Interview: Man muss sagen, was ist (Tarifrunde M+E)

Interview: Man muss sagen, was ist (Tarifrunde M+E)

Mitten in der zweiten und dritten Welle der Corona-Pandemie fand die Tarifrunde der Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie statt. Neben Zukunftstarifverträgen zur Beschäftigungssicherung wird im Osten der Republik erneut die Frage der ungleichen Arbeitszeit verhandelt. Wir reden mit Stefan Sachs, 1. Bevoll­mächtigter und Geschäftsführer der IG Metall Mittel­hessen, über den Pilotabschluss in NRW und über die Herausforderungen im Osten. Das Interview führte unsere Bundessprecherin Jana Seppelt.

BAG Betrieb & Gewerkschaft: Die diesjährige Tarifrunde startete unter ungünstigen Ausgangsbedin­gungen. Mit welchen Forderungen seid ihr in die Tarifrunde gestartet?

Stefan Sachs: Die Situation in diesem Jahr ist anders als letztes Jahr. Während im letzten Jahr viele in Kurzarbeit waren, sind die Metall-Arbeitgeber in 2021 nicht so im Krisenmodus wie 2020. Ein Teil der Verluste wurden im letzten Jahr wieder aufgeholt, die Auslastung ist wieder 90 Prozent und mehr. Zwar gibt es Engpässe bei den Halbleitern, die Auswirkungen in der Lieferkette haben, aber die Auftragslage ist gut. Schon während der Forderungsdiskussion war klar, dass wir 2020 nicht wiederholen können; gleichzeitig waren wir nicht sicher, wie sich – trotz guter Erfahrungen mit Arbeitskämpfen in der Pande­mie bei Conti und anderen – unsere Durchsetzungsfähigkeit entwickelt.

Die Arbeitgeber wollten eine Nullrunde, oder?

Nicht nur das, auch die automatische Absenkung von Tarifen nach betrieblichen Kennzahlen. Wir sind in die Verhandlungen gestartet mit der Forderung nach 4 Prozent im Volumen mit Beschäftigungssicherung (4-Tage- Woche), nach Tarifierung der dual Studierenden, nach Verbesserung der Übernahme der Azubis und nach Zukunftstarifverträgen.

In NRW gibt es nun einen Piloten, wie ist das Ergebnis zu bewerten?

Ich bin vom Tarifergebnis nicht begeistert, vor allem wegen nicht erfolgter tabel­lenwirksamer Erhöhungen, das Entgeltniveau ist weiterhin auf dem Niveau von April 2018. Ziel war es, dieses zu erhöhen, auch weil natürlich alle Sonderzahlungen und Zuschläge auf diesem Niveau berechnet werden. Das haben wir nicht erreicht, da hilft kein Schönreden. Ich halte es da mit Rosa Luxemburg, man muss sagen, was ist. Das heißt nicht, dass wir nichts erreicht haben.

Ihr konntet die Nullrunde der Arbeitgeber brechen.

Ja. Der Vertrag läuft bis zum 30.09.2022 (20 Monate), im Juni 2021 gibt es 500 Euro Corona-Prämie (brutto für netto, weil abgabenfrei) und 300 Euro einmalig für die Azubis. Ab Juli 2021 werden dann 2,3 Prozent jeden Monat zu einem Transformationsgeld angespart, welches dann im Februar 2022 mit 18,4 Prozent eines Bruttomonatsentgeltes ausgezahlt wird. Zur Sicherung von Arbeitsplätzen können die Betriebsparteien in Krisen das Transformations­geld auch für Arbeitszeitverkürzung nutzen.

Welche Idee steckt dahinter?

Die Idee ist, eventuelle Lücken beim Auslaufen von Produkten oder der Transformation hin zu anderen Produkten zu überbrücken und die Beschäftigten so im Laden zu behalten. Wir müssen sehen, wie das genutzt wird. Das Transformationsgeld (T-Geld, Trafobaustein) bleibt dauerhaft als neue jährliche Einmalzahlung und erhöht sich 2023 auf 27,6 Prozent des Monatsentgelts. Aus meiner Sicht muss das tarifpolitisch eine einmalige Geschichte bleiben. Spätestens mit der nächsten Tarifrunde muss die Entgelttabelle wieder steigen.

(c) IG Metall

Was habt ihr für die Dualstudierenden erreicht?

Dort ist die Tarifierung nur zum Teil gelungen, näm­lich nur bei integrierenden Verträgen, wo Ausbildung und Studium unter einem Vertrag läuft. Diese Struktur wird hier in Mittelhessen gar nicht genutzt. Ein Einstieg ist geschafft, aber das muss weiter ausgebaut werden.

Gilt das auch für die Zukunftstarifverträge?

