„Man wird nicht wie ein Mensch behandelt“

„Man wird nicht wie ein Mensch behandelt“

von Hermann Nehls

Zum verlorenen Kampf bei Amazon in Bessemer (Alabama, USA)

In der mehrheitlich von Afroamerikanerinnen und -amerikanern bewohn­ten Stadt Bessemer in Alabama hat eine erbitterte Auseinanderset­zung um die gewerkschaftliche Vertretung bei Amazon stattgefunden. Es ging um das Recht der Beschäftigten, an ihrem Arbeitsplatz eine Stimme zu haben, es ging um ‚Racial Justice‘ und grundlegende Würde.

Hätten die Beschäftigten mehrheitlich für die Vertretung durch die Einzel- und Groß­handelsgewerkschaft (RWDSU) gestimmt, wären sie das erste ge­werkschaftlich organisierte Amazon-Lagerhaus in den USA geworden. Es wäre einer der größten gewerkschaftlichen Siege im Süden der USA seit Jahrzehnten gewesen – mit einem enormen Schub für die Gewerkschaftsbe­wegung in den USA, deren Mitgliederquote von 35 Prozent in den 1950er Jahren auf heute weniger als 11 Prozent gesunken ist. Leider ist es nicht dazu gekommen.

Es gab gute Gründe, für eine gewerkschaftliche Vertretung bei Amazon zu kämpfen. Der Journalist Steven Greenhouse berichtete im Guardian über Darryl Richardson, einen 51-jährigen Picker, der schilderte, wie un­menschlich die Arbeitssituation bei Amazon ist. Es herrschten unerbittliche Zeitvorgaben, ständige Überwachung und das Risiko, jederzeit gekündigt zu werden. „Man wird nicht wie ein Mensch behandelt“, sagte Richardson. „Sie behandeln dich wie einen Roboter. Du hast keine Zeit, deinen Arbeits­platz zu verlassen, um Wasser zu holen. Du hast keine Zeit, um auf die Toilette zu gehen.“ Während Amazons Gewinne steigen und der Konzern seine Marktdominanz weiter ausbaut, wollten Arbeiter wie Richardson einen Platz am Tisch, um ihren Arbeitsplatz menschlich zu gestalten.

Amazon hat mit brutalen Union-Busting-Methoden reagiert, um ein Klima der Angst und Einschüchterung zu schaffen. Das Unternehmen tapezierte das Lager und die Toiletten mit gewerkschaftsfeindlicher Propaganda und schickte täglich Textnachrichten, in denen die Beschäftigten aufgefordert wurden, mit „Nein“ zu stimmen. Amazon zwang die Beschäftigten zur Teilnahme an sogenannten „Captive Audience Meetings“, bei denen diese gedrängt wurden, gegen die Gewerkschaft zu stimmen. Nach einer monatelangen Auseinandersetzung, bei der die RWDSU große öffent­liche Unterstützung unter anderem durch Aktivisten der Black Lives Matter Bewegung und auch durch den US-Präsidenten, der zum fairen Verhalten aufforderte, bekommen hat, stimmten am Ende 1.798 Beschäftigte gegen die Vertretung durch die Gewerkschaft und 738 dafür.

Die RWDSU sieht den Grund für das Scheitern vor allem in illegalen Akti­vitäten von Amazon und will das Wahlergebnis anfechten. Es ist nicht da­von auszugehen, dass sie damit Erfolg haben werden. Jane McAlevey, die über viele Jahre Erfahrung im Organizing verfügt, hat darauf hingewiesen, dass das Wahlergebnis nicht überraschend kam. Klar habe die mit Millio­nen Dollar geführte Kampagne von Amazon mit zum Scheitern beigetra­gen, aber die Gewerkschaft habe auch strategische und taktische Fehler gemacht. Die RWDSU hat es versäumt, sich ein klares Bild zu verschaffen, ob sie wirklich eine Mehrheit bei der Abstimmung erreichen kann. Es fehl­te eine Liste über die Zahl der Abstimmungsberechtigten und die Gewerk­schaft war bei der vom Management angezettelten Diskussion, wofür die Gewerkschaftsgelder gebraucht würden, in die Defensive geraten. Es war auch falsch, Beschäftigte nur vor dem überwachten Werkstor anzuspre­chen und keine ‚house calls‘ zu führen. Stacey Abrams hat in Georgia ge­zeigt, wie auch unter Pandemiebedingungen eine Kampagne mit ‚house calls‘ erfolgreich laufen kann.

Die Lagerarbeiterinnen und -arbeiter bei Amazon haben es verdient, eine gewerkschaftliche Vertretung zu bekommen, die dem Konzern Grenzen setzt. Die Regeln für die gewerkschaftliche Organisierung in den USA sind nicht fair. Die Biden-Administration hat im Kongress ein Gesetz eingebracht, das die Voraussetzungen für die ge­werkschaftliche Organisierung verbessern soll (Protecting the Right to Organize Act). Ob das Gesetz durch den Senat kommt, ist ungewiss. Auch wenn es durchkommt: Das Beispiel Ama­zon hat gezeigt, dass öffentlicher Druck und ein noch so guter Einsatz von Sozialen Medien nicht ausreichen, wenn die zentrale Waffe des Managements Angst und Spaltung ist. Eine gewerkschaftliche Vertretung geht in den USA nur über Mehrheiten im Betrieb.

Hermann Nehls ist Gewerk­schaftssekretär in Berlin. Er war in der Zeit von 2014 bis 2017 Sozialreferent an der Deutschen Botschaft in Wa­shington

Dieser Artikel entstammt unserer Zeitung: E-Paper zum 1. Mai 2021

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