Die Bundesrepublik ist eine Klassengesellschaft

Position des BundessprecherInnenrates zu den Äußerungen von Rico Gebhardt zum Verhältnis der Partei DIE LINKE, den Gewerkschaften und Unternehmerverbänden

Einer Pressemitteilung der sächsischen Landtagsfraktion vom 21.05.2014 war zu entnehmen, dass
sich Rico Gebhardt, Landes- und Fraktionsvorsitzender der LINKEN in Sachsen, am 20.05.2014 vor Unternehmerverbänden wie folgt geäußert hat:

„Wer sich für starke Gewerkschaften einsetzt, der muss sich auch für starke Unternehmerverbände einsetzen, sonst gibt es keine flächendeckenden Tarifabschlüsse im Land. Dazu braucht es eine neue Kultur des Miteinanders. Ich glaube, meine Partei kann diese Aufgabe viel besser ausfüllen als alle anderen: Weil CDU und FDP für die Unternehmerverbände stehen, SPD für die Gewerkschaften, bleibt den LINKEN die Aufgabe, beide Seiten gleichberechtigt zu behandeln und eine Sozialpartnerschaft zu organisieren, wie sie den Werten des 21. Jahrhunderts entspricht.“

Das erste Problem beginnt mit der politischen Einordnung. Nach Gebhardts Verständnis steht die SPD offenbar links bei den Gewerkschaften, CDU und FDP rechts bei den Unternehmerverbänden und DIE LINKE dazwischen, also rechts von der SPD.

Auch der Einordnung, dass die SPD für die Gewerkschaften stehe, muss entschieden widersprochen
werden. Es war die SPD des 21. Jahrhunderts, die mit Agenda 2010, Hartz IV und Deregulierung des Arbeitsmarktes die Gewerkschaften geschwächt und zu einer zeitweisen Entfremdung zwischen SPD und Gewerkschaften gesorgt hat. Nicht zuletzt das Gesetz zum Mindestlohn hat kürzlich erst erwiesen, dass zwischen gewerkschaftlichen Positionen und den Ergebnissen der SPD-Politik ein Unterschied besteht.

Was aber treibt Gebhardt dazu, die Gewerkschaften – ohne Not – der SPD zu überreichen?

Nach 1945 haben sich aus der Lehre des Faschismus heraus in Deutschland Einheitsgewerkschaften gebildet, in denen von Anfang an auch kommunistische, sozialdemokratische und christliche GewerkschafterInnen ihren Anteil hatten. Auch Mitglieder der LINKEN sind teilweise seit Jahrzehnten ehren- und hauptamtlich als
InteressenvertreterInnen ihrer KollegInnen tätig.

Die Einheitsgewerkschaften waren es auch, die im Klassenkampf für soziale Standards sorgte, von denen wir noch heute Nutzen tragen. Erinnert sei an den dreimonatigen Streik der IG Metall im Winter 1956/57, der den Durchbruch zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall brachte. Immer wieder – bis heute – machten Gewerkschaften die Erfahrung, wie sie z.B. im Grundsatzprogramm des DGB von 1981 niedergelegt ist:

„Seit Beginn der Industrialisierung werden die sozialen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen durch den Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit geprägt. Den Interessen der Unternehmer an maximalen Gewinnen stehen die Interessen der Arbeitnehmer an sicheren Arbeitsplätzen, menschenwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen und ausreichendem Einkommen gegenüber.“

 Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit ist also konstitutiv für das Verständnis der
Gewerkschaften und unseres Erachtens auch für die politische ArbeiterInnenbewegung
links von der SPD.

Im Parteiprogramm der LINKEN des 21. Jahrhunderts, das wir erst im Jahre 2011 mit überwältigen der Mehrheit beschlossen haben, heißt es: “Deutschland ist eine Klassengesellschaft. Die Produktion von Waren und Dienstleistungen findet überwiegend in privaten Unternehmen mit dem Ziel statt, möglichst hohe Gewinne zu erzielen.

Die große Mehrheit der Erwerbstätigen arbeitet als abhängig Beschäftigte. Sie erhalten nur einen Teil der von ihnen geschaffenen Werte als Lohn, den Überschuss eignen sich die Kapitaleigner an. Diese bestimmen über seine Verwendung, über die Investitionen und
somit über die wirtschaftliche Entwicklung und die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten. Die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Entwicklung werden ebenso wie das Staatshandeln und die Politik entscheidend von den Interessen des Kapitals bestimmt. Die Lebens- und Bildungschancen der Menschen hängen im hohen Maße von ihrer Klassenlage und sozialen Herkunft ab.“ Und an anderer Stelle des Programms: „Starke und kämpferische Gewerkschaften sind notwendig.

DIE LINKE unterstützt sie in ihren Anstrengungen.“ „Wir wollen ein Bündnis von Gewerkschaften, globalisierungskritischen und gesellschaftskritischen Initiativen, sozialen Bewegungen, progressiven Menschen aus Wissenschaft und Kultur und der parteipolitischen Linken entwickeln.“ DIE LINKE steht also keineswegs als Vermittler zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden, sondern eindeutig an der Seite der Gewerkschaften.

Viele Unternehmer des 21. Jahrhunderts finden offenbar, dass Gewerkschaften und Tarifverträge der Vergangenheit angehören. Das konnten wir 2013 bei der neunmonatigen Auseinandersetzung bei neupack in Hamburg erleben, das erleben wir gegenwärtig bei den Auseinandersetzungen bei autogrill in Thüringen und Bayern.

Der Klassenkampf ist aktuell auch in Sachsen präsent. In Leipzig, wie an acht anderen Standorten in acht Bundesländern, kämpfen die GewerkschafterInnen bei amazon, also einem großen Konzern, um einen Tarifvertrag.

Wir würden uns wünschen, dass der Landes- und Fraktionsvorsitzende der LINKEN dort den Kampf um einen Tarifvertrag unterstützen würde, wie es andere Funktionsträger in anderen Bundesländern schon getan haben.

Bei den Auseinandersetzungen bei amazon und anderswo, bei der massenhaft prekären Beschäftigung junger Menschen wird sichtbar: Das Kapital setzt nicht auf Sozialpartnerschaft. Wir sagen: DIE LINKE muss in diesen Auseinandersetzungen an der Seite der abhängig Beschäftigten und der Gewerkschaften stehen.

Nebenbei dürfte das Angebot, als LINKE als Vermittler zwischen Kapital und Arbeit zu fungieren, vermutlich bei Einigen – vor allem in den Unternehmerverbänden – Heiterkeit auslösen. Unseren Humor hat es nicht angesprochen. Solche politischen Formationen gibt es bereits. Wir können uns da nicht sehen. Wir finden es erstaunlich, wenn der Landes- und Fraktionsvorsitzende in Sachsen dies tut.

Wir haben lange gezögert, ob wir uns dazu äußern sollten. Aber es geht hier auch um
programmatische Positionen unserer Partei. Da dürfen wir nicht schweigen.

BundessprecherInnenrat
AG Betrieb & Gewerkschaft
DIE LINKE