Im Interesse einer erfolgreichen Energiewende ist die deutsche Regierung seit Jahren bemüht, mit einigen Ländern des globalen Südens sogenannte Energiepartnerschaften abzuschließen. Im Zentrum steht dabei die Dekarbonisierung unserer Konsum- und Produktionsweise, für die grüner Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stehen soll. Da Uruguay seine Energiewende erfolgreich organisiert hat und mittlerweile 94 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien bezieht, wäre der dort produzierte Wasserstoff CO2-neutral. Im Gegenzug sollen diese Länder bei ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung unterstützt werden. Auf ihrer Website attestiert sich die Bundesregierung mit diesen Abkommen einen Prozess auf Augenhöhe. Im globalen Süden dagegen spricht man von Energiekolonialismus und beklagt eine zunehmende gesellschaftliche und ökologische Zerstörung im Namen der Energiewende. Unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler hat für die Freiheitsliebe mit dem Präsidenten der Gewerkschaft der staatlichen Energiearbeiter Uruguays, Gonzalo Castelgrande, über die Energiewende in Uruguay gesprochen. Wir spiegeln das Interview auf unserer Seite.
Ulrike Eifler: Gonzalo, du bis Präsident der Gewerkschaft der Elektrizitätsbeschäftigten des öffentlichen Energiekonzerns. Deine Gewerkschaft Agrupación de Functionarios de la U.T.E., kurz AUTE, versteht sich als Einheitsgewerkschaft. Was genau ist darunter zu verstehen?
Gonzalo Castelgrande: Wir sind die einzige Gewerkschaft im Energieunternehmen UTE. Damit folgen wir dem Industrieverbandsprinzip, das seit 1966 in Uruguay gilt: eine Branche – eine Gewerkschaft. Das heißt, wir vertreten die Interessen aller Beschäftigten im Unternehmen, vom einfachen Arbeiter bis zum leitenden Angestellten – unabhängig von beruflicher Tätigkeit und betrieblicher Hierarchie.
UTE ist ein öffentlich geführtes Unternehmen. Wie wichtig ist die öffentliche Energieversorgung in Uruguay?
Sehr wichtig. Seit der Staatsgründung spielt die öffentliche Versorgung eine wichtige Rolle in Uruguay. Die medizinische Versorgung wird durch ein öffentliches Gesundheitswesen sichergestellt. Die Kinder gehen in öffentliche Schulen, hinterher auf öffentliche Gymnasien und im Anschluss auf öffentliche Universitäten. Wasser, Strom, Post, Telefonversorgung – alles ist öffentlich und kann auch nur dadurch einen Zugang für alle gewährleisten.
Gab es jemals Versuche, die Stromversorgung zu privatisieren?
Ja. Es gab mehrere Versuche. 1977 beispielsweise, als mit einem Energiegesetz der Sozialtarif abgeschafft wurde. Zwanzig Jahr später, 1997, wurde der Energiemarkt eingeführt. Und auch heute befinden wir uns inmitten eines Prozesses, bei dem mit Dekreten, Verordnungen und Gesetzen die Marktorientierung vorangetrieben werden soll. Die großen Strombezieher und die reichen Haushalte erhalten dabei bessere Bedingungen als ärmere Haushalte. Und dass UTE bestimmte Leistungen outsourct, die zwar weiterhin von UTE angeboten, aber von privaten Unternehmen verrichtet werden, ist ein weiterer Aspekt der Privatisierung.
Wie genau hat sich die Energie-Matrix im Verlaufe dieses Prozesses in den letzten Jahren verändert?
Bis 1997 war die gesamte Energiegewinnung öffentlich. Es gab drei Kraftwerke am Rio Negro und ein Kraftwerk, das zusammen mit Argentinien betrieben wurde. Hinzu kamen zwei fossil betriebene Wärmekraftwerke, die aber inzwischen stillgelegt sind. Heute bezieht Uruguay 35-40 Prozent seiner Energie aus Windenergie. Hinzu kommt etwas Photovoltaik – der Anteil ist noch überschaubar, wächst aber stetig. Auch Biomasse spielt vor dem Hintergrund der anfallenden Reste in den Zellulosefabriken eine größer werdende Rolle. Und natürlich wird auch die Wasserkraft weiter ausgebaut.
Haben sich im Zuge dieses Prozesses die Arbeitsbedingungen bei UTE verändert?
Ja, für manche hat es tatsächlich Veränderungen gegeben. Als beispielsweise die beiden Wärmekraftwerk geschlossen wurden, mussten 300 Personen versetzt werden. Für die Mehrheit sind die Arbeitsbedingungen gleich geblieben…
Aber?
Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Energiewende in Uruguay dazu führt, dass mehr und mehr private Unternehmen in die Energieversorgung einsteigen. Sie haben mit UTE nichts mehr zu tun. Diese Unternehmen beschäftigen auch relativ wenige Arbeitskräfte. Bei der Windenergie- und Biomasseenergiegewinnung beispielsweise fallen in geringem Maße Wartungsarbeiten an, bei der Photovoltaik so gut wie keine. Die 1.500 Megawatt Windenergie werden in riesigen Windparks produziert – dort sind aber nicht mehr als 80 Personen beschäftigt.
Eine immer wichtigere Rolle scheint Wasserstoff zu spielen – zumindest wenn man der deutschen Regierung glaubt, die im letzten Jahr ein Abkommen über eine Wasserpartnerschaft mit der Regierung Uruguays abgeschlossen hat. Wie wirkt sich die Wasserstoffstrategie auf die Lebensbedingungen der Menschen aus?
Unter den derzeitigen Spielregeln des Strommarktes führt die Wasserstofforientierung zu zusätzlichen Problemen. Die Regierungen haben die jährliche Produktion von eine Million Tonnen grünem Wasserstoff vereinbart. Dazu müssten insgesamt 20 Gigawatt Windenergie installiert werden. Aktuell liegt die installierte Windenergie bei 5 Gigawatt, sie müsste also vervierfacht werden, um die vereinbarte Menge grünen Wasserstoffs herzustellen.
Aber eigentlich müssten die 20 Gigawatt zusätzlich installiert werden, denn die 5 Gigawatt werden aktuell doch für den Eigenbedarf produziert, oder?
Ganz genau. Diese Energie käme zusätzlich hinzu. Und mit jedem Windpark, der für die Produktion von grünem Wasserstoff errichtet wird, reduzieren sich die Orte, an denen Energie für den Bedarf des Landes produziert werden kann.
Und wer zahlt für diesen Ausbau der Erneuerbaren Energien?
Die Hochspannungsleitungen, die die Windenergieanlagen mit den Elektrolyseuren verbinden, wird UTE errichten. Die privaten Energieunternehmen beteiligen sich finanziell daran in nur sehr begrenztem Umfang. Gleichzeitig werden der uruguayische Staat und UTE verpflichtet, die Investitionen weitgehend von Steuern zu befreien. Stromüberschüsse müssen von UTE zu extrem niedrigen Preisen abgenommen werden. Aber auch Stromdefizite können durch Stromankäufe bei UTE zu sehr niedrigen Preisen ausgeglichen werden. Das heißt, UTE trägt vollständig die Risiken der Preisschwankungen am Strommarkt.
Und wie sieht es in Bezug auf den Wasserverbrauch aus?
Auch diesbezüglich wird die Wasserstofforientierung der Regierung zu enormen ökologischen Verwerfungen führen. Man geht davon aus, dass für die Produktion nur einer Tonne grünen Wasserstoffs 15 Tonnen Wasser benötigt werden. Für die jährliche Produktion von einer Million Wasserstoff müssen also 15 Millionen Tonnen Wasser aufgewendet werden. Mit dieser Menge könnten wir nicht nur 400.000 Menschen versorgen, es handelt sich zudem um sehr gutes und sehr günstiges Süßwasser, das aus dem großen Wasserreservoir Guarani-Aquifer entnommen werden soll.
Ist das der Grund, warum ihr von Energiekolonialismus sprecht?
Ja. Bisher sollte die Energiewende der Energieversorgung in Uruguay sicherstellen. Die Wasserstoffproduktion aber dient ausschließlich dem Export. Hinzu kommt, dass die Roadmap der uruguayischen und der deutschen Regierung zum Export von grünem Wasserstoff keine Investitionen in die industrielle Entwicklung, den Ausbau des Transportsystems oder andere Entwicklungsfelder vorsieht.
Eine letzte Frage zum Schluss: Gibt es vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen etwas, was du den Kolleginnen und Kollegen, die in Deutschland für die Energiewende und sichere Arbeits- und Lebensbedingungen kämpfen, mitgeben möchtest?
Vielleicht nur die Botschaft, dass jede Nation ihre eigenen Fertigkeiten, Fähigkeiten und Stärken, ihre eigenen Güter und ihre eigenen Reichtümer hat. Wenn die Völker friedlich miteinander leben wollen, dann müssen sich diese Fähigkeiten, Stärken und Reichtümer ergänzen.
Vielen Dank für das Gespräch!