Rolf Becker - Unermüdlich bis zum Schluss für den Frieden

Am 12. Dezember ist der Schauspieler, Gewerkschafter & Friedensaktivist Rolf Becker im Alter von 90 Jahren verstorben. Mit ihm verliert die politische Linke einen Menschen, dessen Leben vom unermüdlichen Streben nach Gerechtigkeit und Frieden geprägt war. Ein Nachruf der BAG Betrieb & Gewerkschaft.

Rolf Becker - Unermüdlich bis zum Schluss für den Frieden
Foto: Joscha JenneBen

Von Ulrike Eifler

Am 12. Dezember ist der Schauspieler, Gewerkschafter und Friedensaktivist Rolf Becker im Alter von 90 Jahren verstorben. Mit ihm verliert die politische Linke einen Menschen, dessen Leben bis heute geprägt ist von dem unermüdlichen Streben nach Gerechtigkeit und Frieden. Rolf war einer, der sich ohne Rücksicht auf persönliche Nachteile mutig in den Wind stellte und unbeugsam seine Stimme erhob - zuletzt immer wieder gegen das neue Säbelrasseln, gegen Militarismus und Kriegstüchtigkeit.

Als wortgewaltiger Redner, der seine Argumente mit dem klaren Blick eines Marxisten, mit der Leidenschaft eines Gewerkschafters und mit der Sensibilität eines Kulturschaffenden vorzutragen wusste, war Rolf seit vielen Jahrzehnten ein gern gesehener Gast auf Ostermärschen, Gedenkveranstaltungen und Gewerkschaftskongressen. Eine der letzten großen Konferenzen war die Gewerkschaftskonferenz für den Frieden in Stuttgart, wo er mit seinem Ossietzky-Programm die Herzen der Teilnehmer berührte. 

Unvergessen sind die gemeinsamen Auftritte von Rolf und Esther Bejerano. „Wir haben das Schweigen nach 1945 erlebt“, sagten sie bei diesen Auftritten. „Wir haben erlebt wie Naziverbrecher davonkommen konnten - als Richter, Lehrer, Beamte im Staatsapparat und in der Regierung Adenauer. Wir lernten schnell, die Nazis waren gar nicht weg“.

Das Ringen um den Blick auf die Geschichte bestimmte Rolfs Wirken. Und es bestimmte die Nachkriegszeit. Es war ein umkämpftes Kräfteverhältnis, bei dem gewerkschaftliche Regionalforschung, Initiativen zur Straßenumbenennung und Zeitzeugengespräche ihren Anteil daran hatten, dass öffentlich über Massenerschießungen, Konzentrationslager, Antisemitismus, industriellen Massenmord, Zwangsarbeit und Kriegswirtschaft gesprochen werden musste, statt stillschweigend zur Tagesordnung überzugehen. All die Jahre und Jahrzehnte rangen konservative und fortschrittliche Kräfte miteinander. Erst mit dem Ausrufen der Zeitenwende durch Olaf Scholz barst die von unten erkämpfte Erinnerungskultur am Druck der Militaristen und Kriegstreibern. Unsagbares wurde wieder sagbar und das bislang Sagbare auf einmal unsagbar.

Plötzlich sollte der rote Winkel der politischen Häftlinge in den Konzentrationslagern als „Hamas-Symbol“ verboten werden. Russische Staatsbürger wurden von den offiziellen Gedenkfeiern anlässlich des 80. Jahrestages des Kriegsendes ausgeladen, die Gedenkstätten angewiesen, „vom Hausrecht Gebrauch zu machen“. Um die angebliche Notwendigkeit für Sozialabbau zu begründen, wurde wieder auf Zitate aus der Nazi-Zeit zurückgegriffen: Kanonen statt Butter! Und Boris Pistorius führte ebenso unbeirrbar wie ungeniert den von Josef Goebbels etablierten Begriff der „Kriegstüchtigkeit“ zurück in das politische Berlin.

Geschehenes Unrecht nicht einfach hinnehmen zu wollen, nicht hinnehmen zu können, das war es, was Rolf dazu veranlasste, bis zum Schluss auf der Bühne zu stehen und mit großer politischer Klarheit auf diese Entwicklungen hinzuweisen - wie zuletzt bei der Verleihung des Rosa-Luxemburg-Preises in Berlin, wo er unterstrich, dass uns die Erinnerung an die 27 Millionen von Deutschland ermordeten Bürger der Sowjetunion dazu verpflichtet, den Frieden zu bewahren.

