von Nils Böhlke und Ulrike Eifler
Die aktuellen Krisenerfahrungen sind radikal. Die Antworten darauf müssen es ebenfalls sein. Verständlich, dass Menschen Anhänger der scheinbar radikalen Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens werden. Viele machen die Erfahrung, vom Jobcenter gegängelt zu werden und sich von einem schlecht bezahlten Job zum nächsten zu hangeln. Warum Nils Böhlke und Ulrike Eifler das BGE nicht für die Lösung dieser Probleme halten, erklären sie hier.
„Die Idee des Geldes ohne Gegenleistung bekommt neuen Aufwind“, schrieb DIE WELT während des ersten Lockdowns und griff damit eine laufende Diskussion auf. Ein Einkommen für alle, unabhängig von der eigenen sozialen Situation, das die Grundbedürfnisse abdeckt und den Zwang aufhebt, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Das sogenannte bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wirkt zunächst einmal faszinierend einfach und überzeugend für alle, die sich nicht damit abfinden möchten, dass Menschen im Kapitalismus zu Erwerbsarbeit gezwungen sind. Gerade in der jetzigen Pandemiesituation müsse das doch zumindest kurzfristig möglich sein, so die Überzeugung der Anhänger des BGE. Seitdem haben sich die sozialen Verwerfungen der Pandemie noch vervielfacht. Restaurants, Cafés und Kultureinrichtungen wurden geschlossen. Mehrere Millionen in Kurzarbeit geschickt. Betriebsschließungen, Massenentlassungen, Einnahmeverluste prägen die Situation in zahlreichen Betrieben.
Die aktuellen Krisenerfahrungen sind radikal. Die Antworten darauf müssen ebenfalls radikal sein. Umso verständlicher, dass Menschen Anhänger dieser scheinbar radikalen Idee werden. Viele machen die Erfahrung, dass sie vom Jobcenter gegängelt werden und sich von einem schlecht bezahlten Job mit miesen Arbeitsbedingungen zum nächsten hangeln.
Wir halten die Forderung nach einem BGE allerdings für keine Lösung für die genannten Probleme und meinen, dass sie strategisch in die Irre führt.
Charakter
Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle ist nicht gerecht. Die große Ungerechtigkeit des BGE liegt in seiner Bedingungslosigkeit. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb die Familien Albrecht die gleiche Unterstützung erhalten soll, wie die vielen Kassier*innen in den ALDI-Filialen. Alle Menschen gleich zu behandeln – unabhängig von ihrer jeweiligen persönlichen Situation ist nicht gerecht. Linke Sozialpolitik sollte diejenigen unterstützen, die es dringend benötigen. Deshalb muss Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden. Geholfen werden muss denen, die es brauchen. Nun wird die Bedingungslosigkeit damit begründet, dass dadurch die Repressionen einer Bedürftigkeitsprüfung umgangen wird und der Familie Albrecht das BGE mit der Einkommensteuer wieder abgezogen wird. Aber erstens ist die Forderung nach der Abschaffung des Repressionssystems ohnehin Konsens in der Linken – dafür braucht es kein BGE – und zweitens ist es auch widersprüchlich erst ein Ende der Überprüfung der Einkommensverhältnisse zu fordern und dann über die Einkommensteuer einer solchen doch zuzustimmen. Und wenn ohnehin eine Überprüfung stattfindet, ist nicht nachvollziehbar, weshalb diese nicht bereits im Vorfeld stattfindet und so dafür sorgt, dass eine repressionsfreie, existenzsichernde Mindestsicherung lediglich an all diejenigen ausgezahlt wird, die sie auch wirklich brauchen.
Anstatt mit einem Grundeinkommen alle gleich zu behandeln und so zu tun, als sei das sozial gerecht, sollte die Auseinandersetzung um den Ausbau des Sozialstaates im Bündnis mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und Kirchen offensiv geführt werden.
Auswirkungen
Ein Grundeinkommen würde die Beschäftigten nicht stärken, sondern schwächen. Lohnpolitik ist ein Kräfteverhältnis. Ein existenzsicherndes Grundeinkommen würde die Arbeitgeber von der Verantwortung entbinden, existenzsichernde Löhne zu zahlen. Es würde wie ein Kombilohn wirken und den Niedriglohnsektor ausweiten. Bislang müssen sich Unternehmen bei Lohnzahlungen nämlich an der Höhe der Reproduktionskosten orientieren. Wenn der Staat aber sicherstellt, dass die Menschen durch ein BGE ausreichend Einkommen für Wohnraum, Essen und Kleidung haben, muss der Lohn nicht mehr existenzsichernd sein. Arbeit bekäme den Charakter eines Zuverdienstes. Hinzu kommt: Neoliberale Befürworter des BGE sehen dieses als Rammbock, um den Sozialstaat zu zertrümmern. DIE LINKE muss dieser Diskussion mit klaren Positionen entgegentreten, statt im Windschatten neoliberaler Diskurse von einer linken Variante zu träumen.
Strategische Orientierung
Für ein existenzsicherndes Grundeinkommen müssten jährlich etwa 1.000 Milliarden Euro mehr mobilisiert werden. Selbstverständlich wollen wir den unerhörten Reichtum der Millionäre und Milliardäre gerecht verteilen, aber gesellschaftliche Umverteilung tritt nicht einfach ein, nur weil man es finanziell durchrechnet und programmatisch beschließt. Umverteilung ist vielmehr das Ergebnis gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse. Die Quelle der Macht der Reichen und Superreichen ist die tägliche Enteignung von Millionen Menschen in den Betrieben. Ihnen wird ein Teil dessen vorenthalten, was sie täglich erarbeiten und in die Taschen der Millionäre umgeleitet. Wer an dieser Quelle der Spaltung in Kapital und Arbeit nicht ansetzt, wird die bestehenden Ungerechtigkeiten nicht überwinden. Der mühevolle Kampf um kleine Entgeltsteigerungen zeigt, wie wenig Interesse Reiche und Superreiche an Umverteilung haben. Es braucht emanzipatorische Kämpfe, um Veränderung durchsetzen. Dazu zählen die Kämpfe um Arbeitszeitverkürzung, eine höhere Personalbemessung in Krankenhäusern, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit oder die Abschaffung von Hartz IV – all das stärkt die Beschäftigten im Betrieb und kann die Kräfteverhältnisse für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen verschieben. DIE LINKE muss sich deshalb um betriebliche Verankerung bemühen und diese Kämpfe leidenschaftlich unterstützen und sich nicht an programmatische Forderungen klammern, die an den realen Kämpfen in den Betrieben vorbeigehen.
Ulrike Eifler ist stellvertretende Landessprecherin von DIE LINKE in NRW und Bundessprecherin der AG Betrieb & Gewerkschaft. Nils Böhlke ist Mitglied im Landessprecher*innen-Rat AG Betrieb & Gewerkschaft in NRW
Uns steht eine Auseinandersetzung darüber bevor, ob unsere Partei die Forderung nach einem BGE in ihre Programmatik aufnehmen soll. Die BAG Grundeinkommen strebt dazu einen Mitgliederentscheid an. Dagegen formiert sich Widerstand.
Mit unserer Broschüre wollen wir bis zum Entscheid Aufklärungsarbeit leisten, damit sich die Mitglieder unserer Partei gut informiert ein Urteil bilden können. Sie soll Stimme derjenigen in der Partei sein, die ein BGE klar ablehnen. Wir haben die besseren Argumente.
Download und Bestellmöglichkeiten der Broschüre sowie weitere Argumente findet ihr hier: www.grundeinkommen-kritik.org