Tarifgeschichten eines Kellners
Oliver Riek ist Kellner und arbeitet in Hamburg. Dort ist grad die zweite Verhandlung in der Tarifauseinandersetzung im Hotel- und Gaststättengewerbe gescheitert. Oliver ist aktiv in der NGG und ist Mitglied der Tarifkommission. Unser Bundessprecher Jan Richter hat mit ihm über seinen Job und die Tarifverhandlungen gesprochen. Neben seinen Erwartungen an die Politik hat Oliver aber auch Tipps für den nächsten Restaurantbesuch.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Lieber Oliver, du arbeitest als Kellner in Hamburg. Wie können wir uns deinen Joballtag vorstellen?
Oliver Riek: Mein Aufgabenportfolio ist das eines klassischen Kellners. Dabei ist der Anteil der Zeit, in der man Gäste bedient, nur die Hälfte von dem, was man tatsächlich noch an Vor- bzw. Nachbereitungen zu tun hat. Neben dem Bedienen beraten wir unsere Gäste bei der Menügestaltung und so weiter. Der Job ist sehr abwechslungsreich und man erlebt sehr sehr viel!
Du bist aktiv in der Gewerkschaft NGG. In welchen Gremien arbeitest du für und mit deinen Kolleginnen und Kollegen?
Seit meinem Eintritt engagiere ich mich zum Beispiel als Mitglied der Tarifkommission. Ich durfte aber auch an der Novellierung des Berufsbildes der Fachkräfte für Restaurants und Veranstaltungsgastronomie mitwirken und war als Delegierter sowohl auf der Landesbezirkskonferenz als auch auf unserem Gewerkschaftstag, was für mich eine große Ehre war. Ich engagiere mich immer dann, wenn die NGG mich braucht.
Das Gastgewerbe zählt zu den Branchen mit eher niedrigeren Verdiensten. Wie sind die Arbeitsbedingungen und Entlohnung bei euch? Gilt für euch ein Tarifvertrag und gibt es Betriebsräte?
In meinem Unternehmen gibt es einen Betriebsrat und wir werden nach dem Hamburger Tarifvertrag bezahlt. Ich kann mich also nicht bis hierhin nicht beschweren. Insgesamt aber ist das Problem, dass die Tarifbindung in Hamburg bei gerade mal 5 Prozent liegt. Als Teil des Niedriglohnsektors ist für die Masse der Beschäftigten der Mindestlohn das Maß der Bezahlung. Was die Arbeitsbedingungen angeht, haben diese sich in den letzten 20 Jahren immer weiter verschlechtert. Das Problem ist, dass mehr Betriebe aufmachen, als Personal akquiriert werden kann. Und nach der Pandemie haben sich die Bedingungen weiter verschärft. Aktuell fehlen ca. 100.000 Beschäftigte. Für diejenigen, die gebelieben sind, bedeutet das eine enorme Mehrarbeit. Kein Wunder also, dass empirische Studien und großangelegte Umfragen als die drei Hauptprobleme den Niedriglohn, keine Planungssicherheit und Stress ausmachen. Auch wenn partiell einige Betriebe umdenken, ist flächendeckend aktuell keine Besserung in Sicht.
Du bist auch Mitglied im Betriebsrat. Ist Union Busting bei euch ein Thema?
Wir haben tatsächlich das große Glück, einen gewerkschaftlich sehr aufgeschlossenen Arbeitgeber zu haben, mit dem wir uns auf Augenhöhe unterhalten und verhandeln können. Das ist vor allem in der Gastronomie bei weitem keine Selbstverständlichkeit, aber wenn Unternehmen sich ernsthaft damit auseinandersetzen, wo die Bedürfnisse der Beschäftigten liegen, ist das ein Gewinn für beide Seiten. Wir können uns zudem auch nicht über Personalmangel beklagen.
Der NGG-Hauptvorstand hat den Tarifkommissionen für die kommenden Tarifverhandlungen Lohnsteigerungen von acht bis zehn Prozent empfohlen. Für Beschäftigte im Gastgewerbe soll ein Monatslohn von mindestens 3.000 Euro anvisiert werden. Ist eure Tarifkommission in Hamburg dieser Empfehlung für die aktuelle Tarifrunde gefolgt?
