Tarifrunde der Länder: „Von Applaus kann man keine Miete bezahlen.“
Die Arbeitgeber der Bundesländer legen den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften bislang kein Angebot vor. Stattdessen greifen sie über eine Neuwertung der Arbeitsvorgänge die bisherige Eingruppierung an. Dagegen regt sich Widerstand. Die Beschäftigten wollen unter anderem die Angleichung der Vergütung der Angestellten an die der Beamtinnen und Beamten. Dies sei nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch eine der Lohngerechtigkeit, sagt Anton Salzbrunn, GEW-Referatsleiter Tarifpolitik in Bayern und Mitglied der GEW-Bundestarifkommission. Das Gespräch führt unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Gegenwärtig läuft die Tarifrunde der Länder. Um welche Berufsgruppen handelt es sich dabei?
Anton Salzbrunn: Das sind sehr unterschiedliche Berufsgruppen, zum Beispiel Lehrkräfte und andere Beschäftigte in den Schulen, Beschäftigte bei den Landespolizeien (besonders in den Verwaltungen und Autowerkstätten), an den Universitäten und Unikliniken, im Sozial- und Erziehungsdienst (besonders in den Stadtstaaten Berlin, Hamburg, Bremen), in der Justizverwaltung einschl. Justizvollzugsanstalten, staatliche Forstverwaltungen und Gartenbaubetriebe usw.
Also kurz alle Beschäftigten, die bei den Ländern angestellt sind?
Da die Tarifabschlüsse erfahrungsgemäß aber auch Auswirkungen auf verbeamteten Kolleginnen und Kollegen haben, durch die Übertragungen des Abschlusses, sind auch diese indirekt betroffen. Indirekt betroffen sind aber auch viele andere nichtstaatliche Einrichtungen, die den TV-L anwenden, wie z. B. Privatschulen und Einrichtungen der Behindertenhilfe.
Worum geht es in der Tarifrunde und was fordern die Gewerkschaften?
Die wichtigsten Forderungen und Erwartungen in Kürze:
- Entgelterhöhung um 5 Prozent, mindestens aber um 150 Euro monatlich bei einer Laufzeit von 12 Monaten. 100 Euro monatlich für Azubis und Praktikant*innen.
- Stufengleiche Höhergruppierung: Das bedeutet zum Beispiel bei einem Wechsel von der Entgeltgruppe (EG) 9 in die 10, muss die Anwendung der gleichen Erfahrungsstufe zur Anwendung kommen (je EG gibt es sechs Stufen). Bisher gilt, dass Beschäftigte wieder in die 1. Erfahrungsstufe der neuen EG kommen bzw. solange ihr altes Entgelt behalten, bis sie durch Anrechnung der tariflichen Erhöhungen mehr Lohn in der neuen EG bekommen. Klingt kompliziert, ist aber aktuell ein großer Nachteil für die Kolleginnen und Kollegen.
- Tarifvertrag für studentische Beschäftigte: Diese sind bisher von der Tarifbindung des TV-L ausgenommen. Für sie gilt an Hochschulen und Universitäten meist der gesetzliche Mindestlohn. Gleichzeitig kommt keine Einrichtung ohne deren Arbeit aus. Lediglich in Berlin gibt es einen TVStud, deren letzte Erhöhung 2019 erst nach mehreren Streiks durchgesetzt werden konnte.
- Übertragung auf Beamtinnen und Beamte: Das bedeutet die wirkungsgleiche Übertragung des Tarifabschlusses auf die verbeamteten Beschäftigten, denen das Streikrecht vorenthalten wird. Hier entscheiden die Länder per Gesetz, was gezahlt wird, zwar bei formaler Beteiligung der Gewerkschaften aber ohne echte Durchsetzungsmacht wegen fehlendem Streikrecht.
- Für die GEW: Einführung der vollständigen „Paralleltabelle“ zum schnellstmöglichen Zeitpunkt. Dazu würde ich gleich noch ausführlich was sagen wollen.
- Für die GEW: Wirksame Maßnahmen um befristete Beschäftigung einzudämmen: Dies ist besonders bei den Universitäten ein riesiges Problem. So sind neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern befristet beschäftigt. Viele nehmen aber Daueraufgaben in der Lehre war. Daher muss es dafür auch Dauerstellen geben.
Vor dem Hintergrund der Krise im Gesundheitssystem und den zusätzlichen Risiken für viele Beschäftigte während der Pandemie geht es bei dieser Tarifrunde vermutlich auch um Anerkennung, oder?
Bei den Risiken aufgrund der Pandemie waren sicher die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen ganz besonders betroffen. Aber auch im Bildungswesen, angefangen von der Kita bis zur Erwachsenenbildung, waren alle Beschäftigten mehr oder weniger stark gefährdet. Mal ein Beispiel: Die Maskenpflicht in der Behindertenhilfe war oft genauso wenig machbar aufgrund der Einschränkungen bei diesen Menschen, wie auch dass kein Abstand gehalten werden konnte. Dennoch musste die Betreuung gewährleistet werden. Eine Anerkennung der Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst wäre das Mindeste. Von Applaus bezahlt man aber keine Miete oder finanziert die Lebenshaltung. Das muss beim Lohn ausreichend zum Ausdruck kommen. Das ist auch bitter notwendig, schaut man auf den Personalmangel in Kliniken, Kitas, Schulen usw.
Die Arbeitgeber (Tarifgemeinschaft deutscher Länder, TdL) sagen, die Forderung der GEW nach einer Paralleltabelle sei ein „abwegiges Ziel“. Was genau verbirgt sich hinter dieser Forderung?