Hier haben wir die Rahmenbedingungen verhandelt. Der Widerstand der Arbeitgeber war groß, das ist auch nicht verwunderlich, denn hier geht es um Wirtschaftsdemokratie. In Zu­kunftstarifverträgen handelt die IG Metall Investitionen in den Standort, in zukunftsfähige Produkte und in die Arbeit der Zukunft aus. Bisher je­doch gelang das in der Regel erst dann, wenn der Betrieb bereits in der Krise ist und der Arbeitgeber wegen Personal- und Tarifkürzungen auf Betriebsräte und IG Metall zukommt. Jetzt jedoch können IG Metall und Betriebsräte bereits vor einer Krise eingreifen und den Arbeitgeber zu Ver­handlungen über die Zukunft auffordern. Zur Durchsetzung guter Zu­kunftsverträge werden wir aber um echte, auch längere Streiks in der Fläche nicht herumkommen.

Insgesamt also eher durchwachsen, mit einigen Kröten. Wäre mehr drin gewesen?

Wir mussten neben der aktuellen Pandemiesituation auch die Stimmung in den Betrieben mit einrechnen. Hätten wir uns nicht geeinigt, hätten wir in Hessen das jetzt hochfahren müssen. Wir waren da schon in den Start­löchern. In solchen Situationen halte ich mich immer an diejenigen, die das das dann durchsetzen können und müssen. Unser bestorganisierter Betrieb hier ist Mahle in Wölfersheim, mit rund 80 Prozent, da war die Stimmung eher Richtung Abschluss.

Hat die Corona-Pandemie eure Handlungsfähigkeit eingeschränkt?

Wir waren handlungsfähiger als wir dachten. Die IG Metall hat die Nullrunde gebrochen und wir konnten einiges auch während einer Pandemie durch­setzen, die ja bei den Kolleginnen und Kollegen wie Mehltau auf der Seele ist. Dafür war die Beteiligung richtig gut. Der Abschluss wird in den Betrieben besser wahrgenommen als bei den Funk­tionären. Ich sage: Wir haben uns als handlungsfähig erwiesen, aber es gibt nichts zu feiern. Ende April wird nun die Tarifkommission entscheiden, wir rechnen mit einer Annahme des Ergebnisses.

Der Pilotabschluss aus NRW wurde mit regionalen Unterschieden von Baden-Württemberg, Mitte, Niedersachsen, Küste und Bayern über­nommen. In Berlin-Brandenburg-Sachsen und Thüringen wird noch verhandelt und die Arbeitgeber ziehen alle Register. Wie ist die Lage?

Dreißig Jahre nach der deutschen Einheit gilt in den ostdeutschen Tarifgebie­ten der Metall- und Elektroindustrie immer noch eine um drei Stunden längere Arbeitszeit als im Westen. Die IG Metall will die Angleichung der Arbeitsbe­dingungen jetzt durchsetzen. Auch hessische Betriebe wie voestalpine BWG oder Schunk haben Schwesterbetriebe in Brandenburg, Sachsen oder Sach­sen-Anhalt, die durch die längere Arbeitszeit einfach billiger produzieren können.

Also ist die Angleichung der Arbeitszeit im Osten auch im Interesse der hessischen Kolleginnen und Kollegen?

Klar haben wir im Westen auch Interesse daran, dass das nach oben korrigiert wird. Klar ist aber auch, dass wir das im Westen nicht durchsetzen werden. Die IG Metall fordert aktuell ein tarifliches Angleichungsgeld Ost als zusätzlichen Tarifvertrag, weil wir uns nicht zugetraut haben, den Mantelta­rifvertrag zu kündigen, in dem die Arbeitszeit geregelt ist. Gut ist, dass das sächsische Landesarbeitsgericht in Chemnitz klarstellte, dass die Tarifforde­rung rechtens ist.

Was ist deiner Meinung nach dort die größte Herausforderung?

Das Problem im Osten ist, dass die Tarifbindung viel nied­riger ist als im Westen und damit auch andere Ausgangsbedingungen herr­schen für die Auseinandersetzung. Wir hoffen, dass wir das in der Fläche hinkriegen. Klappt das nicht, müssen wir in den Häuserkampf mit allen damit verknüpften Problemen – auch für die Fläche. Für mich ist klar: Wir können nicht weiter warten, nach 30 Jahren muss in der Fläche jetzt endlich was passieren. Am politischen Willen fehlt es nicht, es steht und fällt damit, ob wir es durchsetzen können gegen die massive Macht der Arbeitgeber. Wir brau­chen eine gesellschaftliche Stimmung, die das unterstützt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Interview entstammt unserer Zeitung: E-Paper zum 1. Mai 2021

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