Ja, die Forderung nach mindestens 3.000 Euro brutto gilt bundesweit. Die Tarifkommissionen haben sich dahingehend abgestimmt denn wir fordern, dass die gastronomischen Berufe nicht länger im Niedriglohnsektor verbleiben und die Beschäftigten nicht an der Armutsgefährdungsgrenze leben müssen.
Die Verhandlungen in der Hamburger Gastro wurden ohne neuen Termin abgebrochen. Was ist da passiert und wie geht ihr damit um?
Wir waren natürlich enttäuscht aber haben damit gerechnet, dass der DEHOGA auf unsere Forderungen nicht eingehen wird. Sie legte in der ersten Tarifrunde ein eigenes Angebot vor, dass bei ausgelernten Kräften 155,- Euro bei einer Laufzeit von 24 Monaten vorsieht. Für uns ist das ein Hohn und ein Schlag in das Gesicht für die Beschäftigten, die auch in und nach der Pandemie die Branchen am Laufen gehalten haben. Zudem sendet das Gegenangebot das Signal an potentielle Bewerbenden, sich lieber doch für eine andere Branche zu entscheiden. Die weiterhin steigenden Preise werden diese geringe Lohnsteigerung ohnehin gleich kompensieren. Die gute Nachricht aber ist, dass wir uns am 05.03.2024 zur zweiten Tarifrunde treffen werden. [Anmerkung: Auch die zweite Verhandlungsrunde ist gescheitert.]
In der Gastronomie ist die Situation ähnlich wie im Einzelhandel, es gibt mehrere Regionen in Deutschland und entsprechend zeitversetzte Laufzeiten des Tarifvertrags. Neben euch in Hamburg läuft die Tarifrunde auch bereits in Brandenburg und Sachsen, weitere Bundesländer folgen bis Mai. Sprecht ihr euch ab oder plant und kämpft jede Region für sich allein? Plant ihr bundesweite Streiktage?
Bei der bundesweiten Forderung haben wir uns natürlich abgesprochen und auf dem letztjährig stattgefundenen Gewerkschaftstag haben wir für die kommenden fünf Jahre die Arbeit unserer Gewerkschaft festgemacht. Ansonsten kämpft jede Region für sich, weil sie am besten die Bedürfnisse der Beschäftigten vor Ort kennen und weil sich auch die Arbeitgeberseite stark unterscheiden. Zudem wird manchmal auch über den Mantel gesprochen. Eine Vereinheitlichung ist das nicht möglich und meiner Meinung nach auch nicht sinnvoll. Natürlich aber unterstützen wir uns gegenseitig wo es geht und sinnvoll ist. Und wichtig ist sich, die knappen ins zur Verfügung stehenden Ressourcen sinnvoll einzusetzen.
Wenn man sich mit euch solidarisieren möchte, was hilft euch am meisten? Wie können Leute mit euch in Kontakt kommen und welche Erwartungen hast du an Politik und Parteien?
Solidarisieren kann man sich am besten damit, in die Gewerkschaft, die für einen zuständig ist, einzutreten. In Kontakt kann man über einzelne Mitglieder oder über die Onlineangebote wie die sozialen Netzwerke der Gewerkschaften treten. Zudem ist es immer gut, sich in Betriebsräten zu engagieren. Was meine Erwartungen an die Politik angeht, sind diese sehr unterschiedlich. Von der Bundesregierung erwarte ich mehr steuerliche Entlastung, also mehr Netto vom Brutto und ich erwarte, dass die von der EU vorgegebene Mindestquote an Tarifbindung endlich auch in Deutschland konsequent durchgesetzt wird. Statt Menschen mit kleinen oder mittleren Einkommen steuerlich stark zu belasten, sollten eher die Reichen und Superreichen zur Kasse gebeten werden. Da wir eine sozialdemokratisch geführte Regierung haben, kann man dies durchaus von ihr verlangen. Die Anhebung des Mindestlohnes reicht da bei weitem nicht aus.
