

Entscheidend sind die Einnahmen aus den Beiträgen.

Diese sind nicht mit der Anzahl der Beitragszahler:innen gleichzusetzen, sondern im Wesentlichen von der Höhe der Beitragszahlungen abhängig. Selbige sind selbstverständlich an die Höhe der Löhne gekoppelt. Der Dreiklang „gute Arbeit, gute Löhne, gute Rente“ verdeutlicht dies. Deshalb sorgte auch in den vergangenen Jahren die günstige Arbeitsmarktentwicklung für die gute finanzielle Entwicklung der Rentenversicherung, deren Nachhaltigkeitsrücklage im Juni 2025 mit 41,4 Milliarden Euro (1,38 Monatsausgaben) immer noch gut gefüllt war.

Die Union als Retter der Jugend?

Die Union wollte sich noch in der Debatte um das Rentenpaket II der Ampel an die Speerspitze des Generationenkonfliktes stellen. Dies verwunderte durchaus an einigen Stellen, wie zum Beispiel bei der ersten Lesung, in der der Unions-Abgeordnete Mathias Middelberg junge Menschen irrsinnigerweise aufforderte, sich gegen das Rentenpaket II auf der Straße festzukleben.

In der öffentlichen Sachverständigen-Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales inszenierten sich die Unions-Abgeordneten als Retter der Jugend, indem sie den von ihnen eingeladenen marktradikalen Ökonomen fast ausschließlich Fragen zu den angeblich ach so explodierenden Kosten stellten. Der Bundesrechnungshof spielte fleißig mit und wiederholte die völlig aus dem Zusammenhang gerissene Äußerung, das Rentenpaket II koste 500 Milliarden Euro. Das mochte wohl stimmen, allerdings summiert bis ins Jahr 2045. Im Jahr 2023 hatte die Rentenversicherung übrigens ein Einnahmevolumen von 381,2 Milliarden Euro. Mehr als eine Milliarde Euro am Tag.

Darauf wies auch der Sachverständige des DGB, Ingo Schäfer, hin und ordnete weiter ein: „Aus unserer Sicht sind solche Zahlen (…) des Bundesrechnungshofs nicht angemessen. Wenn ich über 20 Jahre hochrechne, hat der Bundeshaushalt ein Gesamtvolumen von 15 000 Milliarden Euro, das Bruttoinlandsprodukt 120 000 Milliarden Euro. (…) Damit kann ich immer Schockmeldungen produzieren und habe keine Aussage getroffen (…). Die Sozialreform Anfang des Jahrhunderts, als das Rentenniveau gesenkt worden ist, bedeutet, dass die Arbeitnehmer/-innen heute mindestens sieben Prozent ihres Bruttolohns einsparen müssten – zusätzlich – damit sie das Sicherungsniveau halten können. Das ist ein Volumen von über 100 Milliarden Euro per annum, das die Beschäftigten zu zahlen haben. Das war die größte Sozialreform dieses Jahrhunderts bisher (...).“

Zur Frage der Kosten führte er weiter aus: „Der Beitragssatz ist trotz demografischen Wandels und vier bis fünf Millionen mehr Rentnerinnen und Rentnern heute so niedrig wie er in den 1990er Jahren war. Der Anteil des Bundeszuschusses an den Einnahmen der Rentenversicherung ist niedriger als er im Jahr 2000 war. Der Anteil der Bundeszuschüsse am Bundeshaushalt ist niedriger als er im Jahr 2000 war. In allen Dimensionen gehen die Belastungen seit über 20 Jahren zurück. Und wir diskutieren medial permanent, dass diese Ausgaben explodiert seien.“

Hinterher stellten sich die Unions-Abgeordneten dennoch feixend vor die Kameras, um zu behaupten, die Anhörung hätte ergeben, wie ungerecht und teuer das Rentenpaket doch für die nachfolgenden Generationen sei. Absurdes Theater, zumal weitere Sachverständige exakt das Gegenteil gesagt hatten.

Jetzt trägt die Union zwar die im Koalitionsvertrag vereinbarte Stabilisierung des Rentenniveaus mit, aber nicht nur Wirtschaftsministerin Reiches Forderung nach einer Anhebung des Renteneintrittsalters, auch die Pläne des JU-Vorsitzenden Winkel, die Stabilisierung nicht vielleicht doch noch intern aufgrund der knappen Koalitionsmehrheit verhindern zu können, zeigen, dass die Union hier keineswegs eine Kehrtwende gemacht hat.

