Die IG Metall vor schwieriger Tarifrunde

05. Juli 2024  TARIFRUNDEN

Von Heinz Bierbaum

Die IG Metall hat die Tarifforderung für die Metall- und Elektroindustrie beschlossen. Sie fällt mit sieben Prozent mehr Lohn recht bescheiden aus. Doch die Branche ist von einer hohen Unsicherheit geprägt und die IG Metall wird sich auf eine harte Tarifrunde einstellen müssen. Ob sie erfolgreich sein wird, hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob die IG Metall die Herausforderung annehmen wird, die Tarifrunde zu politisieren, meint Heinz Bierbaum in einem Beitrag für die Zeitschrift Sozialismus, den wir hier spiegeln.

Die IG Metall fordert für die im September beginnenden Tarifverhandlungen für die 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie sieben Prozent mehr Geld für zwölf Monate und eine überproportionale Erhöhung der Ausbildungsvergütungen von 170 Euro. Außerdem soll es eine soziale Komponente geben, indem untere Entgeltgruppen entlastet werden. Auch soll das Thema Arbeitszeit in den Verhandlungen angesprochen werden, ohne dass dazu eine konkrete Forderung aufgestellt worden ist.

Die Konzentration auf eine Lohnerhöhung wird mit der Teuerung begründet, die auch in der im Vorfeld der Forderungsdebatte durchgeführte Befragung unter rund 318.000 Beschäftigten aus 2.705 Betrieben die zentrale Rolle spielt. So sprechen sich 58 Prozent der Befragten dafür aus, die gestiegenen Kosten auszugleichen. Nimmt man noch die 14 Prozent hinzu, die sich für eine Stärkung der Kaufkraft aussprechen, sind es 72 Prozent, die das Thema Geld in den Vordergrund stellen, denn sie spüren die dauerhaft gestiegenen Kosten und wollen die Kaufkraft stärken. Besonders finanziell belastet sind Auszubildende und dual Studierende. Hier beklagen 93 Prozent die gestiegenen Lebenshaltungskosten.

In der Tat sind die Lebenshaltungskosten immer noch sehr hoch, auch wenn die Inflationsrate zurückgegangen ist. Die Erste Vorsitzende der IG Metall Christiane Benner fasste dies wie folgt zusammen: »Die Inflation mag sich abschwächen, die Preise bleiben aber hoch. Die Beschäftigten erwarten von den Arbeitgebern spürbar sowie dauerhaft mehr Geld gegen den Preisdruck.« Dies betrifft vor allem Energiekosten, die in Deutschland zu den höchsten in Europa zählen, sowie die Kosten fürs Wohnen und auch für Lebensmittel.

Eine Forderung von sieben Prozent erscheint vor diesem Hintergrund eher bescheiden. Freilich muss dabei berücksichtigt werden, dass die wirtschaftliche Lage in der Metall- und Elektroindustrie schwierig ist. Das sehen auch die befragten Beschäftigten, so beschreiben 41 Prozent die wahrgenommene ökonomische Situation in Deutschland als schlecht oder sehr schlecht. Die Wirtschaft insgesamt stagniert und die notwendige ökologische Transformation in der Industrie stockt und ist mit erheblichen Widersprüchen verbunden. Dies gilt insbesondere für die Autoindustrie, wobei vor allem die Zulieferer vor erheblichen Problemen stehen. Dadurch sind die Belegschaften verunsichert.

Auf der anderen Seite verweist die IG Metall selbst darauf, dass 80 Prozent der Beschäftigten die wirtschaftliche Lage des Betriebs vor Ort für »in Ordnung« befinden, 44 Prozent halten sie sogar für gut oder sehr gut. Nadine Boguslawski, die für die Tarifpolitik zuständige Vorständin der IG Metall, unterstreicht: »Die wirtschaftliche Situation der Betriebe nehmen die Beschäftigten insgesamt deutlich positiver wahr, als es das aktuelle Wehklagen der Arbeitgeberverbände vermuten lässt.«

Wir haben es also mit einer widersprüchlichen Situation zu tun. Seitens der Unternehmer und ihrer Verbände wird dies sicherlich dazu führen, dass die Forderungen als übertrieben und nicht bezahlbar qualifiziert werden. So haben schon einige Verbände eine Nullrunde gefordert. Dies ist zwar ein durchaus übliches Ritual, doch die Verunsicherung ist groß und auch die wirtschaftliche Situation wird sich weiter zuspitzen.

