„Protest organisiert man – er fällt nicht vom Himmel.“

Gewerkschaftliche Verankerung ist zentral für eine Partei, die Klassenpartei sein will, sagt unser Bundessprecher Nils Böhlke. In NRW hat er einen Gewerkschaftsrat gegründet und die PTB zum strategischen Austausch in den Landesvorstand eingeladen. Über seine Erfahrungen haben wir mit ihm gesprochen.

„Protest organisiert man – er fällt nicht vom Himmel.“

BAG Betrieb & Gewerkschaft: Nils, du bist frisch gewählter stellvertretender Landessprecher der Linken in NRW. An dieser Stelle noch mal herzlichen Glückwunsch zu deiner Wahl. Was hast du dir für die Amtsperiode vorgenommen?

Nils Böhlke: Ich möchte vor allem die gewerkschaftliche Verankerung der Linken in NRW ausbauen. Wir haben in dem Jahr, in dem ich jetzt gewerkschaftspolitischer Sprecher im Landesvorstand bin, bereits erste kleine Schritte gemacht, sind aber noch weit davon entfernt, die organisierende Klassenpartei zu sein, die wir nach dem letzten Leitantrag des Bundesparteitags sein wollen. In NRW haben wir Kontakte in die Gewerkschaften und insbesondere auch mit den Beschäftigten der Stahlindustrie ausgebaut. Jetzt wollen wir mit der Neugründung des Gewerkschaftsrats und mit weiteren Schritten zur Verankerung in den Betrieben weiter vorankommen. Wir müssen perspektivisch dazu kommen, dass Die Linke dazu beiträgt, betriebliche und gewerkschaftliche Proteste zu verstärken. Sie kann für mehr öffentliche Aufmerksamkeit sorgen und zu Erfolgen für die Kolleginnen und Kollegen beitragen.

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Nils Böhlke arbeitet bei ver.di als Gewerkschaftssekretär, ist Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft und wurde Anfang November zum stellvertretenden Landessprecher von Die Linke in NRW gewählt.

Worin siehst du die zentralen Aufgaben der Linken in NRW?

Die Angriffe auf unsere Klasse sind überall zu spüren. Ein Kanzler, der behauptet, dass wir uns den Sozialstaat nicht mehr leisten können, muss uns alle alarmieren. Errungenschaften, die in teilweise jahrelangen Kämpfen erreicht worden sind, wie der Achtstundentag und die Absicherung vor dem Entzug des absoluten Existenzminimums werden von der aktuellen Regierung infrage gestellt. Gleichzeitig wird die Militarisierung aller Lebensbereiche immer weiter vorangetrieben. Auf den Protest dagegen darf Die Linke nicht einfach warten, sie muss ihn organisieren.

Kannst du das etwas ausführen?

In vielen Bereichen soll Beschäftigung abgebaut werden und auch die Beschäftigten, deren Arbeitsplätze vielleicht noch nicht unmittelbar wegfallen, haben in vielen Branchen Schwierigkeiten ihren Alltag noch zu finanzieren. Aber auch auf anderen Ebenen finden Angriffe statt. Erst letzte Woche hat die Justizministerin in NRW angekündigt, dass etwa die Hälfte der Arbeitsgerichte in unserem Bundesland dem Rotstift zum Opfer fallen sollen. Das sind die Institutionen, in denen sich die Beschäftigten gegen unrechtmäßige Kündigungen zur Wehr setzen können.

In NRW spielt aber die Stahlindustrie eine besondere Rolle. Hier sind Zehntausende derzeit akut in ihrer ökonomischen Existenz bedroht. Wenn die letzten Stahlarbeitsplätze wegfallen, hat das Auswirkungen auf ganze Kommunen in denen Kaufkraft und Infrastruktur gefährdet wären. Vor diesem Hintergrund muss Die Linke wieder stärker Ansprechpartner für diese Menschen sein und wir müssen Wege finden, die Menschen zu ermutigen, ihre Interessen stärker in die eigenen Hände zu nehmen und sich zu engagieren. Das heißt, Linke müssen Gewerkschaften stärken und natürlich für eine kämpferische Ausrichtung kämpfen.

Wie wichtig ist es aus deiner Sicht, dass sich Die Linke gewerkschaftlich verankert?

Es ist zentral. Eine Linke kann ohne gewerkschaftliche und betriebliche Verankerung zwar durchaus mal beachtliche Wahlergebnisse erzielen, aber sie wird nur sehr bedingt wirklich etwas verändern können. Geld ist Macht im Kapitalismus und es wird durch die tägliche Enteignung der Beschäftigten gewonnen, indem ein Teil der geleisteten Arbeit zum Gewinn der Unternehmenseigner wird. Wenn wir etwas grundsätzlich verändern wollen, müssen die Beschäftigten verstehen, dass sie die Macht dazu haben und das auch nur als Kollektiv. Im Moment ist diese Erkenntnis allerdings nicht einmal innerhalb der Linken Allgemeingut. Wir brauchen also auch wieder einen stärkeren Fokus auf die Bildungsarbeit. Gerade die neuen Mitglieder suchen derzeit nach Antworten und unsere Partei gibt sie ihnen nur rudimentär.

