Die sozial-ökologische Transformation zum Schwerpunkt der Strategiediskussion für DIE LINKE machen

Die Vorsitzenden der Partei DIE LINKE haben zum Jahresauftakt ein Papier vorgelegt, in dem sie eine Politik einfordern, die niemanden zurücklässt und soziale Belange und ökologische Notwendigkeiten miteinander verbindet. Dies zum zentralen politischen Schwerpunkt für das Jahr 2022 zu machen, ist ihr Verdienst, sagt unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler. Dabei müssen aber die Widersprüche diskutiert, der Blick auf die Welt der Arbeit geschärft und die Unklarheit in der Frage, wer Träger gesellschaftlicher Veränderung sein soll, überwunden werden.

Die sozialen und ökologischen Verwerfungen nehmen zu. Da ist es nur folgerichtig, dass die Parteispitze pünktlich zum Jahresauftakt ein Papier vorlegt, das sich für eine linke Transformation ausspricht, die sozial UND klimagerecht ist. Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow sagen zu Recht, dass es eine sozial-ökologische Transformation braucht, um die Klimakatastrophe zu stoppen und fordern, den Klimaschutz in eine umfassende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft einzubetten. Linke Politik, die auf der Höhe der Zeit sein will, so die beiden Vorsitzenden, müsse soziale und ökologische Kämpfe zusammendenken.

So richtig und wichtig dieses Anliegen ist, weist es jedoch wesentliche Schwachstellen auf und wird damit zum Spiegel für die ungelösten strategischen Fragen unserer Partei. Eine dieser Schwachstellen ist, dass das Papier keine konkreten Anknüpfungspunkte schafft. Es verbleibt auf der Ebene, lediglich Vorschläge für eine sozial gerechte und klimagerechte Transformation zu machen, ohne dabei aber eine tatsächliche Durchsetzungsperspektive aufzuzeigen. Es zeigt mit dem Finger auf die Leerstellen des Koalitionsvertrages, aber es beantwortet nicht die Frage, wer die sozial-ökologische Transformation durchsetzen soll. Es scheut die Analyse gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse, umgeht die Frage nach notwendigen Bündnispartnern und generiert sich damit seltsam akteurslos.

Dadurch bleibt die Antwort der beiden Vorsitzenden hinter der richtigerweise von ihnen aufgeworfenen Frage zurück: Wie schaffen wir es, DIE LINKE als eine Partei auszurichten, die in einer Zeit existentieller planetarischer Zerstörung selbstbewusst ökosozialistische Antwort geben möchte? Die Antwort darauf ist nicht einfach. Wahrscheinlich muss sie am Ende eines gemeinsamen kollektiven Prozesses stehen. Aber auf dem Weg dahin dürfen Widersprüche nicht unter den Tisch gefegt, sondern müssen aufgegriffen und diskutiert werden. Und zugleich muss dabei die Klasse der abhängig Beschäftigten als handelnder Akteur in den Blick genommen werden.

Transformation ist in vollem Gange

Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow schreiben zu Recht, dass DIE LINKE den sozialen und ökologischen Fragen eine gemeinsame Antwort geben müsse: „Die Aufgabe unserer Zeit ist eine sozial gerechte und ökologisch wirkungsvolle Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, die Ungleichheit zurück kämpft, soziale Sicherheit und sinnvolle Arbeit schafft und sicherstellt, dass wir unseren Kindern und Enkeln einen lebenswerten Planeten hinterlassen. Wir machen Vorschläge für eine sozial gerechte und klimagerechte Transformation (…) Die Pläne der Ampel-Koalition sind eine halbherzige Transformation.“

Der Absatz offenbart die Distanz, mit der wir die Diskussion über die sozial-ökologische Transformation führen. Die Antwort der LINKEN knüpft nicht an den Widersprüchen in den Betrieben an, denn dort zeigt sich, dass sich die Arbeitswelt in einem epochalen Umbruch befindet, der weit über Klimafragen hinausgeht. Transformation ist nicht nur als Antwort auf den drohenden Klimakollaps zu verstehen, Transformation ist vielmehr ein Prozess, der sich in den Betrieben schon seit längerem unter zum Teil neoliberalen Vorzeichen generiert. 117.000 Industriearbeitsplätze sind im Zuge dieses Prozesses innerhalb der letzten zwei Jahren bereits verloren gegangen. Unter dem Druck von Globalisierung, Digitalisierung UND Klimawandel hat sich in der Arbeitswelt ein epochaler Wandel vollzogen. Die drei Megatrends treiben in bisher unbekannter Geschwindigkeit einen wirtschaftlichen Veränderungsprozess voran, der unter Beschäftigten die Angst vor Entqualifizierung und Jobverlust auslöst.