Rentenpolitik: Themenpapier der Fraktion Die Linke im Bundestag

Die wirkliche Generationenungerechtigkeit

Was denkt die junge Generation?

Wenn man sich dann aber fragt, was die jungen Generationen wirklich zum Thema Rente umtreibt, so stößt man auf völlig andere Gedanken. Die Sorge um die Altersarmut der Großeltern und Eltern und der eigenen werden dabei am häufigsten genannt. Gleichzeitig erkennen die jungen Menschen, dass das aktuelle System gar nicht geeignet ist, sie ausreichend abzusichern, falls sie nicht eine durchgehende Erwerbsbiografie mit gutem Gehalt vor sich haben. Letztere entspricht jedoch nicht den heutigen Realitäten. Selbständigkeit, oft wechselnde Jobs oder auch Teilzeit-Modelle sind leider Gift für eine gute Rente. Doch angesichts der hohen Inflation bzw. eines dauerhaft hohen Preisniveaus, explodierender Mietkosten und prekärer Arbeitssituationen erkennen auch viele jungen Menschen, dass sie kein Geld für ihre private Vorsorge zur Seite legen können. So sinkt das Vertrauen in das Alterssicherungssystem. Ernstzunehmende Reformvorschläge sind weder von SPD, Bündnisgrünen und schon gar nicht von Union, FDP oder gar der AfD in Sicht. Das Rentenniveau noch weiter absinken zu lassen, wäre die größte Ungerechtigkeit für die kommenden Generationen. Denn auch sie haben das Recht auf gute oder zumindest auf stabile Renten im Alter! Die Generationen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Gute Renten sollten ebenso selbstverständlich sein wie massive Investitionen in Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene.

Nochmals: falls das Rentenniveau jetzt nicht stabilisiert werden würde, würde es mittel- bis langfristig auf unter 45 Prozent oder noch tiefer absinken. Schon die Absenkung von 53 auf 48 Prozent hat die Altersarmut verdoppelt. Das weitere Absinken des Rentenniveaus wird dramatische Auswirkungen haben und jegliche soziale Absicherung durch die gesetzliche Rente noch weiter unterminieren. Wenn die Rente nach langjähriger Einzahlung nicht mal mehr über das Grundsicherungsniveau kommt, wird sie ihre Legitimation verlieren. Jeder – und damit sind FDP, CDU/CSU, AfD und jegliche marktradikale Ökonomen gemeint – der dieses Absinken in Kauf nehmen will, muss eine Antwort darauf haben, wie mit diesen sicher absehbaren dramatischen Folgen umgegangen werden möge.

Der ehemalige Forschungsleiter der Deutschen Rentenversicherung, Dr. Reinhold Thiede, analysierte dagegen bereits 2023, dass sich die demografische Entwicklung günstiger entwickelt habe, als bisher angenommen.

In der 15. Koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung habe sich durch prognostizierte Zuwanderung und Arbeitsmarktentwicklungen weitaus besseres Bild für die Rentenfinanzen ergeben, als noch in der 13. und 14. Dr. Thiede geht davon aus, dass die anstehende Entwicklung hinter bereits bewältigten Alterungen der Gesellschaft zurückbleibe. Dies betonte auch der Sachverständige der Deutschen Rentenversicherung Bund, das Direktoriumsmitglied Dr. Stephan Fasshauer, nochmals in der öffentlichen Anhörung zum Rentenpaket II auf eine entsprechende Frage von Matthias W. Birkwald (Die Linke).

Was kostet die Stabilisierung bzw. Anhebung des Rentenniveaus?

Eines ist ja richtig: die Stabilisierung und auch die Anhebung des Rentenniveaus kostet Geld. Eine ähnliche Erkenntnis ist: Wasser ist nass, die Erde rund und die AfD eine rechtsextreme Partei. Will sagen: einen Sozialstaat gibt es nicht umsonst, aber er kann auch Großes leisten, wenn man ihn ausreichend finanziert. Und dass soziale Absicherungen wie die Rente ökonomisch und historisch wichtige Errungenschaften sind, darüber müssen wir ja wohl hoffentlich nicht debattieren.

