Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie: Angriff auf den Flächentarifvertrag
Von Stephan Marquardt und Ulrike Eifler
Am 1. März endete um 24:00 Uhr die Friedenspflicht in der Metall- und Elektroindustrie. Die IG Metall ruft bundesweit die Beschäftigten zu Warnstreiks auf. Die BAG Betrieb & Gewerkschaft in und um die Partei DIE LINKE hat sich in einer offiziellen Grußbotschaft mit den 3,8 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie solidarisiert.
Es ist wichtig zu verstehen, dass die aktuelle Tarifauseinandersetzung eine große Bedeutung hat und weit mehr ist als der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in einer bestimmten Branche. „In der aktuellen Metalltarifrunde geht es nicht nur um mehr (oder weniger) Geld. Die Arbeitgeber fordern mehr Flexibilität des Flächentarifvertrags,“ schreibt Reinhard Bispinck vom WSI. Damit legen die Arbeitgeber die Axt an die Fundamente jahrzehntelang praktizierter Tarifpolitik.
Aus drei Gründen ist die aktuelle Tarifrunde besonders bedeutsam. Zum einen ist diese Tarifauseinandersetzung natürlich auch eine Auseinandersetzung um die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften in der Pandemie. Wir wissen: Nur wenn Gewerkschaften ihre Mitglieder zahlreich mobilisieren können, hat der Arbeitgeber Grund zur Annahme, dass die Beschäftigten in der Lage und willens sind, den Betrieb lahmzulegen. Nur dann entwickelt sich Verhandlungsmacht und nur dann lassen sich die Interessen der Beschäftigten kraftvoll durchsetzen.
Zum anderen ist die Tarifrunde natürlich auch eine Auseinandersetzung um die Ausgestaltung des größten Strukturwandels in der Geschichte der Bundesrepublik, noch dazu in einer wirtschaftlich schwierigen Situation. Die Pandemie hat die Krise der Leitbranche der Bundesrepublik – die Automobil- und Zulieferindustrie – massiv beschleunigt. In den letzten Monaten verkündeten Unternehmen trotz staatlicher Subventionen fast täglich Einsparmaßnahmen, Stellenabbau und Betriebsschließungen. Die notwendige Transformation der Automobilindustrie, mehr Klimaschutz, Forderungen nach sozialer und wirtschaftlicher Demokratie, Konversion der Produktion und nicht zuletzt wirtschaftliche Strategien zum Erhalt von Arbeitsplätzen beherrschten die Diskussion. Die Forderungen der IG Metall nach neuen Möglichkeiten zur Absenkung der Arbeitszeit, Zukunftstarifverträge und vier Prozent mehr Lohn sind die richtige Antwort auf den aktuellen Transformationsprozess.
Hinzu kommt drittens: Es scheint sich in der Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie fortzusetzen, was sich bereits im letzten Herbst im öffentlichen Dienst abgezeichnet hatte: Der ökonomische Druck auf die Arbeitgeber wird stärker und führt in der Konsequenz zu einer neuen Qualität der Auseinandersetzung. Den Arbeitgebern scheint es nicht mehr nur darum zu gehen, Nullrunden durchzusetzen, sondern vielmehr im Windschatten der Pandemie weitreichende Verschlechterungen durchzudrücken. Im öffentlichen Dienst wollten sie über eine Neubewertung des Arbeitsvorgangs Abgruppierungen vornehmen und den Sparkassenangestellten wollten sie die jährliche Sonderzahlung um zwanzig Prozent kürzen. Das respektlose Angebot der Arbeitgeber in der Metall- und Elektroindustrie passt in dieses Bild. Mit langen Laufzeiten und einschneidende Abweichungen von tariflichen Standards durch eine Variabilisierung der jährlichen Sonderzahlungen blasen die Arbeitgeber zum Sturm auf den Flächentarifvertrag.
Die IG Metall fordert ein Zukunftspaket, das aus drei Bausteinen besteht: Beschäftigung sichern, Zukunft gestalten, Entgelt stabilisieren. Im Zentrum steht die Forderung nach einem Tarifvolumen von vier Prozent. Dieses soll zur Einkommenserhöhung oder auch zur Beschäftigungssicherung, etwa durch eine Vier-Tage-Woche mit Teilentgeltausgleich eingesetzt werden. Außerdem fordert sie Regelungen zur Sicherung von Standort und Arbeitsplätzen für die beginnende Transformationsphase. Damit wird die Tarifrunde zu einer wichtigen Auseinandersetzung um die Ausgestaltung des Strukturwandels. Die IG Metall verbindet den Kampf um Beschäftigungssicherung mit neuen Weichenstellungen. Arbeitsplatzsicherheit und nachhaltige Konzepte für den Erhalt industrieller Standorte sollen sich nicht ausschließen und der ökologische Umbau der Industrie soll nicht auf Kosten der Beschäftigten betrieben werden. Überfällig sind zudem die Angleichung der Arbeitsbedingungen in Ostdeutschland und der Anspruch von Dualstudierenden auf den Tarifvertrag.
Die Arbeitgeber sprachen sich von Beginn an mit dem Verweis auf den fehlenden Verteilungsspielraum für eine Nullrunde aus. Der Forderung nach Beschäftigungssicherung traten sie hart entgegen und forderten stattdessen mehr Flexibilität des Tarifvertrages. Aus ihrer Sicht müsse eine dauerhafte automatische Differenzierung von Tarifregelungen zur Kostenentlastung für Betriebe in Schwierigkeiten vereinbart werden. Damit griff Gesamtmetall auf, was sie bereits 2019 in ihrem „Tarifpolitischen Leitbild“ gefordert hatten.
„Was die Arbeitgeber stört“, so Reinhard Bispinck, „ist der Verhandlungszwang mit der IG Metall. Viel lieber wäre ihnen die beschriebene ‚automatische Differenzierung‘, die beim Erreichen einer bestimmten Kennziffer wirksam wird, oder aber Verhandlungen ausschließlich mit dem Betriebsrat ohne Einschaltung der IG Metall. Die radikale Fortschreibung einer derart vertrieblichten Tarifpolitik würde die Prägekraft der Metalltarifverträge weiter schwächen. In dieser Tarifrunde geht es also nicht nur um die nächste Entgelterhöhung, es geht auch um die Zukunft des Flächentarifvertrags.“
Diesem Vorgehen müssen die Beschäftigten gemeinsam entgegentreten. DIE LINKE muss die historische Dimension des Arbeitgeberangriffs erkennen und in der aktuellen Tarifrunde für politischen Rückenwind sorgen.
Stephan Marquardt und Ulrike Eifler sind Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft
Artikel wurde am 22. Dez. 2024 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/blog/2021/03/tarifrunde-in-der-metall-und-elektroindustrie-angriff-auf-den-flaechentarifvertrag/.