Was erhoffst du dir vom Gewerkschaftsrat in NRW?

Ich habe eine ganze Reihe wirklich hochkarätiger Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter dafür gewinnen können, im Gewerkschaftsrat der Linken NRW mitzuarbeiten. Mehrere hauptamtliche Spitzen der DGB-Einzelgewerkschaften in NRW sind bereit, sich in dem Gremium zu engagieren, aber auch eine ganze Reihe engagierter, ehrenamtlicher Kolleginnen und Kollegen aus Betrieben der Stahlindustrie, der Bauindustrie, dem Gesundheitswesen und aus dem Erziehungswesen sind dabei. Darüber hinaus gibt es Vertreter aus der gewerkschaftsnahen Wissenschaft im Gewerkschaftsrat.

Es geht dabei vor allem darum, den Landesverband in gewerkschaftlichen Fragen zu beraten und gegebenenfalls auch mit eigenen Positionen zu großen Themen in die Öffentlichkeit gehen zu können. Im Mai 2027 ist die nächste Landtagswahl und es ist selbstverständlich unser Ziel, in den Landtag einzuziehen. Dafür ist es hilfreich, dass wir bereits jetzt etablierte Gesprächskanäle in die Gewerkschaften aufbauen.

Wie können Mitglieder unserer Partei vorgehen, die in ihren Landesverbänden ebenfalls einen Gewerkschaftsrat initiieren wollen?

Wir erleben gerade, dass Die Linke nach dem überraschenden Wahlerfolg bei der Bundestagswahl auf einmal wieder interessanter für viele potentielle Bündnispartner ist. Dies sollten wir als Chance begreifen, genau jetzt Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter anzusprechen. Ich war überrascht wie groß die Bereitschaft bei vielen war, sich in gewissem Umfang auch in Linke Debatten einzubringen. Allerdings war immer die erste Frage jeder Kollegin und jedes Kollegen, wieviel Zeit das kosten wird. Man sollte also sehr deutlich machen, dass es um ein sehr begrenzten Zeitrahmen von wenigen Sitzungen im Jahr geht. In NRW wollen wir höchstens zwei Präsenzsitzungen im Jahr und möglicherweise weitere per Videokonferenz durchführen. Vorteilhaft ist natürlich auch, wenn bereits bekannte Kolleginnen und Kollegen, die möglichen Mitglieder des Gewerkschaftsrats ansprechen. Wer also bereits in den Gewerkschaften verankert ist, hat bessere Chancen, ein gut besetztes Gremium zusammenzustellen.

Ihr hattet die Genossen der Belgischen Partei der Arbeit zu Gast im Landesvorstand. Worum ging es?

Die zentrale Frage war, wie es der PTB gelungen ist, sich in den Betrieben zu verankern und heute eine gewichtige Rolle dabei zu spielen, dass sich Beschäftigte trauen, den Arbeitgebern entgegenzutreten und ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Es erfordert Mut und Rückendeckung, wenn man im eigenen Betrieb die Kolleginnen und Kollegen davon überzeugen will, beispielsweise Sozialabbau gemeinsam zu bekämpfen. Eine Partei, die politisch orientiert, kann dabei eine große Hilfe sein. Eine solche Verankerung muss allerdings systematisch passieren und wird nicht passieren, wenn man sie dem Zufall überlässt. Deshalb haben wir auch nach ganz konkreten Schritten gefragt, die die PTB unternommen hat. Sie haben berichtet, dass sie mittlerweile 120 Betriebsgruppen aus unterschiedlichsten Branchen in Belgien aufgebaut haben. In denen wird sowohl Bildungsarbeit organisiert als auch über ganz konkrete Themen aus den Betrieben gesprochen und sich gemeinsam überlegt, wie man dabei vorgehen kann. Wir müssen jetzt diskutieren, was davon auf unsere Situation in der Linken passt und wir hier auch in NRW angehen können.

Würdest du auch anderen Landesverbänden empfehlen, die PTB einzuladen?

Ich denke, dass bei der Diskussion mit internationalen Gästen immer klar sein sollte, dass sich die Rahmenbedingungen in ganz vielen Punkten unterscheiden. Wenn das klar ist, kann man sehr viel voneinander lernen. Es ist beeindruckend, wie stark sich die PTB auf die Arbeit in den Betrieben fokussiert und sich nach und nach in langer Arbeit auch verankert hat. In der PTB hat das viele Jahre gedauert. Davon zu lernen, kann kein Fehler sein. Wir müssen uns klar sein, dass wirkliche Veränderung ein Marathon und kein Sprint ist.

Vielen Dank für Gespräch!

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