Kriegsvorbereitungen sind Klassenkampf von oben

Die Bundesregierung hat die militärpolitische Zeitenwende eingeläutet, und mittlerweile ist die Militarisierung in der Arbeitswelt angekommen. Wie darauf reagieren? Der Sammelband "Gewerkschaften in der Zeitenwende" gibt Antworten. Nils Böhlke hat ihn besprochen.

Kriegsvorbereitungen sind Klassenkampf von oben
Gewerkschaftstag der GEW in Berlin, Foto: Kay Herschelmann

Im Juli fand die mittlerweile dritte Gewerkschaftskonferenz für den Frieden statt. Es ist wesentlich auch das Verdienst der Herausgeberin, dass diese Konferenz nach Hanau und Stuttgart nun zum dritten Mal in einer Kooperation zwischen der Rosa-Luxemburg-Stiftung und einer bezirklichen Gliederung der IG Metall (Hanau 2023 und Salzgitter 2025) oder von ver.di (Stuttgart 2024) mit hochkarätigen Teilnehmer*innen aus den Gewerkschaften und der Friedensbewegung stattfinden konnte.

Das Buch „Gewerkschaften in der Zeitenwende“ besteht aus 14 Einzelbeiträgen, die im wesentlichen von Teilnehmer*innen der Konferenz beigesteuert wurden. Grundthese des Buches ist, dass „Kriegsvorbereitungen und vor allem der Krieg selbst […] stets mit enormen Angriffen auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der arbeitenden Klasse einher“ gehen. „Es ist deshalb wichtig Kriege nicht »nur« aus moralischen Gründen abzulehnen“ (S. 9).

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Die Rezension ist zuerst bei etos.media erschienen - dem Portal für kritischen, unabhängigen und freien Journalismus. Wir spiegeln sie auf unserer Seite.

Mit einem leicht ironischen Beitrag von Ingar Solty, beginnt das Buch. Er stellt dar, dass Rheinmetall die wahre Friedensbewegung in Deutschland sei, weil nur durch ihre Waffen der Frieden gesichert werden kann. Allerdings macht er dabei auch sehr ernsthaft darauf aufmerksam, dass die eigentliche Zäsur der deutschen Außenpolitik nicht der russische Überfall auf die Ukraine war, sondern die Enthaltung von Außenminister Guido Westerwelle während des Regime-Change in Libyen. Danach war für die außenpolitischen Eliten endgültig klar. „Man könne es sich nicht mehr leisten, »wirtschaftlicher Riese«, aber »außenpolitischer Zwerg« zu sein. (S. 18) In der Folge steigerte Deutschland von 2013 bis 2021 seine Rüstungsausgaben um 30,1 %. Allerdings war der Ukrainekrieg ein Katalysator, der diese Entwicklung noch einmal massiv beschleunigte. Bei Umsetzung des 5-Prozent-Ziels würden die Ausgaben um noch einmal 370 % steigen. 

Angesichts dieser Entwicklung stellt sich der Volkswirt und Gewerkschaftssekretär in der Wirtschaftspolitischen Abteilung bei ver.di, Dierk Hirschel, den Fragen, ob diese Ausgaben zu einem Wachstumstreiber für die kriselnde deutsche Wirtschaft werden können und ob „die steigenden Rüstungsausgaben nicht zulasten von Sozialausgaben und Klimaschutz gehen werden.“ (S. 29). Da Rüstungsausgaben totes Kapital sind und somit so gut wie keine weitere Funktion für die produktiven Bereiche der Ökonomie haben, in der Rüstungsindustrie vergleichsweise wenig Menschen arbeiten, es kaum Konkurrenz gibt und ein erheblicher Teil der Ausgaben im Ausland landet, gibt es nur eine geringe gesamtwirtschaftliche Rendite. Allein die durch die Rüstungsausgaben notwendigen Zinsen führen trotz der Sondervermögen dazu, dass die öffentlichen Haushalte zukünftig extrem belastet werden. Da auf absehbare Zeit auch kein kräftiger Aufschwung in Sicht ist und die Anforderungen an den Sozialstaat eher größer werden, spitzt sich der Verteilungskonflikt zu. Dies unterstützt aus Ralf Krämer in seinem Beitrag. Der zudem noch einmal darauf hinweist, dass aus diesem Grunde die Gewerkschaften diese Entwicklung gemeinsam mit der Friedensbewegung angehen müssen, um sich ihr wirksam in den Weg zu stellen.

