Der DGB sollte seine Position zur Histadrut überdenken
Während sich der Chef des israelischen Gewerkschaftsbunds beim Signieren von Bomben inszeniert, schweigen die deutschen Gewerkschaften weiter zu Israels Kriegspolitik. Eine DGB-Delegation reist heute nach Tel Aviv. Jetzt ist eine klare Haltung für einen gerechten Frieden nötiger denn je.
Deutschland trägt Mitverantwortung für den israelischen Vernichtungsfeldzug in Gaza. Doch leider haben die deutschen Gewerkschaften bislang noch nicht den Mut gefunden, eine grundlegende Kritik an Israels Politik zu formulieren. Und das obwohl der Vorsitzende des israelischen Gewerkschaftsbundes Histadrut, Arnon Bar-David, zu Beginn des Krieges demonstrativ Rüstungsfabriken besuchte und sich beim Signieren von Bomben fotografieren ließ. Heute ist eine 40-köpfige Delegation der DGB-Gewerkschaften und der Hans-Böckler-Stiftung zu einer von der Histadrut organisierten Konferenz nach Tel Aviv unterwegs. In seinem Gastbeitrag kritisiert Flo Nagel, selbst aktiver Gewerkschafter in Deutschland, die passive Haltung des DGB und fordert in vier Thesen für einem gerechten Frieden im Nahen Osten einen Kurswechsel im Deutschen Gewerkschaftsbund.
Von Flo Nagel
Die deutsche Nahostpolitik gerät zunehmend auf Abwege: Während Länder wie Großbritannien, Italien, Spanien, Kanada und Australien vor Kurzem einen palästinensischen Staat anerkannt haben, fiel die Bundesrepublik zuletzt dadurch auf, EU-Sanktionen gegen Israel als Reaktion auf seine zerstörerische Kriegsführung in Gaza auszubremsen.
Damit trägt Deutschland Mitverantwortung für die anhaltende Unterdrückung, Vertreibung und Vernichtung palästinensischen Lebens. Auch die deutschen Gewerkschaften haben bislang nicht den Mut gefunden, die sogenannte „deutsche Staatsräson“ zu hinterfragen, eine grundlegende Kritik an Israels Politik zu formulieren und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.
Doch unter Gewerkschafter*innen regt sich zunehmend Widerspruch gegen diese passive Haltung, die im Folgenden aufgegriffen wird: Vier Thesen zu einem gerechten Frieden im Nahen Osten, vier Anstöße für einen Kurswechsel im DGB.
1.) Besatzung befördert Widerstand
Der Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 unter der Führung der Hamas beinhaltete zahllose skrupellose Kriegsverbrechen gegen Zivilist*innen, welche nicht nur schreckliches Leid verursacht, sondern auch den Freiheitsbestrebungen der Palästinenser*innen massiv geschadet haben. Das Handeln der Hamas lässt sich jedoch nicht allein mit einem antisemitischem Vernichtungswahn erklären, sondern ist auch – wie die Hamas selbst – eine Folge der israelischen Besatzungspolitik. Wer „Free Gaza from Hamas“ fordert, sollte daher auch das Ende der israelischen Besatzung fordern wie es zuletzt 100.000 Menschen bei einer Demonstration in Berlin taten.
Doch stattdessen wird in Deutschland Protest gegen die israelische Besatzung und den Vernichtungskrieg in Gaza wie in kaum einem anderen Land unterdrückt und kriminalisiert. Die DGB-Gewerkschaften haben es bisher nicht vollbracht, die Repressionen zu verurteilen oder selbst zu den Protesten für ein freies Palästina aufzurufen. Doch wer schweigt, macht sich zum Komplizen der jahrzehntelangen völkerrechtswidrigen Politik Israels, die im Laufe des Gaza-Krieges nach Ansicht israelischer Menschenrechtsorganisationen, UN-Kommissionen und hunderter Forscher*innen in einen Genozid umgeschlagen ist.
Anstoß für einen Kurswechsel: Der DGB-Bundesvorstand und die Bundesvorstände der Einzelgewerkschaften solidarisieren sich mit den Gaza-Protesten, schließen sich den Forderungen der Solidaritätsbewegung an und rufen zu zukünftigen Demonstrationen auf. Die DGB Gewerkschaften sollten sich in dieser Frage an den Beschlüssen ihrer internationalen Dachverbände wie IndustriALL, Public Services International oder der Education International orientieren.
2. ) Israel: Kein Interesse an einem gerechten Frieden
Die israelische Regierung hat nicht nur alle Waffenstillstandsbemühungen seit dem 7. Oktober sabotiert, sondern auch sämtliche Bemühungen zur Beendigung des historischen Konfliktes, der nur mit der Anerkennung eines palästinensischen Staates überwunden werden kann. Die regierende Likud Partei hält indes an dem in ihrem Gründungsprogramm formulierten Ziel eines „Großisrael“ fest, das auf einen jüdischen Staat zwischen Jordan und Mittelmeer abzielt. In diesem Licht fördert die israelische Regierung den jüdischen Siedlungsbau im Westjordanland. Sie verhindert damit schon heute dauerhaft die Entstehung eines palästinensischen Staates. Die gerade vom israelischen Parlament verabschiedeten Gesetze, die auf eine volle Souveränität Israels im Westjordanland abzielen, müssen als Vorbote einer Annexion des gesamten Gebietes verstanden werden.
