„Wir müssen unserer gewerkschaftlichen Orientierung eine Struktur geben“
Der amtierende Parteivorstand hat in seiner ersten Sitzung im März 2021 beschlossen, einen Gewerkschaftsrat zu gründen. Dabei wurden auch die Landesvorstände aufgefordert, in ihren Landesverbänden Gewerkschaftsräte ins Leben zu rufen. DIE LINKE NRW ist dieser Empfehlung als erster Landesverband gefolgt. Unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler hat als stellvertretende Landessprecherin der LINKEN in NRW den Prozess vor Ort angeschoben. Im Gespräch mit PV-Mitglied Jan Richter erklärt Ulrike, wie sie dabei vorgegangen ist und warum es wichtig ist, dass auch in anderen Landesverbänden ein Gewerkschaftsrat gegründet wird.
Jan Richter: Ulrike, du hast als stellvertretende Landessprecherin in NRW den Vorschlag des Parteivorstandes aufgegriffen, warum?
Ulrike Eifler: Der Beschluss des Parteivorstandes kam ja zustande, weil die BAG Betrieb & Gewerkschaft die Diskussion dazu angeschoben und den Antrag eingebracht hat. Ich fand die Idee richtig, unserer gewerkschaftspolitischen Orientierung eine Struktur zu geben. Die Partei redet seit vielen Jahren über gewerkschaftliche Verankerung und verbindende Klassenpolitik, aber es gibt keine innerparteilichen Strukturen, die diesem Anspruch gerecht werden kann. Im Gegenteil, die Partei begnügt sich damit, dass die Gewerkschaftsarbeit in einer Arbeitsgemeinschaft stattfindet. Das reicht nicht.
Aber macht die BAG Betrieb & Gewerkschaft nicht gute Arbeit?
Ich glaube, das tut sie. Es ist uns gelungen, die BAG neu zu profilieren. Aus gutem Grund war es eine bewusste Entscheidung, stärker aus der gewerkschaftspolitischen Nische herauszutreten und uns offensiver in die strategischen Debatten der Partei einzumischen. Aber eine Partei, die ein Verhältnis zu Gewerkschaften entwickeln möchte, darf diese Arbeit nicht einer AG überlassen. Arbeitsgemeinschaften sind innerparteiliche Zusammenschlüsse. Das Themenspektrum ist dort breit und reicht von Gewerkschaftspolitik bis zur Legalisierung von Cannabis. Wenn die Partei einen zentralen Blick auf die Welt der Arbeit bekommen möchte, muss das Thema den AG-Status verlieren und zum zentralen Anliegen der gesamten Partei werden.
Wie seid ihr in NRW vorgegangen?
Wir haben einen Antrag in den Landesvorstand eingebracht, der spiegelbildlich zum Antrag war, den die BAG Betrieb & Gewerkschaft auch in den Parteivorstand eingebracht hatten. Er kann auf unserer Homepage heruntergeladen werden, wenn daran Interesse besteht. Dann hat sich die Gruppe, die im Landesvorstand für Gewerkschaftspolitik zuständig ist, zusammengesetzt, Kriterien erarbeitet, anschließend Kolleginnen und Kollegen auf eine Teilnahme angesprochen und schließlich zur Konstituierung eingeladen.
Nach welchen Kriterien habt ihr den Gewerkschaftsrat besetzt?
Wir haben zunächst die Funktion des Gewerkschaftsrates diskutiert. Im Unterschied zum Gewerkschaftsrat der SPD sollen in dem Gremium nicht die Gewerkschaftsvorsitzenden qua Amt sitzen. Ziel ist es vielmehr, diejenigen zusammenzurufen, die sowohl die Partei als auch die Gewerkschaftsbewegung in ihrer Gesamtheit im Blick haben, die strategischen Diskussionen in beiden Teilen kennen und eine Multiplikatoren-Funktion haben.
Das heißt, ihr habt Kriterien aufgestellt, um die Debatten in Partei und Gewerkschaften besser mit einander zu verzahnen?
Genau. Außerdem war uns ein Mix wichtig. Wir wollten aus dem DGB und jeder Gewerkschaft jeweils eine hauptamtliche Person im Gewerkschaftsrat haben. Hinzu kommen zwei ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege und der Duisburger Stahlindustrie sowie zwei Vertreter aus der gewerkschaftsnahen Wissenschaft. Außerdem wollten wir die Diskussion der LAG Betrieb & Gewerkschaft einbinden und haben deshalb auch die beiden Landessprecher der LAG, Christiane Tenbensel und Hauke Kuster, hinzugezogen. Insbesondere Christiane war federführend am Zustandekommen beteiligt und hat mich tatkräftig mit ihrem Know How unterstützt. Ohne diese Teamarbeit wäre das alles viel schwieriger gewesen.
Handelt es sich um einen geschlossenen Kreis?
Nein, wir haben uns darauf verständigt, dass der Gewerkschaftsrat die Funktion eines Beirates haben soll, der den Landesverband in allen gewerkschaftspolitischen Fragen beraten soll. Wenn es uns sinnvoll erscheint, soll das Gremium erweitert werden. Ich persönlich freue mich beispielsweise sehr darüber, dass es uns gelungen ist, die Wissenschaftler Steffen Lehndorff und Heinz-Josef Bontrup für die Teilnahme am Gewerkschaftsrat zu gewinnen. Vielleicht kommen wir aber in einem halben Jahr auf die Idee, einen weiteren Wissenschaftler in das Gremium zu berufen. Da ist es besser, flexibel zu sein.