Es ist eine der Stärken des Buches, dass die direkten Auswirkungen der Rüstungsexplosion auf bestimmte Branchen sehr anschaulich dargestellt werden. So zitiert die Stuttgarter ver.di-Geschäftsführerin, Sidar Carman, eine Erzieherin, die stellvertretend für ihre Kolleginnen und Kollegen im Öffentlichen Dienst auf einer Streikversammlung davon berichtete, was mit den Milliarden für die Rüstung in den Kitas alles möglich wäre. (S. 53/54) Deshalb betont der ver.di Gewerkschaftssekretär in der Bundesverwaltung, Armin Duttine, dass „erfolgreiche Tarifpolitik […} die Rahmenbedingungen der Zeitenwende nicht außer acht lassen [darf], sondern […] diese auf- und angreifen [muss]“. (S. 64)

Auch auf das Bildungs- und das Gesundheitswesen hat die Militarisierung bereits Einfluss genommen, wie Mark Ellmann von der GEW und vier Autorinnen vom Verein demokratischer Ärzt*innen (vdää*) darstellen.  So ist es in Bayern mittlerweile für Lehrerinnen und Lehrer verpflichtend Jugendoffiziere in den Unterricht zu lassen und selbst für sechs- bis zwölfjährige werden in den Sommerferien Bundeswehr-Freizeiten angeboten und in den Krankenhäusern wird unter anderem die vorrangige Behandlung von Militärangehörigen diskutiert. 

Wie konkret die deutsche Wirtschaft derzeit in Richtung Kriegswirtschaft umgebaut wird indem beispielsweise Gegenkonversion betrieben wird also aus zivilen Betrieben Rüstungsindustrie zeigt Ulf Immelt, Gewerkschaftssekretär beim DGB in Mittelhessen. Der Leiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Heinz Bierbaum setzt dagegen, dass „anstatt auf Rüstung zu setzen, […} eine aktive Industriepolitik gefordert [ist]“ (S. 89). Ähnlich argumentiert auch Anne Rieger, von der KPÖ.

Wie ganz konkret Betriebsräte auf Grundlage der ihnen vom Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zur Verfügung gestellten Instrumente, den möglichen Umbau ihres Unternehmens in ein Rüstungsunternehmen begleiten können, beschreibt Hans Schenk. Der Geschäftsführer eines Beratungsunternehmens für Betriebsräte erläutert, wie im Wirtschaftsausschuss, in den Monatsgesprächen, in der Personalplanung, bei der Sicherung und Förderung der Beschäftigung über die Mitbestimmung nach § 97, über freiwillige Betriebsvereinbarungen, Betriebsversammlungen und Umstrukturierungen nach § 111ff. Einfluss ausgeübt werden kann ohne dabei die spezielle Rolle von Betriebsräten zu missachten. 

Dass die Beschäftigten zukünftig auch ganz direkt in ihren Rechten eingeschränkt werden können, wurde im Februar 2025 im Bundestag durch eine Novelle des Arbeitssicherstellungsgesetzes noch einmal verschärft, wie Andreas Engelmann beschreibt. Der Bundessekretär der Vereinigung Demokratischer Jurist*innen. Zeigt dabei auf, dass dieses Gesetz bereits im sogenannten Bündnisfall ohne Konsultation des Parlaments Wehrpflichtige (also Männer zwischen 18 und 60) dazu verpflichtet werden können in kriegswichtigen Bereichen zu arbeiten. Es muss nicht lange erklärt werden, dass dies natürlich auch die kollektive Handlungsmacht der Beschäftigten einschränkt. 

Es ist offensichtlich, dass die Kriegsvorbereitungen darauf hinauslaufen, dass die von Engels benannten Alternativen „Sozialismus oder Barbarei“ wieder absolut aktuell sind. Deshalb muss auch wieder verstärkt in Systemalternativen gedacht werden, argumentiert Ulrike Eifler im Abschlussbeitrag. 