In den Autofabriken werden E-Autos hergestellt, was gelernten Mechatronikern völlig neue Fähigkeiten abverlangt. Im Einzelhandel werden Selbstscanner-Kassen und digitale Anproben eingesetzt, die den in Warenkunde und Beratungsgesprächen geübten Verkäufer überflüssig macht. Der Einsatz der elektronischen Patientenakte fordert die digitalen Kompetenzen des Pflegepersonals heraus und das Homeschooling die didaktischen Fähigkeiten des Lehrkörpers. In Bremen sitzen Müllmänner auf Autos, die mit Wasserstoff angetrieben werden. Bei Thyssenkrupp in Duisburg sollen die Hochöfen mittelfristig durch Direktreduktionsanlagen ersetzt werden. Und der Einsatz von KI für Datenanalysen und Bedarfsprognosen krempelt den gesamten Logistikbereich vollständig um. In jedem dieser Bereiche verändern sich die Anforderungen an den Tätigkeitsbereich. Zum Teil werfen diese Anforderungen die Frage nach höheren Eingruppierungen und mehr Gehalt auf. Eine linke Debatte, die über das bloße Aufstellen sozial-ökologischer Forderungen hinauskommen will und auf der Höhe der Zeit geführt werden soll, muss an diesen Erfahrungen der Beschäftigten anknüpfen und ihre Kämpfe unterstützen.

DIE LINKE darf deshalb die Dynamik und die Gleichzeitigkeit dieser epochalen Veränderungsprozesse nicht unterschätzen. Sie muss diese vielmehr in den Blick nehmen. Es ist der größte Umbruch seit Beginn der Industrialisierung. Er verändert gesellschaftliche Kräfteverhältnisse und stellt DIE LINKE vor die Herausforderung, ihren Platz darin zu definieren. Ökosozialismus als Antwort auf diese Umbrüche ist mehr als eine Beschlusslage, sondern muss vielmehr aus diesen Widersprüchen begründet werden. 

Die Welt der Arbeit in den Blick nehmen

Wenn die Vision von einer sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft mehr als eine abstrakte Formel sein soll, dann muss DIE LINKE die Welt der Arbeit stärker und vor allem konkret in den Blick nehmen. Leider fehlt dem Papier dieser Blickwinkel vollständig. Es finden sich darin ein paar richtige Verweise auf die Notwendigkeit von guter und tariflich entlohnter Arbeit. Zu Recht werden mehr Stellen, gute Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen gefordert. Doch indem die Beschäftigten als handelnde Akteure in dem Papier nicht vorkommen, wirken die Forderungen wie kumuliert und ohne konkreten Anknüpfungspunkt. Gewerkschaften werden an keiner einzigen Stelle des Papiers erwähnt. Soziale und ökologische Kämpfe dürfen eben nicht nur zusammen gedacht werden, viel mehr muss die Auseinandersetzung um eine sozial-ökologische Transformation zum Gegenstand der Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit gemacht werden, so wie ver.di dies in der Tarifrunde Nahverkehr 2020 zum Teil schon getan hatte.

„Wir müssen schnellstmöglich auf den 1,5-Grad-Pfad. Daran muss sich die Bundesregierung messen lassen. Die Pläne der Ampel-Koalition sind eine halbherzige Transformation: sie sind nicht geeignet, das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. So lautet auch die Kritik vieler Klimawissenschaftler*innen und aus Umweltverbänden und Klimabewegung,“ schreiben die beiden Vorsitzenden. Aber wenn wir soziale und ökologische Fragen zusammendenken wollen, müssen wir uns dann nicht auf die Einschätzungen der Klimabewegung UND der Gewerkschaften stützen? DIE LINKE darf die soziale Frage eben nicht nur mitdenken. Sie darf nicht dabei stehen bleiben, die Auswirkungen des Klimawandels auf die abhängig Beschäftigten nur zu beschreiben.

Widersprüche aufgreifen

Gleichzeitig muss DIE LINKE sich differenziert mit den unterschiedlichen Einschätzungen auseinandersetzen. Ein vorgezogener Kohleausstieg ist richtig und notwendig, um die Klimaschutzziele der Bundesrepublik Deutschland umsetzen zu können. Doch dieser Prozess vollzieht sich nicht widerspruchsfrei. 38 Prozent des deutschen Stroms stammen aus der Kohleverstromung. Wenn Kohlestrom und Atomstrom gleichermaßen wegfallen, wenn der Ausbau der Stromnetze stockt, wenn damit zu rechnen ist, dass der Strombedarf in den nächsten Jahren steigt, dann sollte DIE LINKE zumindest erklären, warum sie zusätzlich auch den Ausstieg aus dem Erdgas fordert und wie sie trotz allem eine zuverlässige Versorgung mit Strom sicherstellen möchte.

Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung kündigt einen deutlichen Ausbau der Erneuerbaren Energien auf einen Anteil von 80 Prozent am Strommix an und setzt zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit im Übergang auf moderne Gaskraftwerke. Modern deshalb, weil diese später im Zuge des Ausbaus der Erneuerbaren Energien auf klimaneutrale Gase umgestellt werden können. Den Übergang zu Erneuerbaren Energien mit diesen modernen Gaskraftwerken abzustützen, bedeutet jedoch aktuellen Untersuchungen zufolge in der Praxis den größten Zubau thermischer Leistung, der jemals in der deutschen Geschichte vorgenommen wurde. Einige Studien sprechen von der notwendigen zusätzlichen Installation von 43 Gigawatt Gaskraftwerken. Andere Studien kommen zu deutlich niedrigeren Zahlen.