Angesichts der seit Jahrzehnten andauernden israelischen Landnahme ist es eine Illusion zu glauben, dass sich Israel in Zukunft einen palästinensischen Staat abverhandeln lassen wird. Die Haltung der deutschen Bundesregierung, einen Staat Palästina erst am Ende eines Prozesses zur Zwei-Staaten-Lösung anzuerkennen, ist daher realitätsfremd – und stabilisiert den für die Palästinenser*innen unerträglichen Status quo.
Anstoß für einen Kurswechsel: Der DGB-Bundesvorstand und die Bundesvorstände der Einzelgewerkschaften erhöhen den Druck auf die Bundesregierung, einen Staat Palästina anzuerkennen.
3.) Israelis sind gleicher als Palästinenser
In der Bundesrepublik hat sich ein enges Meinungsklima etabliert, das von Regierungsstellen wie dem Antisemitismusbeauftragten über die Springer-Presse bis hin zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Amadeu-Antonio-Stiftung reicht und öffentliche Kritik erschwert. Wer Israels Vorgehen hinterfragt, sieht sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, mit doppelten Standards zu messen und antisemitische Motive zu bedienen. Dieser Mechanismus zielt erfolgreich darauf ab, Kritiker*innen zu diskreditieren, wenn sie israelische Verbrechen als diese benennen.
Umgekehrt stimmt, dass deutsche Medien und zahlreiche Politiker*innen bei israelischen Menschenrechtsverletzungen – auch im internationalen Vergleich – gerne ein Auge zudrücken. Ein Beispiel: Tausende Palästinenser sitzen in israelischen Gefängnissen, viele ohne Anklage, darunter auch 350 Kinder und Jugendliche. Berichte über sexualisierte Gewalt, systematische Folter bis hin zu Tötungen zeigen die Brutalität dieses Systems. Doch während die Befreiung der Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas zurecht gefordert und schließlich gefeiert werden konnte, kommt das Schicksal mehrerer tausend sogenannter „Administrativhäftlinge“ in Israels Foltergefängnissen in der deutschen Debatte kaum zur Sprache. Der Westen und damit wir alle müssen uns die Frage gefallen lassen: Wie viele palästinensische Leben sind ein israelisches wert?
Anstoß für einen Kurswechsel: Der DGB-Bundesvorstand und die Bundesvorstände der Einzelgewerkschaften schützen die menschliche Würde von Palästinenser*innen ebenso wie die von Israelis. Zu dieser Verantwortung gehört auch, sich bei der Bundesregierung für die Freilassung aller willkürlich eingesperrten Palästinenser*innen einzusetzen.
4.) Die Rolle des DGB - einseitig solidarisch
Die palästinensischen Gewerkschaften warten seit zwei Jahren auf ein Zeichen der Solidarität von den deutschen Gewerkschaften. Offizielle Bemühungen aus dem DGB, mit den vom Tod bedrohten Gewerkschafter*innen in Gaza Kontakt aufzunehmen, sind bislang ausgeblieben. Während bei humanitären Katastrophen sonst sofort Spendenkampagnen gestartet werden, haben sich der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften immer noch nicht zu einer Unterstützung für die Menschen im zerbombten Gazastreifen durchringen können.
Stattdessen hält der DGB unbeirrt an seinen Kontakten zur zionistischen Histadrut fest. Diese hat während des gesamten Gaza-Feldzuges lediglich – und erst nach öffentlichem Druck – zu einem einzigen Protest gegen den Kriegskurs der Regierung aufgerufen, um die Freilassung der israelischen Geiseln zu bewirken. Dass es der Gewerkschaft dabei weniger um das Leid der Palästinenser*innen geht, zeigte Arnon Bar-David, Vorsitzender des Dachverbandes: Zu Beginn des Krieges reiste er durch sein Land und besuchte Rüstungsfabriken, wo er sich beim Signieren von Bomben fotografieren ließ. Dokumentiert ist, wie er auf einem der Morderzeugnissen einen „Gruß von der Histadrut und den israelischen Arbeitern“ hinterließ. Am heutigen Dienstag wird eine rund 40-köpfige Delegation mit Vertreter*innen der DGB-Gewerkschaften und der Hans-Böckler-Stiftung zu einer von der Histadrut organisierten Konferenz nach Tel Aviv aufbrechen, wo es zum Hände schütteln mit Bar-David kommen wird.
Anstoß für einen Kurswechsel: Der DGB-Bundesvorstand und die Bundesvorstände der Mitgliedsgewerkschaften sagen den geplanten Besuch bei der Histadrut ab. Die Delegation sollte nicht darauf verzichten, die fragwürdige Rolle des israelischen Dachverbandes während des zweijährigen Vernichtungskrieges in Gaza offen anzusprechen.
Artikel wurde am 28. Okt. 2025 gedruckt. Die aktuelle Version gibt es unter https://betriebundgewerkschaft.de/friedenspolitik/2025/10/der-dgb-sollte-seine-position-zur-histadrut-uberdenken/.