Im Referentenentwurf für das Rentenpaket der schwarz-roten Koalition geht die Bundesregierung davon aus, dass der Beitragssatz zur Rente bis 2030 auf 20,0 Prozentpunkte ansteigt, von aktuell 18,6 Prozent. Ohne die Stabilisierung würde er jedoch ebenso bei 20,0 Prozentpunkten liegen. Auch für die Jahre danach sieht es ähnlich aus, denn da liegen die prognostizierten Beitragssätze für die Jahre 2035 und 2040 sowohl mit als auch ohne Maßnahmen nur jeweils 0,1 Prozentpunkte auseinander. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Haltelinie dann nicht mehr gilt und das Rentenniveau schon auf 47 Prozent abgesunken sein wird.

Die Beitragseinnahmen wären durch das Rentenpaket II der Ampel auf 22,3 Prozent im Jahr 2040 angestiegen. Doch sie wären ebenso ansteigen, ohne das Rentenpaket und mit abgesunkenem Rentenniveau, dann halt „nur“ auf 21,3 Prozent. Durch die Stabilisierung des Rentenniveaus wären also nur ein Prozentpunkte Beitrag mehr hinzugekommen, geteilt durch Arbeitnehmer und Arbeitgeber. In aktuellen Werten sind das für einen durchschnittlich verdienenden Arbeitnehmer 21,04 Euro im Monat mehr für die Stabilisierung des Rentenniveaus.

Das zeigt, um welche Beträge es eigentlich geht. Auch eine Anhebung auf ein Rentenniveau von 53 Prozent ist mit moderaten Beitragssteigerungen finanzierbar. Die Anhebung auf 53 Prozent würde eine durchschnittlich verdienende Arbeitnehmerin (4208 Euro brutto) und ihren Chef aktuell jeweils nur gut 51 Euro im Monat kosten. Ein Rentner oder eine Rentnerin mit 45 Versicherungsjahren zum jeweiligen Durchschnittsverdienst hätte dafür 191 Euro mehr Rente monatlich (netto vor Steuern 168 Euro). Insgesamt erheischt eine solche Anhebung eine Beitragssatzerhöhung von 2,44 Prozentpunkten. Das entspräche 39,58 Milliarden Euro, wovon 7,47 Milliarden aus Steuermitteln kämen. Ein durchschnittlich verdienender Arbeitnehmer muss aktuell pro Monat 168,31 Euro in seinen voll besparten Riester-Vertrag einzahlen, um das Gesamtversorgungsniveau von 53 Prozent auszugleichen. Durch ein Rentenniveau von 53 Prozent könnte er dies unterlassen und würde somit sogar noch um 102 Euro im Monat entlastet werden. Damit könnte er privat vorsorgen ohne es zu müssen.

Was für einen einzelnen Arbeitnehmer 21,04 bzw. 51 Euro im Monat sind, läppert sich aber für die Arbeitgeber. Auch diese beteiligen sich daher lautstark an dem Märchen, die Stabilisierung des Rentenniveaus sei nicht generationengerecht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Lastenverschiebung zu Ungunsten der Beitragszahlenden

Interessant bei diesem Diskurs ist, welche Lastenverteilung bisher noch keine Beachtung fand. Mit dem Rentenpaket II der Ampel sollte auch die Fortschreibung der Bundeszuschüsse reformiert werden, also derjenige Teil der Einnahmen der Rentenversicherung, der aus Steuermitteln finanziert wird. Durch das Paket fiele der Anteil der Bundeszuschüsse an den Renteneinnahmen im Verhältnis geringer aus als bisher. Dabei ist eine solche Lastenverschiebung vom Bund zulasten der Beitragszahler kritikwürdiger als die Verteilung zugunsten der Renten. Man bedenke, dass die Bundeszuschüsse bereits jetzt als zu gering bemessen gelten. Das bedeutet, dass nicht beitragsgedeckte Leistungen, die eigentlich aus Steuermitteln finanziert werden sollten, von den Beitragszahlern gezahlt werden. Es ist daher auch falsch, dass Union und FDP in der öffentlichen Anhörung des Sozialausschusses gemeinsam mit dem Bundesrechnungshof wider besseres Wissen suggerierten, das Rentenpaket II belaste den Bundeshaushalt übermäßig. Jegliche Ausweitung privater Vorsorge zu Lasten der gesetzlichen Rente, wie schon bei der Riester-Reform, wird dazu führen, dass die Arbeitnehmer immer mehr von ihrem Gehalt in die Alterssicherung einzahlen müssten – ohne die Beteiligung ihres Arbeitgebers. Ob sie das aufgrund steigender Lebenshaltungskosten überhaupt leisten könnten, bleibt ebenso unbeantwortet wie die Frage, ob sich das überhaupt lohnte. Jegliche Reformvorschläge für die private Vorsorge und die Betriebsrenten weisen die Entwicklung in Richtung Garantieabbau und weg von der Absicherung des Lebensrisikos, der Erwerbsunfähigkeit und des Langlebigkeitsrisikos. Sie sind daher völlig ungeeignet, die soziale Absicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung zu ersetzen.