Die Lage ist objektiv schwierig, doch die Probleme sind zumindest zum Teil auch hausgemacht. So haben etwa die Unternehmen der Autoindustrie die Umstellung auf das Elektroauto viel zu spät gemacht und sehen sich nun einer starken internationalen Konkurrenz insbesondere aus China ausgesetzt. Hinzu kommt, dass auch die Produktstrategie äußerst fragwürdig ist. Es fehlt immer noch an einem kleineren bezahlbaren Elektrofahrzeug. Da werden auch die anvisierten EU-Zölle für Autos aus China wenig helfen. Sie sind vielmehr gerade aus Unternehmenssicht kontraproduktiv.

Sehr zu begrüßen ist, dass die Ausbildungsvergütungen überproportional erhöht werden sollen. Dadurch kann die Attraktivität der dualen Ausbildung erhöht werden, was angesichts der Bedeutung der Ausbildung dringend notwendig ist. Zu unterstreichen ist weiter, dass die Erhöhung der Löhne und Gehälter tabellenwirksam, also etwa im Gegensatz zu Einmalzahlungen nachhaltig sein soll.

So sehr angesichts der hohen Lebenshaltungskosten die Konzentration auf das Geld nachvollziehbar ist, so klar ist aber auch, dass angesichts der widersprüchlichen Lage in der Metallindustrie die Tarifrunde politische Dimension annehmen muss, wenn sie erfolgreich sein soll. Es bedarf nach wie vor eines hohen Engagements der IG Metall in Hinblick auf Gestaltung und Verlauf der betrieblichen Transformationsprozesse. Dies erfordert industrie- und strukturpolitische Aktivitäten und damit Einflussnahme auf die Politik. Die Lohnrunde muss also in eine betriebsübergreifende Industriepolitik eingebettet werden.

Man wird gespannt sein dürfen, was die Ankündigung bedeutet, dass die Verhandlungen im Herbst von einer Debatte über die Arbeitszeit begleitet werden sollen. In der erwähnten Umfrage hielt eine große Mehrheit der Befragten – neben der Sicherung von Standorten und Beschäftigung sowie der Altersabsicherung – aktuell auch das Thema selbstbestimmter Arbeitszeit für wichtig.

Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die Viertagewoche im Zentrum steht. Vermutlich geht es mehr um die Frage nach flexibler Arbeitszeitgestaltung im Interesse der Beschäftigten. Dabei kann an das seit 2019 bestehende tarifliche Zusatzgeld angeknüpft werden. Dieses sieht vor, dass Beschäftigte unter bestimmten Bedingungen (Schichtarbeit, Betreuung von Angehörigen) das tarifliche Zusatzgeld in Zeit umwandeln und dadurch zusätzliche acht Tage im Jahr frei haben.

Auch die »Verkürzte Vollzeit« mit der Möglichkeit, die Arbeitszeit befristet auf bis zu 28 Stunden abzusenken, stellt einen Bezugspunkt dar. Es geht also auch um die Work-Life-Balance. Doch auch die Viertagewoche bleibt aktuell, auch wenn sie nicht im Zentrum stehen wird. Sie wurde von der IG Metall in der Tarifrunde der Stahlindustrie Ende letzten Jahres aus beschäftigungspolitischen Gründen gefordert, jedoch nicht vereinbart.

Für die Linke besteht die Chance, sich in die gesellschaftliche Diskussion um Arbeitszeit einzubringen, diese Frage mit den Gewerkschaften zusammen zu diskutieren und nicht einfach nur die Viertagewoche zu fordern. Damit wird man der Komplexität der Arbeitszeitfrage nicht gerecht.

Die Situation ist durch hohe Unsicherheit gekennzeichnet. Die Tarifrunde wird schwierig. Sie wird auch wesentlich politisch beeinflusst werden. Es wird sich zeigen, ob die IG Metall die politischen Herausforderungen annimmt. Jedenfalls muss sie sich auf eine harte Tarifrunde einstellen.

Heinz Bierbaum war bis vor ein paar Jahren Geschäftsführer des gewerkschaftsnahen INFO-Instituts in Saarbrücken. Aktuell ist er Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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