Gesundheitswesen muss zivil bleiben

Die Militarisierung des Gesundheitswesens schreitet im Schatten der „Zeitenwende“ voran – ohne Debatte und zulasten der Beschäftigten. Während Milliarden für Krieg fließen, fehlt es an Versorgung. Klarer Appell von Julia-C. Stange: Das Gesundheitswesen muss zivil bleiben.

Gesundheitswesen muss zivil bleiben
Photo by Christian Bowen / Unsplash

Für Frieden, Versorgungssicherheit und demokratische Mitbestimmung

Von Julia-C. Stange

Als Fachkinderkrankenschwester und gewerkschaftsaktive Bundestagsabgeordnete erlebe ich die Veränderungen im Gesundheitswesen aus zwei Perspektiven: aus der unmittelbaren Praxis und aus der politischen Verantwortung heraus. Was sich derzeit abzeichnet, ist eine stille, aber tiefgreifende Militarisierung unseres Gesundheitssystems – eine Entwicklung, die Beschäftigte und Patient*innen massiv betrifft und die Grundprinzipien unserer demokratischen Gesellschaft unter Druck setzt.

Militarisierung im Schatten der „Zeitenwende“

Mit dem Grünbuch „Zivilmilitärische Zusammenarbeit 4.0“ wird erstmals offen formuliert, dass das zivile Gesundheitswesen künftig im Rahmen einer sogenannten Gesamtverteidigung am Bedarf der Bundeswehr ausgerichtet werden soll. Die militärischen Planungen gehen von bis zu 1.000 verletzten Soldaten täglich im Bündnisfall aus – eine Menge, die die Kapazitäten der Bundeswehrkrankenhäuser binnen zwei Tagen übersteigen würde. Die Konsequenz: Zivile Kliniken sollen militärisch einplanbar werden, einschließlich strategischer Patientensteuerung, Vorratswirtschaft und Priorisierung.

Parallel arbeitet die Bundesregierung am Gesundheitssicherstellungsgesetz, das Ende 2025 vorgelegt werden soll. Es würde weitreichende Eingriffe ermöglichen – bis hin zur Priorisierung militärischer Patient*innen und zur Einschränkung grundlegender Arbeitnehmerrechte wie Arbeitsplatzwahl, Streikrecht und Mitbestimmung.

Milliarden für Kriegstüchtigkeit statt für Versorgung

Besonders brisant ist die Studie zur „Resilienz deutscher Krankenhäuser“, die letzten Oktober von der Deutschen Krankenhausgesellschaft vorgestellt wurde. Damit Krankenhäuser kriegstauglich werden, bewegen sich die geplanten Investitionen in gigantischen Dimensionen: 2,7 Milliarden Euro für das Szenario „Cyberangriffe“, 5,0 Milliarden Euro für „Bündnisfall“ und 14,1 Milliarden Euro für „Verteidigungsfall“.

Diese Summen sollen aus dem Sondervermögen Verteidigung bezahlt werden – nicht aus dem Gesundheitsbudget. Damit wird das Gesundheitssystem faktisch zum Teil der militärischen Infrastruktur. Dazu zählt auch der Vorschlag, Krankenhäuser teilweise unterirdisch zu bauen, weil medizinische Einrichtungen in modernen Kriegen verstärkt zu Angriffszielen werden.

Die Illusion, man könne die medizinische Versorgung der Bevölkerung im Kriegsfall aufrechterhalten, verschleiert jedoch eine bittere Wahrheit: Gemeint ist vor allem eine schnelle, effiziente Wiederherstellung der Einsatzfähigkeit von Soldatinnen und Soldaten – nicht die Versorgung der Zivilbevölkerung.

Neue Foren der Einbindung: Charité-Symposium & Berliner Rahmenplan

 Diese Entwicklung zeigt sich inzwischen konkret im Alltag:

  • Im November 2025 findet an der Charité das Symposium „Zivile Notfall- und Rettungsmedizin im Bevölkerungsschutz“ statt. Dort referieren ranghohe Bundeswehrvertreter über die Einbindung des zivilen Gesundheitswesens in militärische Strukturen.
  • Bereits im Juli 2025 stellte die Berliner Senatsverwaltung den Rahmenplan „Zivile Verteidigung Krankenhaus“ vor, der festlegt, wie Berliner Kliniken sich auf Kriegsszenarien vorbereiten sollen.

Hier treffen sich Politiker*innen, Krankenhausleitungen und Militärs – nicht um die Versorgung zu verbessern, sondern um das Gesundheitswesen kriegstüchtig zu machen. Und bundesweit entwickeln Behörden und Militär hinter verschlossenen Türen Pläne, die massive Auswirkungen auf Beschäftigte und Patient*innen haben werden.

Fortbildungen unter Katastrophenschutz – der verdeckte Einstieg

Zunehmend werden Fortbildungen unter dem Label „Katastrophenschutz“ angeboten, die eigentlich der Vorbereitung auf militärische Einsatzlagen dienen. Ich möchte hier ausdrücklich Unterstützung anbieten: Jede*r Beschäftigte muss frei über die Teilnahme entscheiden können.

Dazu braucht es: Aufklärung über Inhalte und Hintergründe, Austausch über mögliche Konsequenzen, gewerkschaftliche Beratung, ein individuelles Verweigerungsrecht aus Gewissensgründen und ein Mitbestimmungsrecht der Personalräte über das Angebot solcher Fortbildungen. Wir werden als Beschäftigte unfreiwillig zu einer „menschlichen Ressource“ für Kriegsszenarien verplant. Das ist inakzeptabel.

Wo bleiben die Gewerkschaften?

Seit Jahren leiden wir unter Unterbesetzung, Überlastung und Unterfinanzierung. Doch zur Militarisierung des Gesundheitswesens herrscht vielerorts Schweigen. Ich sage klar: Die Gewerkschaften müssen sich positionieren.

Wir brauchen Plattformen für Austausch, Schutzräume für Widerspruch, politische Klarheit gegen Militarisierung der Arbeit. Unsere Rechte – von der Berufsfreiheit bis zum Streikrecht – dürfen nicht unter dem Vorwand der „Verteidigungsfähigkeit“ eingeschränkt werden.

Für eine friedliche, gerechte Gesundheitsversorgung – „Krisenfest statt kriegstüchtig“

Die medizinische Ethik verpflichtet uns zur Versorgung der Bevölkerung – nicht zur Vorbereitung auf Kriege. Die angebliche „Zeitenwende“ darf nicht dazu führen, dass Gesundheitseinrichtungen militarisiert, demokratische Rechte eingeschränkt und Ressourcen für Rüstung statt für Versorgung eingesetzt werden.

Ich sage NEIN:

  • NEIN zu Kriegsvorbereitung
  • NEIN zur Militarisierung unserer Arbeit
  • NEIN zur Priorisierung militärischer über zivile Patienten

Und ich sage JA:

  • JA zu einer friedlichen Gesellschaft
  • JA zu einer gerechten, solidarischen Gesundheitsversorgung für alle
  • JA zu demokratischer Mitbestimmung der Beschäftigten

Ein ziviles Gesundheitswesen ist kein Luxus – es ist Voraussetzung für Menschlichkeit, Sicherheit und soziale Gerechtigkeit.

👤
Julia-C. Stange ist Fachkinderkrankenschwester und Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft. Seit Ende Februar ist sie für Die Linke im Bundestag, arbeitet im Gesundheitsausschuss und ist Sprecherin für Ausbildung im Gesundheitswesen, ambulante Versorgung und Frauengesundheit.

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