Von Andreas Müller
Für die Trennung von Netz und Betrieb hat sich Claus Weselsky schon häufiger ausgesprochen. Die Position ist offizieller GDL-Beschluss und war im Sommer 2021 Gesprächsgegenstand im Rahmen der Tarifverhandlungen zwischen GDL und Bahn-Management. Die Forderung wird unter anderem mit einer starken Kritik am Privatisierungskurs des Managements begleitet. Wie so oft bei Claus Weselsky ist an seiner Kritik im Kern etwas Wahres dran, greift aber in der Lösung zu kurz. So kritisiert er, dass der ehemalige Vorstandsvorsitzende Hartmut Mehdorn die Bahnhöfe aus dem Bereich Station und Service herausgelöst und damit das Tafelsilber verscherbelt habe. Deshalb spricht sich Weselsky nun dafür aus, Bahnnetz und Energie in eine GmbH umzuwandeln, weil diese Organisationsform mehr Weisungsrechte erlaube.
Strukturdebatte lenkt ab
In der Tat hatte die Bundesregierung in der Ära Mehdorns auf Börsengang und unmittelbaren Profit gesetzt. Dabei wurde alles verkauft, was sich zu Geld machen ließ und für den Verkehr nicht unbedingt gebraucht wurde. Es wurden Strecken und Überholspuren stillgelegt, Verladegleise ab-, Weichen aus- und Firmengleise zurückgebaut. Alles, was mit einem hohen Wartungsaufwand verbunden war und wenig Rendite versprach, wurde abgestoßen. Dabei wurde auch in großem Umfang Personal abgebaut.
Ändert sich dieser Missstand nun mit der Änderung der Organisationsform? Ich meine, nein. Statt sich mit Strukturdebatten aufzuhalten, sollte sich die neue Bundesregierung, erstens, fragen, wie eine Bahn in öffentlichem Eigentum aussehen soll, die den ökologischen und sozialen Kriterien der Menschen – Mobilität ist immerhin ein Grundrecht – gerecht werden kann. Wenn diese Frage beantwortet ist, muss die Bundesregierung, zweitens, ähnlich viel Geld in die Hand nehmen, wie dies die Österreicher oder Schweizer tun. Und sie muss, drittens, einer integrierten Bahn in öffentlicher Hand klare Vorgaben machen.
Ob die Bundesregierung dies als Eigentümer einer AG, einer GmbH oder einer Anstalt des öffentlichen Rechts tut, ist dabei völlig unerheblich. Die Organisationsform ist nicht das entscheidende Kriterium. Entscheidend ist vielmehr, dass der Bahnvorstand den Aufgaben und Weisungen des Eigentümers folgt. Wer die Organisationsform an den Anfang der Debatte stellt, begeht schon den ersten Fehler und verhindert im Grunde genommen die Verkehrswende. Diese Frage stellt sich vielmehr am Ende der Debatte: Mit welcher Organisationsform können wir die Ziele einer ökologischen und sozial gerechten Beförderung am besten erreichen?
Das Netz als Melk-Kuh?
Die dezidierte Kritik vieler Vertreterinnen und Vertreter von DIE LINKE, die Trennung von Netz und Betrieb sei ein Einstieg in die Privatisierung, kontert Weselsky lapidar mit dem Hinweis, dass die Bahn doch schon seit 1993/ 1994 privatisiert sei und verweist darauf, dass Mehdorn gegenüber Vertrauten das Netz stets als „Melk-Kuh“ bezeichnet habe. Warum aber ausgerechnet das Netz als Melk-Kuh des Konzernes fungieren soll, den Mehdorn an die Börse bringen sollte, erschließt sich aus Weselskys Aussagen nicht. In der Tat nimmt das Netz über die Trassenpreise Geld ein. Dieses Geld reicht allerdings nicht einmal, um den Bestand in heutiger Qualität zu erhalten. Wie sollte bei einer Renditeerwartung privater Aktionäre alleine das Netz zur Melk-Kuh werden?
Glücklicherweise blieb der Börsengang aus. Die Finanzkrise von 2008 hatte die Finanzmarktphantasien aller Parteien – mit Ausnahme der Partei DIE LINKE – mit einem Schlag kaputt gemacht. Allerdings hatten die Vorbereitungen auf einen Börsengang ihre sparpolitischen Spuren hinterlassen. Sie waren die Fortsetzung eines Trends, der seit den sechziger Jahren zu beobachten war: Sukzessive sind Nebenstrecken zu Gunsten von Busverbindungen und Individualverkehr aufgegeben worden. Deutschland war Autoland und kein Bahnland, völlig unabhängig von der Organisations- oder Rechtsform.
Was wäre die Konsequenz aus einer Trennung von Netz und Betrieb?