Hier zeigt sich, dass die Gestaltung der Transformation von unterschiedlichen Grundannahmen ausgeht und von unterschiedlichen Interessen geleitet ist. Dass Unternehmensverbände von rasant steigenden Energieverbrauchen ausgehen, hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass sie von den vielen neuen Elektroautos, Wärmepumpen und einer CO2-armen Industrieproduktion profitieren wollen. Und dass Umweltverbände und Klimabewegung den künftigen Stromverbrauch weit niedriger einschätzen, hat möglicherweise auch etwas damit zu tun, dass sie die Bedeutung der Industrie für die Klimawende unterschätzen. In unterschiedlichen Studien wird der Einsatz von Gaskraftwerken als Brückentechnologie entweder befürwortet oder abgelehnt, wobei sich mittlerweile nicht nur die Deutsche Umwelthilfe, sondern auch die Klimaallianz für den begrenzten Bau von modernen Gaskraftwerken ausspricht.

Will DIE LINKE die Debatte um die Rettung des Klimas auf der Höhe der Zeit führen, darf sie diese Widersprüche in der Diskussion nicht einfach ausblenden, sondern muss nach den unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen fragen und diese Widersprüche in den Kontext des Klassenkonfliktes einordnen. Dazu gehört es auch, die Vision einer linken Industriepolitik zu entwerfen, die Industrie nicht abbauen, sondern nachhaltig umbauen möchte. Ohne industrie- und schließlich auch energiepolitische Impulse wird die sozial-ökologische Transformation nicht zu schaffen sein.

Fazit

Die Starkregenfälle und Waldbrände im letzten Jahr haben gezeigt: Der Klimawandel hat längst begonnen: Die Zahl der wetter- und klimabedingten Katastrophen hat sich in den letzten fünfzig Jahren verfünffacht. Das Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen, gerät immer mehr in Gefahr. DIE LINKE tut gut daran, die Diskussion darüber aufzugreifen und eigene Antworten zu geben.

Dazu muss sie aber verstehen, dass die Bekämpfung des Klimawandels nicht nur in linken Zirkeln diskutiert wird, sondern inzwischen allen Klassen und gesellschaftlichen Gruppen ein Anliegen ist. Doch die Antworten darauf fallen je nach Interessenlage unterschiedlich aus. Marktkompatible Instrumente wie die CO2-Bepreisung, die blind sind für Fragen der sozialen Gerechtigkeit, sind dabei ebenso im Angebot wie ein beschleunigter technologischen Umbau oder ein Lebensstil des freiwilligen Verzichts. Ihnen allen ist gemein, dass sie an den grundsätzlichen Klassenwidersprüchen nichts ändern wollen.

Die Antwort der LINKEN ist eine sozial-ökologische Transformation, die niemanden zurücklässt und soziale Belange und ökologische Notwendigkeiten miteinander verbindet. Dies zum zentralen politischen Schwerpunkt für das Jahr 2022 zu machen, ist der Verdienst der beiden Vorsitzenden. Dabei müssen aber die Widersprüche diskutiert, der Blick auf die Welt der Arbeit geschärft und die Unklarheit in der Frage, wer Träger gesellschaftlicher Veränderung sein soll, überwunden werden. Linke Klassenpolitik muss mehr sein, als über die Klasse und ihre Lebensverhältnisse zu reden. Linke Klassenpolitik muss gesellschaftliche Widersprüche aufgreifen und die Klasse der abhängig Beschäftigten für die Perspektive einer anderen Gesellschaft gewinnen. Vor diesem Hintergrund muss der Schwerpunkt einer sozial-ökologischen Transformation in 2022 zu einer echten Strategiediskussion für DIE LINKE werden. 

Ulrike Eifler ist Bundessprecherin der BAG Betrieb & Gewerkschaft

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(c) Fraktion DIE LINKE im Bundestag

Broschüre: Sozial, ökologisch und demokratischLinke Industriepolitik in Zeiten der Krise

Die Beschäftigten in der Industrie stehen unter enormen Druck: Globale Überpro-duktion, ständiger Kostendruck, Corona-Pandemie und Klimakrise. Doch für die Bewältigung der Klimakrise und der zunehmenden sozialen Polarisierung hilft nicht der wehmütige Blick auf die Vergangenheit, sondern nur ein radikaler sozial-ökologischer Aufbruch in die Zukunft der Industrie.

Dafür braucht es eine wirtschaftsdemo-kratische Investitionslenkung und eine Betriebsoffensive für gute und ökolo-gische Arbeitsplätze. Linke Industriepolitik muss eine transformative Industriepolitik sein, zu deren Weiterentwicklung wir euch alle herzlich einladen, um gemeinsam mit der LINKEN für eine soziale, ökologische und demokratische Industrie zu kämpfen.

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