Gewerkschaften in der Zeitenwende
Ulrike Eifler (Hrsg.) Gewerkschaften in der Zeitenwende Was tun gegen Umverteilung nach oben, massive Angriffe auf den Sozialstaat, die Militarisierung des Alltags und den Rüstungswahnsinn? 144 Seiten | 2025 | EUR 12.80 ISBN 978-3-96488-251-6 Kurztext: In zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen tangiert die »Zeitenwende«, die nun von einer schwarz-roten Regierungskoalition fortgeführt wird, die Arbeits- und Lebenssituation der Lohnabhängigen und damit auch der Gewerkschaften. Die Autorinnen und Autoren analysieren diese und machen deutlich, was dagegen getan werden kann. Buchumschlag (Print) als -Datei! Inhalt & Leseprobe: www.vsa-verlag.de-Eifler-Gewerkschaften-in-der-Zeitenwende.pdf130 K Die Verteilungskämpfe spitzen sich zu. In der Folge einer Umverteilungspolitik vom Sozialen zum Militärischen sind Angriffe auf den Sozialstaat zu erwarten. Das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit verschiebt sich zu Ungunsten der Gewerkschaften. Ein gesellschaftliches Klima aus Inflation, Deindustrialisierungserfahrungen und Sozialabbau stärkt nicht die Forderungen der Gewerkschaften, sondern die der Unternehmer und Konzerne. Der militärische Umbau der Daseinsvorsorge führt zu Beeinträchtigungen bei der Versorgung der breiten Bevölkerung, Beispiele: Bildung, Öffentlicher Personennahverkehr und Gesundheit. Der Kurs von Aufrüstung und Krieg wird die Erderwärmung vorantreiben und macht den Klimakollaps wahrscheinlicher. Meinungskorridore verengen sich, Grundrechte werden eingeschränkt, die Notstandsgesetzgebung wird so geändert, dass sie erleichtert angewendet werden kann. Die steigende Eskalationsgefahr und die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird für Lohnabhängige zu einem unmittelbaren Sicherheitsrisiko. Die Einführung der Wehrpflicht auch für Frauen in Dänemark und Schweden zwingt uns zudem eine Gleichberechtigungsdebatte auf, die sich als Gleichberechtigungsfalle entpuppen wird.Hinzu kommt: Das Fiskalpaket der neuen Bundesregierung, das sowohl unbegrenzte Aufrüstung als auch Investitionen in die Infrastruktur verspricht, stellt die Gewerkschaften vor große Herausforderungen: Für die Industriegewerkschaften wiegt das Arbeitsplatzargument in Rüstungsbetrieben schwer. Für die Dienstleistungsgewerkschaften ist es das Infrastrukturversprechen der neuen Koalition. Über die SPD als Teil der Regierung laufen die Gewerkschaften Gefahr, in den Aufrüstungs- und Kriegskurs eingebunden zu werden. Die Gewerkschaften stehen also nicht nur vor der Herausforderung, die Frage zu diskutieren, was für eine Industriepolitik sie wollen und wie sie zur Militarisierung der Daseinsvorsorge stehen, sondern auch das politische Mandat der Gewerkschaften in der Vielfalt auszubuchstabieren, wie sich vor ihnen die Vielfachkrise auffächert. Die Herausgeberin:Ulrike Eifler ist Gewerkschaftssekretärin in Würzburg. Seit 2017 gehört sie zum Sprecher*innenkreis der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb & Gewerkschaft in der Partei Die Linke und ist Mitglied im Parteivorstand.

Durch die vielen Beiträge ergeben sich zwar einige Wiederholungen, aber insgesamt ist das Buch ein wertvoller Beitrag zur gewerkschaftlichen Strategiebildung. Die sowohl in der Sozialdemokratie als auch in den Gewerkschaften und selbst in Teilen der Linken geäußerte Hoffnung, dass die Angriffe auf den Sozialstaat und die Arbeitsbedingungen der Kolleginnen und Kollegen von der Frage der Militarisierung der Gesellschaft zu trennen sei, wird durch die Beiträge von Hirschel und Krämer als gefährliche Illusion demaskiert. Viele weitere Beiträge machen deutlich, wie sich unser Leben hier in Deutschland nach und nach durch die Militarisierung ändert und das, was vorgeblich verteidigt werden soll, nämlich eine liberale, weltoffene Demokratie immer unkenntlicher wird. Daher plädieren die Autoren vehement dafür endlich umzusteuern und in den Gewerkschaften für einen Kurswechsel zu kämpfen. Darin wird in den nächsten Jahren zweifelsohne unsere wichtigste Aufgabe bestehen und dafür liefert das Buch einen großen Beitrag. 

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Nils Böhlke arbeitet bei ver.di als Gewerkschaftssekretär, ist Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft und wurde Anfang November zum stellvertretenden Landessprecher von Die Linke in NRW gewählt.

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