„Ohne die persönlichen Kriegserfahrungen“, erzählte er in einem Interview für die BAG Betrieb & Gewerkschaft, „wäre ich vermutlich heute so gutgläubig wie viele unter uns, die den in die Irre führenden Erklärungen aus Regierungskreisen und in den Medien vertrauen“, und er ergänzte, es seien Erklärungen, die ihn vielfach an die Propaganda der letzten Kriegsjahre erinnerten.

Friedenskonferenz: Erinnerung an die Propaganda der letzten Kriegsjahre (Rolf Becker)
Vom 14.-15. Juni organisieren der ver.di-Bezirk Stuttgart und die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Gewerkschaftskonferenz für den Frieden. Mit dabei ist auch der Schauspieler und Kollege Rolf Becker mit seinem Ossietzky-Kulturprogramm. Wir haben im Vorfeld mit ihm gesprochen.

Doch es waren nicht nur die eigenen Kriegserfahrungen, die ihn antrieben, sich rastlos für den Frieden zu engagieren. Es war auch eine tief sitzende Klassensolidarität. Als aktiver Gewerkschafter wusste Rolf, wer auf den Schlachtfeldern der Geschichte gekämpft und wer dies nicht getan hatte. Auf den Gedenksteinen der im Ersten oder Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten standen nie die Namen von Kriegsministern, Rüstungsfabrikanten oder Militärexperten, sondern immer die Namen von Industrieschlossern, Elektrikern oder Straßenbahnfahrern.

Und Rolf erkannte klarer und schneller als viele andere, dass die Zeiten sich änderten. Dass die Diskussionen über Aufrüstung und Wehrpflicht keine unverbindlichen Diskussionen waren, die folgenlos bleiben würden. Rolf erkannte, dass die Bundesregierung den Krieg vorbereitete. Darum war sein Engagement in der Friedensbewegung mit dem aufrichtigen Wunsch verbunden, den kommenden großen Krieg zu verhindern. Er wollte Einfluss nehmen auf den Verlauf der Geschichte und den Kriegstreibern in die Suppe spucken.

Im vergangenen April verliehen ihm die junge welt und Melodie & Rhythmus dafür den Rosa-Luxemburg-Preis. Rolf sagte an diesem Abend mit der für ihn typischen Bescheidenheit wie politischen Klarheit: „Dieser Preis gehört euch allen. Nicht einzelne können Massen bewegen. Umgekehrt: Die Bewegungen in der Gesellschaft bewegen den einzelnen. Er versucht das zu formulieren und weiterzutragen.“

Rolf hat ebenso wie die Namensgeberin dieses Preises, Rosa Luxemburg, stets mit wachen Augen auf die von Krise, Krieg und Ungerechtigkeit gebeutelte Gesellschaft geschaut. Zu sagen, was ist - bleibt die revolutionärste Tat. Das als wahr Erkannte auszusprechen ohne Rücksicht auf mögliche persönliche Konsequenzen. All das erfordert sehr viel Kraft. Eine Kraft, die man vielleicht nur schöpfen kann aus der Erkenntnis, dass das Grundübel von Faschismus und Krieg eine Gesellschaftsordnung ist, die die Profite der Wenigen höher stellt als ein Leben in Würde für die Mehrheit. Zuversicht und Stärke lassen sich vielleicht nur gewinnen aus der Vision, nach der wir alle frei und gleich miteinander leben können. Dies hat Rolf sein Leben lang getan.

Rolf hatte seinen Anteil daran, dass in den 80er Jahren eine starke Friedensbewegung entstehen konnte und gesellschaftlich präsent war. Und wer dabei war, der weiß: Das waren riesige Menschenketten, die Städte miteinander verbanden. Das waren Soldaten in Uniform auf Friedensdemonstrationen. Das waren Konversionskämpfe in Rüstungsbetrieben. Das waren Gewerkschafter, die sich trotzig dem Verbot ihrer Organisation widersetzten und ihre Fahnen mit auf die Friedenskundgebungen nahmen. Diese Friedensbewegung gibt uns heute ein historisches Beispiel dafür, dass es möglich ist, die Menschen für den Traum vom Frieden zu begeistern und zu mobilisieren.

Mit Rolf Becker verlieren wir einen Kollegen und Freund, der uns neun Jahrzehnte lang ein Beispiel dafür gab, wie leicht es ist, mit durchgedrücktem Rücken Nein zu sagen, wenn sich die Dinge in die falsche Richtung entwickeln. Politische Weggefährten auf dem Weg in eine bessere, gerechte und friedliche Welt zu verlieren, ist schmerzlich. Aber es gehört zu diesem Weg dazu und sollte uns daran erinnern, wie wichtig es ist, den gemeinsamen Weg ebenso unbeirrbar wie rastlos weiterzugehen.

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Ulrike Eifler arbeitet für die IG Metall und ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft