Make Amazon Pay - Würde statt Ausbeutung

Der Streik bei Amazon in Frankenthal zeigt eindrücklich, wie hart die Arbeitsrealität für viele Beschäftigte ist – und wie viel Mut es braucht, dagegen aufzustehen. Julia-C. Stange war vor Ort und hat den Kolleg*innen zugehört. Ihre Geschichten zeigen, wie dringend sich etwas ändern muss.

Make Amazon Pay - Würde statt Ausbeutung
Foto: Julia-C. Stange

Letzten Freitag war ich am Amazon-Standort in Frankenthal, um die streikenden Beschäftigten zu unterstützen. Ich habe mit vielen Kolleg*innen gesprochen, ihre Geschichten gehört – und ich habe ihnen die schlechten Arbeitsbedingungen regelrecht in den Augen ansehen können. Was ich dort erlebt habe, steht beispielhaft für die Situation an vielen Amazon-Standorten in Deutschland und darüber hinaus: massive Belastung, hoher Druck, mangelnder Gesundheitsschutz und der ständige Versuch, Beschäftigte einzuschüchtern und daran zu hindern, ihre Rechte wahrzunehmen.

Mehr als 370 Menschen legten in Frankenthal die Arbeit nieder – Teil des internationalen Aktionstags „Make Amazon Pay“, der in über 30 Ländern stattfand. Der Zeitpunkt ist kein Zufall: Rund um „Black Friday“ explodiert das Paketvolumen, und der Arbeitsdruck erreicht extreme Höhen. Gleichzeitig erzielte Amazon allein in Deutschland 2024 einen Umsatz von über 39 Milliarden Euro. Trotzdem berichten Beschäftigte von einem Alltag, der körperlich und psychisch krank macht. Manche trinken bewusst weniger, um sich für Toilettenpausen nicht rechtfertigen zu müssen. Wer nach Jahren schwerer Arbeit gesundheitliche Einschränkungen entwickelt, wird oft einfach aussortiert. Besonders Geflüchtete, die ihre Rechte nicht kennen, werden gezielt unter Druck gesetzt.

Der Gewerkschaft zufolge versuchte das Unternehmen am Streiktag aktiv, Menschen vom Streiken abzuhalten. Manager fingen Beschäftigte noch im Shuttle-Bus ab und forderten sie auf, zu arbeiten – auch jene mit geringen Deutschkenntnissen, die besonders leicht einzuschüchtern sind. Dasselbe Muster zeigte sich am Standort Mönchengladbach: Dort wollte man Gewerkschaftsaktive zunächst trotz klarer Rechtslage (vgl. BVerfG Az. 1 BvR 719/19 & 720/19) vom Gelände verweisen. Erst nachdem man mehrfach verlangte, die Polizei hinzuzuziehen, wurde der Zugang schließlich gestattet. Auch dort standen Manager sichtbar präsent am Streikort, sprachen Beschäftigte direkt an und versuchten, sie zur Arbeitsaufnahme zu bewegen. Allein ihre Anwesenheit reichte aus, um viele Kolleg*innen einzuschüchtern.

Wie hoch der Druck ist, zeigt ein tragischer Fall aus Erfurt: Am 12. November starb ein Beschäftigter in der Toilette des Logistikzentrums, nachdem er sich schwer krank zur Arbeit geschleppt hatte. Als er einem Manager sagte, dass er heimgehen müsse, wurde ihm das verweigert. Dieser Fall ist ein erschütterndes Beispiel dafür, was passiert, wenn Arbeitsverdichtung, Leistungsdruck und die Angst vor Sanktionen zusammenspielen. Er zeigt schmerzhaft klar, dass hier nicht nur über Arbeitsbedingungen gesprochen wird – sondern über Menschenleben.

Im Frankenthaler Lager arbeiten regulär mehr als 370 Menschen, an Standorten wie Winsen sind es bis zu 2.500, in der Hochsaison deutlich mehr – viele davon in Kurzzeit- oder Saisonverträgen, was sie besonders verwundbar macht. Die Belastungen, gerade in Peak-Zeiten, sind enorm. Kolleg*innen berichten von Stress, Hektik, fehlender Wertschätzung und einem Klima, das Angst erzeugt statt Sicherheit.

Trotz all dessen habe ich etwas sehr Starkes erlebt: Dankbarkeit und Solidarität. Die Beschäftigten betonten immer wieder, wie viel es ihnen bedeutet, dass die Gewerkschaft zu jeder Tages- und Nachtzeit, bei jedem Wetter, am Streikposten steht und an ihrer Seite kämpft. Doch alle wissen auch: Unterstützung ist wichtig – aber organisieren müssen sie sich selbst. Selbstermächtigung entsteht dort, wo Kolleg*innen zusammenstehen und gemeinsam Druck aufbauen. Genau das passiert gerade, und es ist beeindruckend.

Die Forderungen der Beschäftigten und der Gewerkschaft sind klar:
🔸 Anerkennung der Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels
🔸 Aufnahme von Tarifverhandlungen
🔸 und insbesondere der Abschluss eines Tarifvertrags „Gute und Gesunde Arbeit“ – denn Gesundheitsschutz, Entlastung und Respekt dürfen keine freiwilligen Zugeständnisse eines Milliardenkonzerns sein.

Der Streik zeigt: Gute Arbeitsbedingungen sind kein Geschenk. Sie werden erkämpft. Die Kolleg*innen bei Amazon machen diesen Kampf sichtbar – mutig, solidarisch, entschlossen. Aber es liegt nicht nur in ihrer Hand: Es ist auch unsere politische Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich die Bedingungen endlich und nachhaltig verbessern.

Und genau dafür werde ich ihre Stimmen und Erfahrungen mitnehmen – dorthin, wo Entscheidungen getroffen werden: in den Bundestag.

👤
Julia-C. Stange ist Fachkinderkrankenschwester und Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft. Seit Ende Februar ist sie für Die Linke im Bundestag.