Was heißt neue Normalität aus linker Sicht?

Was heißt neue Normalität aus linker Sicht?

Von Jana Seppelt

Im April diesen Jahres veröffentlichte der Einladerkreis Offensive Ge­werkschaftspolitik der IG Metall sein Diskussionspapier „Die Renaissance des Staates„. Ziel des Papiers ist es, Diskussionen innerhalb der IG Metall und anderer Gewerkschaften darüber anzustoßen, wie wir angesichts der aktuellen „Corona-Krise“ die Auseinandersetzung um den weiteren gesell­schaftlichen Entwicklungsweg führen, um zu einer neuen Normalität aus linker Sicht kommen.

Zwei Entwicklungswege

So zeichnen sich in der aktuellen Entwicklung zwei Wege ab: Ein autoritä­rer, auf Umverteilung zu Lasten der Beschäftigten zielender Staat einer­seits und ein sozialstaatlich ausgerichteter, demokratischer Weg anderer­seits.

Autoritäre Züge in der Entwicklung sind dabei die Einschränkung der Grundrechte, eine neue entdemokratisierte Betriebskultur mit starken Ver­einzelungstendenzen und einer Zwei-Klassen-Logik (u. a. Homeoffice auf der einen Seite, Produktion unter bedenklichen Hygienebedingungen auf der anderen) und die massive Umverteilung zur Stützung der Unterneh­men, die in der Vergangenheit zum Teil hohe Renditen eingefahren haben. Diesen wird das Unternehmerrisiko durch die Kurzarbeit vollständig abge­nommen, während das Kurzarbeitergeld selbst nach der Erhöhung unzu­reichend bleibt.

Gleichzeitig ist in wirtschafts- und finanzpolitischer Hinsicht ein zumindest teilweiser Bruch mit der bisherigen Politik erkennbar. So wird die Schul­denbremse kritisch diskutiert und die „schwarze Null“ zumindest ausge­setzt und auf Bundes- wie europäischer Ebene Sonderprogramme in drei­stelliger Milliardenhöhe aufgelegt, um die Krisenfolgen abzuschwächen. Kurz: Ein Eingeständnis, dass die Anwendung der Prinzipien des Marktes nicht geeignet ist, die gesellschaftliche Entwicklung unter den aktuellen Bedingungen zu befördern.

Eine neue linke Normalität schaffen

Die Autor*innen plädieren dafür, dass Gewerkschaften sich stärker in die ideologische Auseinandersetzung einbringen sollten, welche Elemente der aktuellen Politik prägend für die Gesellschaft nach der Krise sein sollen. Konfrontiert mit einer Situation, die neben höherer Arbeitslosigkeit und höherer Staatsverschuldung mit Rückkehr zur schwarzen Null von einer – zumindest in Teilen – geschwächten Wirtschaft und neuen autoritären Strukturen gekennzeichnet ist, müssen die sozialstaatlichen Elemente der Entwicklung verstärkt gestärkt und demokratische Strukturen verteidigt und ausgebaut werden.

Die Forderungen der Autor*innen umfassen neben Elementen sozial-öko­logischer Transformation und Konversion der Automobilindustrie, einer Politik der Umverteilung von oben nach unten auch die Umsteuerung in der sozialen Daseinsvorsorge und den Gesundheitssystemen und eine neue europäische Solidarität in und nach der Krise. Einige konkrete Vorschläge:

  • Eine Vermögensabgabe analog des Lastenausgleich 1952 zu erheben.
  • Das Kurzarbeiter- und Arbeitslosengeld zu erhöhen, ebenso die Sozial­leistungen.
  • Die gesetzliche Personalbemessung einzuführen und die Finanzierung im Gesundheitssystem neu zu ordnen.
  • Den Rüstungsetat einzufrieren bzw. abzubauen.
  • Ein sozial-ökologisches Beschäftigungsprogramm aufzulegen.

Es lohnt sich, die Forderungen in gewerkschaftlichen Gremien und Partei­strukturen zu diskutieren und zu ergänzen. Warum nicht bei Rettungspa­keten fordern, dass der Staat als aktiver Teilhaber von Kreditnehmern verlangt, Arbeiterausschüsse in die betriebliche Mitbestimmung einzubin­den? Warum nicht die Arbeitszeitausweitung rückabwickeln und das Ar­beitszeitgesetz verbessern? Warum nicht fordern, dass das Kurzarbeiter­geld auch an Bedingungen für die Unternehmen gebunden sein muss (keine Dividendenausschüttung, Darstellung der Bedürftigkeit der Unter­nehmen bis hin zur Öffnung der Geschäftsbücher)? Wie können wir Priva­tisierungsbremsen im kommunalen Bereich einführen? Warum nicht das Kündigungsschutzgesetz im Sinne der Beschäftigten verbessern?

Es lohnt sich, die Forderungen in den Branchen zu diskutieren und anzu­passen. Klar ist, dass es in den Branchen unterschiedliche Betroffenheit gibt: Die einen sind von Kurzarbeit und Entlassungen geprägt, andere von zunehmenden Spardruck. Wieder andere florieren in unfassbarem Ausmaß (u.a. Amazon), allerdings stehen dort Beschäftigtenrechte und Ökologie nun wirklich nicht auf der Tagesordnung. Die Bedingungen sind nicht un­bedingt besser geworden, um sozial-ökologische Transformation durchzu­setzen, allerdings haben wir durchaus festgestellt, dass der Staat sehr wohl eine offensive Finanz- und Wirtschaftspolitik machen kann, wenn er will.

Für eine aktive Diskussion und gemeinsame Aktivitäten

Klar ist, dass Gewerkschaften die Aufgabe haben, die unmittelbare Inter­essenvertretung der Beschäftigten zu sichern. Klar ist, dass in und nach der Krise die individuelle Vertretung bei Kündigungen und Kurzarbeit oder die Organisierung kollektiver Kämpfe für bessere Arbeitsbedingungen oder die Abwendung von Betriebsschließungen sowie die Durchsetzung eines Ge­sundheitsschutzes für Alle viele Ressourcen bindet. Doch viele gute Ansät­ze und Diskussionen werden verpuffen, wenn wir es nicht schaffen, inner­halb unserer Gewerkschaften, aber auch gewerkschaftsübergreifend in Bündnissen mit anderen sozialen Bewegungen eine Verständigung über die zentralen Punkte einer neuen linken Normalität zu erreichen und diese auch kampagnenförmig in die Welt zu bringen.

Man kann gespannt sein, welche Ergebnisse die IG Metall interne Diskus­sion bringt. Noch viel wichtiger scheint mir, aktiv an der Diskussion teilzu­nehmen und an einer Verständigung mitzuwirken – in den eigenen Gremi­en und Gewerkschaften, aber auch gewerkschaftsübergreifend in der AG Betrieb & Gewerkschaft oder im Rahmen der gewerkschaftlichen Vernet­zung der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Jana Seppelt ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft

Dieser Artikel entstammt der aktuellen Ausgabe unserer Zeitung

Kontakt an den Einladerkreis Offensive Gewerkschaftspolitik der IG Metall: [email protected]