Die Aufgaben des öffentlichen Dienstes werden von Angestellten und Beamtinnen und Beamten erledigt. Bei der Bezahlung gibt es jedoch große Unterschiede. Wenn zum Beispiel eine verbeamtete Grundschullehrerin in der Besoldungsgruppe A12 eingruppiert ist, wird die angestellte Kollegin mit E11 entlohnt. Begründet wird dies mit dem höheren Bruttolohn der angestellten Kollegin. Aber die Beiträge zur Sozialversicherung bleiben dabei nahezu unberücksichtigt. Beim Vergleich bedeutet dies für die angestellte Kollegin eine Benachteiligung von mehreren Hunderttausend Euro im Lauf ihres Berufslebens, ganz zu schweigen, von der erheblich geringeren Altersversorgung. Das kostet natürlich Geld, gehört aber auch zur Lohngerechtigkeit. Schon jetzt gibt es im TV-L eine Angleichungszulage für Lehrkräfte in der EG9 – 11 und damit eine teilweise Anerkennung dieser Ungerechtigkeit durch die TdL.
Warum haben die Arbeitgeber bislang kein Angebot vorgelegt?
Die TdL „…sieht keine Veranlassung dazu“. Da unterscheiden sich die öffentlichen Arbeitgeber in Nichts von Unternehmensverbänden. Deswegen sind jetzt Warnstreiks angesagt. Eine andere Sprache versteht auch die TdL, also der Arbeitgeberverband der Bundesländer, nicht.
Stattdessen wollen die Arbeitgeber die Höhergruppierung neu regeln, was bei den Beschäftigten zu Entgeltverlusten führen würde. Was genau ist da geplant?
Die TdL will keine Höhergruppierung neu regeln, sondern an die Eingruppierung im § 12 TV-L ran. Maßstab soll nicht mehr das Ziel der Arbeit sein, sondern deren konkrete Ausgestaltung. Das bedeutet, die TdL will über eine Neubewertung der Arbeitsvorgänge das bisherige System der Eingruppierung aus den Angeln heben. Das ist zum Nachteil der Beschäftigten. Das haben sie schon mehrfach versucht in einen Abschluss rein zu verhandeln. Bisher konnten wir, die ÖD-Gewerkschaften, dies zusammen immer verhindern.
Auch in der Tarifrunde im ÖD letzten Herbst und in der Metall- und Elektroindustrie dieses Frühjahr haben die Arbeitgeber statt konkreter Angebote die Tarifrunde eher genutzt, um über Angriffe auf tarifliche Standards den Beschäftigten etwas wegzunehmen. Kann man von einem Paradigmenwechsel sprechen – weg von der Forderung nach einer Nullrunde und hin zu der Forderung nach einer Minusrunde?
Wir erleben seit längerem, dass die öffentlichen Arbeitgeber, egal ob die der Länder oder von Bund und Kommunen (hier: Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber), frühestens in der 3. Verhandlungsrunde ein Angebot vorlegen. Wir erinnern uns noch an die Tarifrunde Sozial- und Erziehungsdienst 2015. Der Streik dauerte vier Wochen, bis die Arbeitgeber endlich ein verhandelbares Angebot auf den Tisch legten. Insofern könnte man hier schon von einem Paradigmenwechsel sprechen. In den Tarifrunden während der Pandemie versuchten die Arbeitgebervertreter, so auch jetzt, ihren Vorteil daraus zu ziehen.
Ist die Tarifrunde auch Ausdruck der Auseinandersetzungen um die Verteilung der Krisenkosten?
Das hat die TdL auch schon so zum Ausdruck gebracht. Sie hat Kürzungshaushalte in den Ländern spätestens für 2023 und 2024 angekündigt mit dem Argument, die sogenannte Schuldenbremse wieder einhalten zu müssen. Im konkreten Fall sollen nun die Beschäftigten der Länder für die Krisenkosten in Haftung genommen werden.
Bereiten sich die beteiligten Gewerkschaften jetzt auf Streik vor?
Warnstreiks laufen bereits, weitere werden folgen. Die Arbeitgeber sollten die Gewerkschaften nicht unterschätzen. Die Streikkassen sind alles andere als leer.
Siehst du Möglichkeiten für eine Einigung?
Die sehen wir immer. Dazu muss aber bei der TdL auch der Wille vorhanden sein. Selbst der eher bescheidene Tarifabschluss in Hessen (Anm.: Hessen ist nicht Mitglied der TdL) wurde von der Verhandlungsführung der TdL rundweg abgelehnt, auch darüber nur zu reden. Deswegen kommt es jetzt darauf an, den Druck zu verstärken um die TdL beim 3. Verhandlungstermin Ende November dazu zu bewegen, ein verhandelbares Angebot auf den Tisch zu legen.
Was kann DIE LINKE tun, um die Forderungen der Beschäftigten zu unterstützen?
Tarifrunden im öffentlichen Dienst sind immer politische Tarifrunden. Wenn eine Schule bestreikt wird oder die Polizei nicht genügend Autos zur Verfügung hat oder in den Unikliniken nur noch Notdienste tätig sind, dann bewegt das auch die Menschen im Lande. Solidarität ist hier gefragt, nicht nur in Worten, sondern auch in praktischen Taten. So konnte der Tarifvertrag der Länder 2006 durch Streiks und eben auch durch Wohlwollen und Solidarität in der Bevölkerung durchgesetzt werden, ebenso eine bessere Bezahlung im Sozial- und Erziehungsdienst. Als die Partei der Beschäftigten hat DIE LINKE hier eine ganz besondere Aufgabe und Verantwortung.
Vielen Dank für das Gespräch.
Artikel wurde am 22. Dez. 2024 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/blog/2021/11/tarifrunde-der-laender-von-applaus-kann-man-keine-miete-bezahlen/.