Wir sind betroffen über die Gewalt gegenüber Zivilisten, die im Nahen Osten sowohl die israelische als auch die palästinensische Zivilbevölkerung trifft. Der Angriff der Hamas hat unsägliches Leid über zahllose Familien und Freundeskreise gebracht und nicht nur Israel tief getroffen. Gleiches gilt für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Die Bombardierung des Gazastreifens durch die israelische Regierung ist eine Kollektivbestrafung und stellen ein Kriegsverbrechen dar.
Die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten ist besorgniserregend. Sie muss schnellstmöglich durch einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen beendet werden. Wir sehen zudem mit großer Sorge, dass in der Bundesrepublik Antisemitismus und Antiislamismus zunehmen. Wir verurteilen die Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Mitarbeiter*innen dieser Einrichtungen fühlen sich am Arbeitsplatz immer weniger sicher.
Mindestens genauso besorgniserregend ist aber auch die Zunahme der Repression in der Bundesrepublik – insbesondere durch die Aushebelung des Versammlungsrechts. Die Trauer und Wut vieler Palästinenser, die in Gaza tote Angehörige beklagen, hat in der deutschen Debatte keinen Platz. Ihre Mahnwachen sind in den letzten Wochen verboten worden. Ihre Demonstrationen wurden pauschal unter den Verdacht gestellt, israelfeindlich, antisemitisch und gewaltvoll zu sein und durften ebenfalls nicht stattfinden. Auf den Straßen werden sie nach Racial-Profiling-Prinzip polizeilich kontrolliert und dadurch kriminalisiert. Und in den Talkshows wird über sie geredet, aber nicht mit ihnen.
Viele derjenigen, die jetzt unter Generalverdacht gestellt werden, sind diejenigen, die tagtäglich unsere Pakete austragen, die unsere Pizza ausliefern oder im Reinigungs- und im Sicherheitsgewerbe tätig sind und dadurch zum Funktionieren unserer Gesellschaft beitragen. Einige sind aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, die in ihren Betrieben als Betriebs- und Personalräte Demokratie, Mitbestimmung und Beteiligung organisieren. Ihnen Israelfeindlichkeit und pauschale Gewaltbereitschaft zu unterstellen, weil sie ihre Toten betrauern wollen und nicht damit einverstanden sind, dass sich die Bundesrepublik im Nahost-Konflikt einseitig positioniert und wichtige Kontexte ausblendet, ist nicht akzeptabel.
Als aktive Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter lehnen wir die Einschränkung von Grundrechten ab, dabei machen wir weder einen Unterschied bei der Einschränkung des Streikrechtes für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, noch bei der Einschränkung des Demonstrationsverbotes für diejenigen, die ein Ende der Gewalt im Nahen Osten fordern. Und auch eine weitere Verschärfung des Asylrechtes, die im Windschatten der aktuellen Nahost-Debatte geführt wird, lehnen wir ab. Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht, das jedem, dessen Leib und Leben bedroht wird, gewährt werden sollte und nicht an die Bereitschaft zu politischen Bekenntnissen geknüpft werden darf.
Aus all diesen Gründen kritisieren wir auch den Aufruf zur Kundgebung, die unter dem Motto „Aufstehen gegen Terror, Hass und Antisemitismus – in Solidarität und Mitgefühl mit Israel“ am 22. Oktober am Brandenburger Tor stattfand. Wir unterstützen die Intention, auf den wachsenden Antisemitismus hinzuweisen und dieser Entwicklung sichtbare Signale entgegentreten. Aber auch dieser Aufruf ist einseitig verfasst und lässt die persönliche Betroffenheit unserer palästinensischen Kolleginnen und Kollegen unberücksichtigt. Diese Einseitigkeit ist in der aktuellen Situation, in der auf beiden Seiten unschuldige Zivilisten sterben, nicht hinnehmbar. Hinzu kommt, dass wir den Schulterschluss mit den Arbeitgebern ablehnen. Viele deutsche Unternehmen haben auch sonst keine Skrupel, in Diktaturen ihre Geschäfte zu machen – auch in Ländern, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen. In den Dikaturen Lateinamerikas der 1970er Jahre haben sie sogar ausdrücklich davon profitiert, das Gewerkschafter verfolgt und ermordet wurden. Auch ein gemeinsamer Aufruf mit den Parteien, die im Rahmen der aktuellen Haushaltsberatungen die Bundesmittel für die Vorfeldarbeit gegen Antisemitismus kürzen wollen, lehnen wir ab. CDU, FDP, SPD und Grüne sollten diese Mittelkürzungen sofort stoppen, ansonsten sind solche Aufrufe Schaufensterpolitik.
Wir sehen uns in der Tradition der internationalen Gewerkschaftsbewegung, die als Stimme des Friedens gegen militärische Eskalation und gesellschaftliche Spaltung hier wie dort deutlich Position bezieht. Menschenrechte und Grundrechte sind für uns unteilbar.
Bundessprecherinnen und Bundessprecher der BAG Betrieb & Gewerkschaft