Mit dem Rentenpaket I/2025 der schwarz-roten Koalition geht es in eine andere Richtung. Die Mehrkosten für die Stabilisierung des Rentenniveaus werden durch den Bundeshaushalt getragen. Das bedeutet konkret, dass der Beitragssatz sich nur so entwickelt, wie er sich auch ohne die Stabilisierung bei 48 Prozent entwickeln würde. Das erwähnt auch der Bundesrechnungshof in seinem Bericht an den Haushaltsausschuss und spricht von einer Lastenverteilung zugunsten der Rentner:innen, die aber durch die Übernahme der Mehrkosten durch den Bund auch nicht von den Beitragszahler:innen getragen werden müsse. Wie sie das finden, werden sie bestimmt in den kommenden öffentlichen Anhörungen zu den Renten-Reformen kundtun. Wir dürfen gespannt sein.

Solidarsysteme bedeuten Umverteilung

Selbstverständlich ist es richtig, die Lastenverschiebung auf die Beitragszahler:innen zu thematisieren. Sie darf aber nicht - wie in den vergangenen Jahrzehnten - zu Lasten der Renten gehen.

Die Antwort ist so offensichtlich wie einfach: Umverteilung. Eine Ausweitung des Solidarsystems auf alle Erwerbstätigen steht dabei an erster Stelle. Aktuell haben die Gut-, Besser- und Bestverdiener (Beamte und Freiberufler wie Anwälte, Ärzte, Zahnärzte, Architekten) mit Pension und Versorgungswerken ihre eigene Absicherung. Eine Erweiterung der Rentenversicherungspflicht um diesen Personenkreis hat dabei Studien zufolge mittel- und langfristig gute Effekte auf die Finanzierung der Rentenversicherung. Ebenso würde sie viele Ungerechtigkeiten beseitigen, wie zum Beispiel die, dass den Pensionären und Pensionärinnen ein Inflationsgeld von bis zu 3.000 Euro ausgezahlt wurde, während die Rentnerinnen und Rentner mit 300 Euro Energiegeld abgespeist wurden.

Eine solche Reform sorgte für eine „demografische Untertunnelung“, da mit Rücksicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte nur die neuen Beamten einbezogen werden würden und diese die Einnahmen der Rentenversicherung in der Zeit der Babyboomer-Welle verstärken würden. Sie selbst gingen aber erst dann in Rente, wenn sich das „Demografieproblem“ durch den natürlichen Zeitablauf erledigt hätte.

Weitere Maßnahmen, wie beispielsweise die Verdoppelung der Beitragsbemessungsgrenze der GRV und eine Abflachung daraus entstehender sehr hoher Renten im höchsten verfassungsmäßig zulässigem Maße durch Einführung einer Beitragsäquivalenzgrenze, verbesserten ebenfalls die Einnahmen der gesetzlichen Rentenversicherung. Eine stärkere Beteiligung der Arbeitgeber an den Versicherungsbeiträgen ist in anderen europäischen Ländern, wie zum Beispiel in Spanien, Schweden, Österreich, Frankreich, oder Italien eine völlige Selbstverständlichkeit und würde die Arbeitnehmer entlasten.

Darüber hinaus können durch eine gerechtere Besteuerung von Überreichen und sehr großen Vermögen auch die Kosten für die demografische Entwicklung über die Bundeszuschüsse abgefedert werden. Das in einem Zusammenhang auch mit notwendigen Reformen wie der Einführung einer Bürgerversicherung in den anderen Sozialversicherungen zu sehen, sollte selbstverständlich sein.