Weselsky behauptet, eine GmbH würde keine Verlust- und Gewinnabführung an den Konzern machen und keine Fahrdienstleiterin und kein Fahrdienstleiter müsste Angst um den Arbeitsplatz haben. Die Schweiz als Modell für einen integrierten Konzern in staatlicher Hand mit einer hohen Zuverlässigkeit lehnt Weselsky ab und bezeichnete den Vergleich als „pure Demagogie von den LINKEN.“
Weselsky begründete seine Ablehnung des Schweizer Modells damit, dass es in der Schweiz eine Volksabstimmung gegeben habe, die hier nicht möglich sei. Auch dass das Schweizer Bundesamt allen Verkehrsträgern sage, wo es lang geht und sich die AG zu 100 Prozent im Besitz des Schweizer Staates befinde und deshalb klar staatliche Vorgaben erfülle, sei aus Weselskys Sicht in Deutschland nicht möglich. Aber warum die Forderungen der LINKEN, ein angestellter Vorstand solle sich an die politischen Vorgaben der Regierung halten, in Deutschland „pure Demagogie“ sein sollen, während sie in der Schweiz möglich sind, bleibt der GDL-Chef als Erklärung schuldig.
Sicher ist: Mit einer Trennung von Netz und Betrieb würde der Wettbewerb auf der Schiene schlagartig zunehmen und der Renditedruck steigen. Das Beispiel privater Anbieter wie Flixtrain zeigt, dass dies erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsplätze haben würde. Gleichzeitig hätte die Trennung unmittelbare Auswirkungen auf die Dienstleister der Bahn, wie DB Sicherheit, DB Services mit der Reinigung oder den technischen Dienstleistungen. Weder aus Beschäftigten- noch aus Kundensicht, ist die Trennung von Netz und Betrieb also ein attraktives Programm.
Alles neu macht die Ampel?
Obgleich die neue Ampelkoalition noch während der Tarifverhandlungen einen Testballon starten ließ, spricht sie sich im aktuellen Koalitionsvertrag nicht für eine Trennung aus. Dennoch heißt es: Vorsicht an der Bahnsteigkante. Was die Pläne für die Deutsche Bahn konkret bedeuten, werden wir in den kommenden Monaten sehen. So wird zurzeit diskutiert, DB Schenker zu verkaufen, um Geld für die notwendigen Reformen zu erzielen. Da gegenwärtig die hohen Gewinne von DB Schenker auch zur Finanzierung der anderen Sparten beitragen, wäre der Verkauf tatsächlich die Verscherbelung des Tafelsilbers.
Der Klimawandel diktiert uns mit großer Dringlichkeit die Mobilitätswende. Vor diesem Hintergrund muss sich der Eigentümer fragen lassen, ob ein Verkauf des lukrativen DB Schenker-Bereichs im Interesse einer Verkehrswende ist oder ob es nicht ökologisch sinnvoller wäre, DB Schenker – ohne den Zwang, Profit erzielen zu müssen, klare Vorgaben zu machen und so ökologische Transportketten im Güterverkehr zu organisieren und aufzubauen. Für eine echte und zügige Verkehrswende gehört DB Schenker ebenso wie die DB AG in öffentliches Eigentum.
Sinnvoller, als in das Horn der Konzernzerschlagung zu stoßen, wäre es also, der neuen Koalition und insbesondere dem neuen FDP-Verkehrsminister genau auf die Finger zu schauen. Andernfalls setzt sich der Kurs der letzten Jahre auch in der neuen Legislatur fort: Große Ankündigungen, aber keine Taten. Unter Andreas Scheuer war der notwendige Deutschlandtakt angekündigt worden, scheiterte jedoch am Ende an der Gegenfinanzierung. Zudem sind im großen Stil Gelder, die für die Bahn bestimmt waren und dem Güterverkehr zu Gute kommen sollten, laut Bundesrechnungshof in den Straßenbau geflossen.
Mehr Schiene wagen
Fest steht: Es muss mehr Geld in das System Schiene fließen, um den immensen Investitionsrückstau abzubauen und ein modernes und klimafreundliches Bahnangebot zu schaffen. Wenn die Ampel-Koalition mehr Fortschritt wagen will, muss sie also mehr Schiene wagen. Bei all dem müssen wir vor allem die sozialen Folgen im Auge behalten, dazu gehören bezahlbare Tickets ebenso wie gut abgesicherte, tariflich geregelte Arbeitsplätze. Eine Trennung von Netz und Betrieb bringt keinen zusätzlichen Euro in die Infrastruktur. Aber sie führt sofort zu einem großen Renditedruck und damit zu einem Druck auf Sozialstandards und gute Arbeit.
Als LINKE sollten wir uns auch weiterhin für eine soziale wie ökologische Verkehrswende einsetzen, die auch das Grundrecht auf Mobilität in einem integrierten staatlichen Eisenbahnunternehmen vorsieht. Dass das mit Demagogie nichts zu tun hat, zeigt das Beispiel der Schweizer Bahn. Das Beispiel zeigt aber auch, dass das ein langer Weg ist. Für die Deutsche Bahn wird dieser Weg noch länger, denn wir sind zu lange in die falsche Richtung gefahren. Gerade deswegen geht es jetzt darum, uns nicht mit unnötigen Strukturdiskussionen aufzuhalten, sondern alles dafür zu tun, dass das Ruder in die andere Richtung gelegt wird.