Die aktuelle Woche im Bundestag zeigt, der Haushalt für das Jahr 2024 ist kein sozialer Haushalt – auch wenn die Regierungsparteien etwas anderes behaupten. Es ist vielmehr ein Haushalt, der Kindern eine anständige Absicherung vorenthält, Bürgergeldempfängern den Bonus streicht und Steuern und Abgaben für alle erhöht. Im Kürzungsvisier der Bundesregierung taucht aber auch die Rente auf. Wir haben mit dem Bundestagsabgeordneten und Rentenexperten der LINKEN im Deutschen Bundestag, Matthias W. Birkwald, gesprochen. Sein Fazit: Auch wenn es sich hier nicht um einen Totalangriff auf die Rente handelt, sind derartige Kürzungen gefährlich, weil sie den Weg für einen weiteren Abbau des Sozialstaats bereiten. Wer die Rente jetzt schwächt, macht es zukünftigen Regierungen leichter, noch tiefer einschneidende Kürzungen zu rechtfertigen. Das Gespräch führte unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler.
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Matthias, du sitzt für DIE LINKE im Bundestag. Wie nimmst du die aktuellen Haushaltsberatungen wahr?
Matthias W. Birkwald: Kurz zusammengefasst: Die Ampel hat ein Herz für Panzer, aber keines für Kinder und auch keines für Rentnerinnen und Rentner.
Du spielst auf die Kürzung des Bundeszuschusses an die gesetzliche Rentenversicherung an. Worum geht es dabei genau?
Es geht bei der Rentenversicherung um Kürzungen von insgesamt 6,8 Milliarden Euro bis 2027. Das sind Kürzungen des zusätzlichen Bundeszuschusses zur Rentenversicherung um 1,2 Milliarden Euro pro Jahr für die Jahre 2024 bis 2027, die jetzt im Haushalt beschlossen werden. Aber auch um Sonderzahlungen von 500 Millionen pro Jahr für die Jahre 2022 bis 2025, die der Bund der Rentenversicherung zugesichert und dann 2022 wieder zurückgenommen hatte. Da ist die Rentenversicherung selbst ziemlich sauer und wird in ihren Stellungnahmen ungewöhnlich deutlich. Sie mahnt: „Für das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung und den Sozialstaat als Ganzes ist es essenziell, dass die Zusagen des Bundes für die Finanzierung dieser Leistungen verlässlich bleiben.“ Das unterstreiche ich ausdrücklich.
Du bist Rentenexperte, kannst du uns erklären, warum dieser Bundeszuschuss überhaupt notwendig ist? Eigentlich müsste sich das Versicherungssystem doch von allein tragen?
Das war nie vorgesehen. Die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung gibt es seit der Einführung der dynamischen Rentenversicherung im solidarischen Umlageverfahren im Jahr 1957, denn mit ihnen werden die sogenannten versicherungsfremden Leistungen finanziert. Das sind Leistungen der Rentenversicherung, die nicht durch Beiträge gedeckt werden. Also zum Beispiel für Ausbildungszeiten, Kindererziehungszeiten bei der sogenannten „Mütterrente“ oder auch für die Kosten der Rentenüberleitung Ost. Die Rentenversicherung übernimmt hier gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die nicht unbedingt zwingend den Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern allein zu Gute kommen, sondern der gesamten Gesellschaft. So erhält eine Mutter – oder selten auch ein Vater – pro Kind drei Rentenpunkte gutgeschrieben, denn die Kindererziehung ist ja nicht nur eine Aufgabe für die Beitragszahler, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Es werden auch Ausbildungszeiten für die Rente anerkannt, denn mit den späteren guten Löhnen wird auch das Rentensystem insgesamt gestärkt.
Und reichen die Bundeszuschüsse für diese versicherungsfremden Leistungen überhaupt aus?
Nein, die Bundeszuschüsse reichen gar nicht aus, um die versicherungsfremden Leistungen zu finanzieren. Je nach Definition und Berechnung schätzen die Expertinnen und Experten die Lücke auf 37 Milliarden Euro. Man kann daher eher sagen, die Versicherten finanzieren gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die eigentlich der Staat bezahlen sollte. Das dürfte es eigentlich nicht geben. Ein Drittel Beiträge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ein Drittel Beiträge der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und ein Drittel Steuerzuschuss – das ist im Grundsatz die Aufteilung der Finazierung der Rentenversicherung. Und solange der Steueranteil insgesamt unter 37 Prozent liegt, halte ich persönlich das auch verfassungsrechtlich für unproblematisch. Von dieser Größenordnung sind wir weit entfernt.
Das Sozialministerium argumentiert, die Kürzungen seien aufgrund des Konsolidierungsdrucks verkraftbar…
So verkraftbar sind sie für die Rentenversicherung bedauerlicherweise nicht, denn sie führen dazu, dass sich die Rentenkasse schneller leeren werden wird. Und das werden dann die Versicherten zahlen müssen. Die sogenannte Nachhaltigkeitsrücklage der Rentenversicherung ist nämlich an die Beitragshöhe gekoppelt. Das heißt, wenn die Rentenkasse leer sein wird, werden die Beiträge steigen müssen. Und das wird jetzt auch schneller als eigentlich gedacht geschehen, wie die Rentenversicherung berechnet hat. Ich habe nichts gegen moderat steigende Beiträge, aber nur, wenn sie auch zu höheren Renten und zu Leistungsverbesserungen führen. Das ist hier aber nicht der Fall und das bedeutet, dass die Versicherten die Haushaltslöcher dieser Regierung stopfen müssen.