Wieviel Panik darf es sein? Bild-Aufmacher in der aktuellen Rentendebatte, 27.07.2025

Dramatische Berichterstattungen zur Rente

Viele Meinungsartikel schlucken jedoch die einfache Mär des demografischen Schreckgespenstes. So wunderte es auch nicht, dass die FDP das Rentenpaket II der Ampel-Regierung blockierte, obwohl es auch ihr Prestige-Projekt, das sogenannte „Generationenkapital“, die Einführung einer kapitalmarktbasierten Komponente der Gesetzlichen Rentenversicherung, enthielt. Aus dem Umfragetief heraus schien sie sich bei ihren Klientelmedien einen Vorteil zu erhoffen. Doch wer die Generationenungerechtigkeit herbeischreibt, der muss auch eine Antwort auf die Auswirkungen eines sinkenden Rentenniveaus finden.

Weiterhin gilt: Rentner sollte man nicht mit Senioren, die Pensionen beziehen oder mit Menschen mit sonstigem Vermögen verwechseln. So entsteht medial der Eindruck des alten weißen Rentners, der der jungen Generation nicht nur einen zerstörten Planeten hinterlässt, sondern sie auch noch finanziell ausquetschen will und wie die Made im Speck lebt. Diese Erzählung ist genauso unwahr wie fatal. Mehr als 3,5 Millionen alte Menschen gelten in Deutschland als arm. Mehr als eine Million Menschen beziehen Leistungen der „Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung“. Ein Großteil der armen Rentner:innen geht nicht zum Sozialamt; aus Unkenntnis oder häufig aus Scham oder Angst, die Kinder und Enkel würden finanziell in Haftung genommen. Mehr als 600.000 alte Menschen bezogen 2023 Wohngeld, mehr als 400.000 „Hilfe zur Pflege“. Hier kann es nicht um die Meinung der Hauptstadtjournalisten oder der Wirtschaftsprofessoren gehen, denn sie werden später alle eine sehr gute Rente, Betriebsrenten oder eine sehr ordentliche Pension erhalten. Hier geht es auch nicht um die Meinung der Bundestagsabgeordneten, Staatssekretäre, Minister, Parteivorsitzenden oder früherer Blackrock-Manager. Sie alle sind gut oder sehr gut abgesichert. Allein die Debatte darüber, dass die Renten immerhin ja nicht nominal gekürzt würden, sie würden nur weniger „stark“ ansteigen, ist mehr als nur verharmlosend. Auf ihrer Grundlage auch noch Politik machen zu wollen, ist einfach nur menschenverachtend.

Ausblick und linke Rentenpolitik

Aktuell lebt jeder fünfte Rentner, jede fünfte Rentnerin in Altersarmut. Der Zusammenhang zum zusammengekürzten System der gesetzlichen Rente ist eindeutig und wird weiter klarer werden, zu Lasten aller kommenden Generationen und derjenigen, die nicht das Glück haben, durch eigene Altersicherungssysteme besser abgesichert zu sein. Darum ist klar: der Konflikt liegt bei der Alterssicherung nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Arm und Reich. Wozu also einen Generationenkonflikt aufbauschen, wenn nicht, um von den Unzulänglichkeiten im jetzigen System abzulenken?

Reformvorschläge sind so realistisch wie dringend notwendig. Eine Wiederanhebung des Rentenniveaus muss an vorderster Stelle stehen. Dadurch würden alle Renten sofort, einmalig und zusätzlich um gut zehn Prozent angehoben. Geld, dass die Rentnerinnen und Rentner dringend bräuchten und das nach den Inflationsjahren 2021-2023, in denen die Rentenanpassungen hinter der Inflation blieben, absolut notwendig ist. Die Anhebung des Rentenniveaus ist die beste Prophylaxe gegen Altersarmut. Denn: gegen Armut hilft Geld.