Wenn ich es richtig verstanden habe, dann habt ihr euch bereits konstituiert, oder?
Richtig. Wir hatten am vergangenen Mittwoch eine erste konstituierende Sitzung, leider aufgrund der aktuellen Infektionszahlen, digital. Damit hat der Landesverband NRW jetzt ein gewerkschaftspolitisches Beratungsgremium. Den Landesvorstand haben wir in der darauffolgenden Sitzung darüber informiert, dass der Beschluss umgesetzt ist und die Namen vorgestellt. Außerdem hatten wir zur Konstituierung die beiden Landessprecher Nina Eumann und Jules El-Khatib eingeladen.
Und was habt ihr auf eurer ersten Sitzung diskutiert?
Wir haben vor allem erstmal eine Atmosphäre des gegenseitigen Kennenlernens hergestellt. Danach gab es einen Austausch darüber, dass die Gründung dieses Gremiums längst überfällig war. DIE LINKE ist eine Partei, die aus Protest gegen die Agenda 2010 aus einer Linksabspaltung aktiver Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter hervorgegangen war. Das heißt, Thematik und Akteure aus dem Gründungsprozess waren an die gewerkschaftlichen Strategiedebatten dieser Zeit angebunden. In den darauffolgenden Jahren ist unser Verhältnis zu den Gewerkschaften kontinuierlich schlechter geworden. Das zeigt meines Erachtens, dass die Gewerkschaftsorientierung der Partei sich nicht mit einem Gewerkschafter als Parteivorsitzenden und ein paar ehemaligen IG Metall-Bevollmächtigten im Bundestag erschöpft. Um nicht falsch verstanden zu werden: Genossen wie Klaus Ernst, Werner Dreibus oder Michael Schlecht im Bundestag waren wichtig, gerade in der Diskussion um den Mindestlohn, den es ohne eine Linksfraktion nicht gegeben hätte. Aber die Verstetigung der gewerkschaftlichen Orientierung darf nicht von Personen abhängig sein, sondern braucht Strukturen…
…wie beispielsweise bei der belgischen Partei der Arbeit, oder?
Ganz genau. Wir haben ja nicht ohne Grund vor einiger Zeit mal die PTB in Brüssel besucht. Wir wollten genau darüber zu diskutieren. Und meiner Meinung nach ist die PTB nicht nur ein gutes Beispiel dafür, wie erfolgreich die Gewerkschaftsarbeit einer linken Partei sein kann, sondern auch, dass das nicht von allein entsteht, sondern in Strukturen gegossen und organisiert werden muss. Die PTB zeichnet sich durch eine starke Verankerung und Kampagnenfähigkeit in den Betrieben aus. Das hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass ihre Gewerkschaftsarbeit durch eine beim Parteivorstand angesiedelte Abteilung Gewerkschaftspolitik erarbeitet und organisiert wird. Mit diesen Kolleginnen und Kollegen hatten wir uns schon vor einiger Zeit getroffen.
Habt ihr in NRW schon konkrete Verabredungen oder Planungen für die Arbeit des Gewerkschaftsrates besprochen?
Ja, das haben wir. Wir haben uns darauf verständigt, uns einmal im Quartal zu treffen, um zentrale gewerkschaftspolitische Fragen zu diskutieren. Dazwischen wird es eine kleine Arbeitsgruppe geben, die die Sitzungen gemeinsam vorbereitet. Zentrales Thema wird für uns die sozial-ökologische Transformation sein. Eine Forsa-Umfrage vor einigen Wochen hatte gezeigt, dass der Partei DIE LINKE beim Thema Transformation nur ein Prozent Kompetenz zugeschrieben wird. In der wichtigsten Frage der Klasse haben wir also in den Augen der Menschen erkennbar nichts zu sagen. Und das, obwohl wir doch gerade das immer wollen: Klimafrage und soziale Frage miteinander verbinden. Offenbar machen wir aber irgendetwas falsch. Deshalb wollen wir uns mit diesem Thema beschäftigten und im Sommer einen gewerkschaftspolitischen Ratschlag zu dem Thema organisieren. Ich freue mich schon sehr auf diese Arbeit.
Was würdest du anderen Landesverbänden oder LAGen raten?
Holt euch das Mandat des Landesvorstandes, indem ihr den Antrag einbringt. Erarbeitet euch Kriterien und sprecht Kolleginnen und Kollegen an. Aber vor allem: Lasst euch nicht entmutigen, der Prozess dauert länger, als man zunächst denkt. Das mussten wir auch erst lernen. Wenn es Beratungs- oder Unterstützungsbedarf gibt, meldet euch gern bei den Bundessprechern oder bei uns in NRW. Die Gründung von Gewerkschaftsräten ist kein Allheilmittel, um die Partei aus ihrer Krise herauszuholen. Aber sicher ist auch: ohne Gewerkschaftsrat wird es ganz sicher nicht gelingen. Es ist eine Chance – nicht mehr, nicht weniger. Lasst und das Beste daraus machen.
Vielen Dank für das Gespräch
Ulrike Eifler ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft und stv. Landessprecherin von DIE LINKE.NRW
Jan Richter ist Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft und Mitglied im Parteivorstand
Artikel wurde am 22. Dez. 2024 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/blog/2022/02/wir-muessen-unserer-gewerkschaftlichen-orientierung-eine-struktur-geben/.