Und das darf nicht sein!
Kann der Griff in die Rentenkasse schlimmstenfalls zu einer Kürzung der Renten führen?
Das ist noch nicht absehbar, aber er untergräbt das Vertrauen in die Sozialversicherung. Und er öffnet den Gegnern der Rentenversicherung Tür und Tor. Denn gerade aus der marktradikalen Ecke werden die steigenden Beiträge immer als Argument gegen die Gesetzliche Rente angebracht. Wenn die Ampel die Beiträge steigen lässt, ohne für höhere Renten oder Leistungsverbesserungen zu sorgen, spielt sie damit der FDP, der Finanzlobby und den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden in die Hände. Die scharren ja jetzt schon mit den Hufen und würden am liebsten gleich heute nur auf eine Aktienrente setzen, aber dazu darf es nicht kommen, denn mit der Rente zockt man nicht.
Hätte es Alternativen zu dieser Maßnahme gegeben?
Die nahe liegende Alternative wäre ja, die Einkommensseite zu verbessern. Das heißt, anstatt die Schwächsten und die breite Mitte der Gesellschaft zu belasten, sollten die Reichen und Superreichen endlich zur Kasse gebeten werden. Zum Beispiel durch eine Vermögensabgabe, wie sie DIE LINKE seit langen Jahren fordert. Oder durch die Besteuerung der Kapitaleinkommen mit dem persönlichen Steuersatz statt pauschal mit 25 Prozent.
Und bezogen auf die Rente selbst?
Auch für die Rente haben wir sehr viele gute Reformvorschläge. Ich sage immer: die Gesetzliche Rentenversicherung ist ein gutes System, wir müssen nur ihre Stellschrauben besser einstellen. Denn wenn wir in unser Nachbarland Österreich schauen, wo die Renten der Frauen deutlich höher und die der Männer fast doppelt so hoch sind wie hier, sehen wir, wie gut die Rente sein könnte. Daher fordern wir LINKEN einen Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik und wollen große Schritte hin zum österreichischen Rentensystem gehen. Dazu haben wir im Herbst des vergangenen Jahres auch einen Antrag mit dem Titel „Gesetzliche Rente stärken“ in den Bundestag eingebracht. Er enthält viele Bausteine unseres Rentenkonzeptes.
Leider gibt es aktuell keine Sozialproteste gegen diese Politik. Was müsste aus deiner Sicht jetzt passieren und wie müsste DIE LINKE darauf reagieren?
Bei den aktuellen Kürzungen zeigt sich leider die Komplexität unseres Rentensystems. Die Auswirkungen der jetzigen Kürzungen auf die Versicherten in einigen Jahren sind für die meisten Menschen nicht verständlich und werden deshalb auch nicht breit thematisiert. Gewerkschaften, Sozialverbände und LINKE müssen daher eine intensive Aufklärungsarbeit betreiben. Auch wenn es sich hier nicht um einen Totalangriff auf die Rente handelt, sind derartige Kürzungen gefährlich, weil sie den Weg für einen weiteren Sozialstaatsabbau bereiten. Wer die Rente jetzt schwächt, macht es zukünftigen Regierungen leichter, noch tiefer einschneidende Kürzungen zu rechtfertigen. Daher müssen wir bei solchen Maßnahmen wachsam bleiben und genau hinschauen.
Am besten mit Sozialprotesten, oder?
In der Tat! Ich wünsche mir Demonstrationen für eine bessere Rente und gegen Kürzungen bei der Rente wie es sie in Frankreich gab. Allerdings gewaltfrei. In Frankreich sind sehr junge Menschen, junge, jüngere, mittelalte, alte, uralte und steinalte gemeinsam 14 Mal auf die Straße gegangen und häufig waren es eine Million Demonstrantinnen und Demonstranten und mehr. Dies würde in Deutschland sicherlich zu Änderungen führen. Man darf das Instrument aber auch nicht überschätzen, denn all diese Demonstrationen haben den französischen Staatspräsident leider nicht von seiner unsozialen Rentenreform abhalten können. Das zeigt: wir bäuchten vielfachen friedlichen demokratischen Protest auf der Straße und fachlich gute politische Vorschläge für einen Neustart unseres Rentensystems und eine große Rentenreform zugunsten der Beschäftigten und der Rentnerinnen und Rentner.
Aber natürlich hat auch die Unordnung auf dem Arbeitsmarkt etwas mit der Rente zu tun, oder?
So ist es. Damit die Renten steigen, brauchen wir mehr Menschen, die in Vollzeit und nicht in Teilzeit arbeiten und wir brauchen unbedingt höhere Tariflöhne, beispielsweise durch eine erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung und durch einen höheren gesetzlichen Mindestlohn von 14 Euro. Dafür sollten wir gemeinsam kämpfen!
Lieber Matthias, herzlichen Dank für diesen guten Einblick in die aktuelle Debatte.
Das Interview führte unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler.
Zum Thema:
In einem gemeinsamen Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau kritisieren Susanne Ferschl und Matthias W. Birkwald die herrschende Politik. Neben dem Verzicht auf eine stärkere Besteuerung von Vermögen und hohen Einkommen trotz gestiegener Ungleichheit, kritisieren die beiden Abgeordneten scharf den Kurs der Bundesregierung in der Sozial- und Rentenpolitik: Ampel-Politik ist verheerend und stärkt nur die AfD