Die Anhebung des Rentenniveaus ist mit dem entsprechenden politischen Willen umsetzbar. Das zeigt nicht zuletzt die im Rentenpaket I vorgesehene Stabilisierung bei 48 Prozent. Auf gut Deutsch heißt die Stabilisierung der Renten bei 48 Prozent, dass die Renten so schlecht bleiben sollen, wie sie sind. Das reicht nicht! Es ist gut und richtig, dass eine Anhebung auf 53 Prozent deshalb auch von nahezu allen Sozialverbänden (VdK, SoVD, der Paritätische, Volkssolidarität) und den beiden größten DGB-Gewerkschaften, der IG Metall und ver.di, gefordert werden.

Berichte zur Rente dürfen sich nicht in Schockmeldungen über das bald implodierende System erschöpfen. Ebenso falsch und vereinfachend ist es, die absoluten Milliardenbeträge, die von der Rentenversicherung ein- und ausgegeben werden, plakativ zu dramatisieren. Es sollte wohl klar sein, dass die Versorgung der gut 21,2 Millionen Rentner:innen hohe Summen erfordert. Das Vertrauen in unsere staatlichen Sicherungssysteme muss wieder hergestellt werden. Das geht allein durch eine Stärkung des Systems, damit es endlich wieder für alle funktioniert.

Die Linke und die Rente: Würdevolles Leben auch im Alter

Fazit: Die gesetzliche Rente stärken!

Zum Schluss: Ist die Rente sicher?

Auf die allseits beliebte Frage, die Menschen in der Rentenpolitik gerne gestellt wird: „Ist die Rente sicher?“, ließe sich mithin antworten: Die gesetzliche Rentenversicherung hat mit ihrem solidarischen Umlagesystem mehrere verschiedene deutsche Staaten und zwei Weltkriege überstanden, diverse demografische Veränderungen sowie zahlreiche Weltwirtschafts- und Finanzkrisen. Die einzig realistische Bedrohung ist die schleichende Zerstörung und Kaputtkürzung der Rente, die von marktradikalen Kräften mit der Agenda 2010 begonnen wurde und deren Fortsetzung von der Öffentlichkeit bedauerlicherweise weitgehend unbemerkt voranschreitet. Begriffe wie „Generationengerechtigkeit“ und „demografischer Wandel“ werden missbraucht, um das System kaputt zu schreiben oder kaputt zu senden. Bemerken werden wir es erst, wenn wir selbst in Rente gehen werden. Daher sollten wir die jetzigen Rentnerinnen und Rentner ernst nehmen. Die Beschäftigten sitzen alle im gleichen Boot, egal wie alt sie sind. Wer nicht im Boot sitzt, der beklagt die angeblich zu hohen Kosten für die Rente merkwürdigerweise am lautesten. Diesen Sirenengesängen sollten sich alle klassenbewussten Menschen im Interesse der heutigen und aller künftigen Rentnerinnen und Rentner verschließen und alle anderen am Besten auch.

ℹ️
Bei diesem Beitrag handelt es sich um die Aktualisierung eines Beitrags, den die Autorin bereits vor einem halben Jahr zusammen mit Matthias W. Birkwald auf unserer Seite veröffentlicht hat. Der ursprüngliche Beitrag "Es gibt keinen Generationskonflikt in der Rentenpolitik" steht hier als Download weiterhin zur Verfügung:

Weiteres zum Thema Rente

Rentenreform statt Aktienzockerei
Mit Gewinnen am Aktienmarkt die Rentenbeiträge senken? Kein guter Deal für die Beschäftigten, warnt Matthias W. Birkwald. Durch das Generationenkapital wird torpediert, was für eine gute Rente unerlässlich ist: ein sicherer Arbeitsmarkt und gute Löhne.
Rentenexperte warnt: Ampel legt die Axt an den Sozialstaat
Der Haushalt der Bundesregierung ist kein sozialer Haushalt. Die Ampel langt bei der Rente zu und kürzt Zuschüsse zur Sozialversicherung. Matthias W. Birkwald warnt: So legt man die Axt an den Sozialstaat und bereitet den Weg für seinen weiteren Abbau.
Gegen Altersarmut und für einen sicheren Ruhestand
Wer von seiner Rente nicht leben kann, muss arbeiten, bis er stirbt. Altersarmut ist kein Einzelschicksal, sondern Folge einer Politik, die den Arbeitsmarkt in Unordnung gebracht und das Rentenniveau abgesenkt hat. DIE LINKE hat da was gegen: Ein Rentenkonzept. Matthias W. Birkwald stellt es vor.