Was die Parteien angeht: Von den neoliberal- konservativen Parteien erwarte ich gar nichts, am wenigsten von den Nazis der AfD. Die SPD sollte sich lieber spät als nie auf ihre Wurzeln beziehen, die Grünen müssen den sozial- ökonomischen Umbau stärker fokussieren. Und Die Linke? Die ist für mich das einzig wirkliche soziale Korrektiv im Bundestag. Die Linke ist die einzige Partei, die uns WIRKLICH im Fokus hat und an dieser Stelle danke ich besonders Susanne Ferschl, die nicht nur in derselben Gewerkschaft ist wie ich, sondern sich auch massiv für uns einsetzt. Von daher braucht es weiterhin eine starke Linke!
Du bist wie ich Mitglied der Partei Die Linke. Was wünscht du dir von deiner Partei und was kann Die Linke aus eurem Tarifkampf lernen?
Ich bin überzeugtes Mitglied und habe mich viel engagiert. Dennoch haben wir uns in der Vergangenheit zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Ich wünsche mir vor allem, dass sich Die Linke nicht nur mit der Pflege oder dem Hamburger Hafen auseinandersetzt und andere Branchen nicht aus den Augen verliert. Am meisten kritisiere ich die oft zu beobachtende Akademisierung in der Sprache und in Texten. Aber alles in allem wurde mir sehr viel geholfen. Aber jetzt das wirklich Tolle: Als ich um Unterstützung für die Gastro bei der Partei bat, waren alle sofort am Start. David Stoop von der Bürgerschaft und überhaupt die ganze Bürgerschaftsfraktion, ihr von der BAG Betrieb & Gewerkschaft oder die Bewegungslinke. Das zeigt, dass linke Politik funktioniert! Ich denke, Die Linke braucht keinen Rat von mir, wenn es um Tarifauseinandersetzungen geht, das können wir ganz gut!
Unter „Gastronomicus – Alltagsgeschichten eines Kellners“ veröffentlichst du Anekdoten und Kurzgeschichten aus deinem Berufsalltag. Manche sind zum Schmunzeln, andere regen aber auch zum Nachdenken an. Du bist nicht gut auf Trinkgeld zu sprechen. Warum nicht?
Trinkgeld ist ein komplexeres Thema als man denkt und um es nicht zu lang zu machen, hier nur mal eine Zusammenfassung. Trinkgeld ist ein Geschenk des Gastes, welches nicht versteuert werden muss. Es wird weder auf den Rentenanspruch noch auf den Anspruch auf ALG II. Angerechnet aber von vielen Unternehmen als eine Art Lohnersatz angesehen. Dann heißt es: „Das Gehalt ist Mindestlohn aber dafür ist das Trinkgeld gut.“ Der Gast soll also den Geiz der Betriebe mit seinem Trinkgeld subventionieren und dass das System Trinkgeld prekär sein kann, haben wir in der Pandemie gesehen. Trinkgeld bekommt nämlich nur der, der arbeitet. 60% Kurzarbeitergeld waren zum Leben jedenfalls zu wenig!
Letzte Frage: Du hast mal geschrieben, dass es Bestattungsinstitute und Restaurants immer geben wird. Wenn ich auswärts essen gehe, was sind die größten No-Go’s und was rätst du mir, worauf ich unbedingt achten sollte?
Mein größter Appell an dich und an alle anderen Gäste ist, sich einfach bedienen und verwöhnen lassen. Und bitte nicht mit dem Personal über die gestiegenen Preise diskutieren, weil die Kolleginnen und Kollegen im Service auch nichts für die Inflation können! Gegenseitiger Respekt und Begegnung auf Augenhöhe ist das wichtigste!
Lieber Oliver, vielen Dank für das Gespräch!
Artikel wurde am 22. Dez. 2024 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/tarifrunden/2024/03/ich-engagiere-mich-immer-dann-wenn-die-ngg-mich-braucht/.