„Es geht um Gerechtigkeit, denn wir sitzen nicht alle in einem Boot“

22. März 2024  TRANSFORMATION ARBEIT

Am 13. April organisiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Salzgitter eine Konferenz zur Transformation der Stahlindustrie. Wir haben mit Manuela Kropp gesprochen, die im Brüsseler Büro der RLS arbeitet und diese Konferenz maßgeblich organisiert. Sie sagt: Bei der Transformation der Stahlindustrie geht es um die ganz großen Fragen – um Gerechtigkeit, um gute Löhne, um den notwendigen Umbau der Industrie gemeinsam mit den Beschäftigten und eine Produktion innerhalb der planetaren Grenzen, damit auch unsere Kinder und Enkel eine Zukunft haben. Das Gespräch führte unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler.

BAG Betrieb & Gewerkschaft: Wie kam es zu dieser Konferenzidee?

Manuela Kropp: Die Stahlindustrie steht europaweit und weltweit vor der großen Herausforderung, den Übergang zu grünem Stahl zu schaffen. Der Stahlsektor ist für sieben Prozent der Treibhausgasemissionen weltweit verantwortlich und daher ist der Übergang zu grünem Stahl umso wichtiger. 330.000 Menschen arbeiten in der EU im Stahl, und dann kommen nochmal 2,6 Millionen indirekte Jobs hinzu. Die Stahlindustrie ist also ein wichtiger Arbeitgeber und eine wichtige Grundlage für die weitere industrielle Produktion in Deutschland und Europa – umso wichtiger ist es, dass die Transformation zu grünem Stahl gelingt. Überall auf der Welt wird in grünen Stahl investiert – wenn Deutschland hier nicht erfolgreich einstiegt, sind die Kunden*innen weg und der Abstieg der Stahlindustrie droht.

Das heißt, ihr nehmt den aktuellen Umbruch in der Stahlindustrie zum Anlass, um die Komplexität von industriellen Transformationsprozessen zu beleuchten und zu diskutieren?

Ganz genau. Auch wenn nun endlich Subventionen in Deutschland dafür zugesagt wurden, stellt sich ja trotzdem die Frage, woher eigentlich der erneuerbare Strom und der grüne Wasserstoff kommen sollen, um den Stahl wirklich CO2-arm werden zu lassen. Der Strom-Mix in Deutschland enthielt 2023 59 Prozent erneuerbaren Strom – das klingt gut, aber für die Erzeugung von grünem Wasserstoff wird hier der Bedarf enorm steigen. Das bedeutet, grüner Wasserstoff muss aus anderen Regionen importiert werden – aber der Ausbau der Infrastruktur mit Pipelines dauert lange und ist kostspielig. Dafür braucht es gesamtgesellschaftliche Planung und die Einbeziehung der Ideen der Beschäftigten – sie sind ja am stärksten vom Umbau betroffen und es darf nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden werden. Es stellt sich auch die Problematik des Weiterbildungsbedarfs und wie der gelöst wird. Daher hatten wir die Idee, dies unbedingt mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort in Salzgitter zu diskutieren, auch damit wir ihre Forderungen in Bezug auf eine europäische Industriepolitik noch in den Europawahlkampf einspeisen können.

Warum findet die Konferenz in Salzgitter statt?

Die Salzgitter AG ist Deutschlands zweitgrößter Stahlproduzent und dort läuft bereits das Projekt SALCOS, womit eine nahezu klimaneutrale Stahlproduktion erreicht werden soll. Am Vorabend der Konferenz wird es ein Bustour über das Werksgelände geben und dabei werden wir natürlich auch mehr über das Projekt erfahren. Und das Land Niedersachsen ist mit 26,5 Prozent Anteilseigner – auch dies ist eine interessante Diskussion mit Blick auf die Frage, wie sich das auswirkt und ob die Politik hier wirklich innovativ und im Sinne der Beschäftigten gestaltet.

Gibt es „Special Guests“ im Programm und was genau habt ihr euch für das Programm überlegt?

Ja, es gibt „special guests“. Wir freuen uns, dass die Senatorin für Wirtschaft aus Bremen, Kristina Vogt, nach Salzgitter kommen wird. In Bremen sitzt DIE LINKE ja mit in der Landesregierung. Sie wird berichten, wie sie in Bremen den Übergang zu grünem Stahl angehen: Das Stahlwerk dort von ArcelorMittal erzeugt derzeit so viel CO2-Emissionen wie der Rest Bremens. Daher gilt auch hier: Der Umbau muss gelingen. Im April letzten Jahres wurde der Grundstein für den ersten Elektrolyseur gelegt, mit dem aus Wasser dann Wasserstoff produziert werden soll.

Klingt spannend…

Und wir freuen uns natürlich sehr, dass Hans-Jürgen Urban vom Vorstand der IG Metall ebenfalls bei unserer Konferenz dabei sein wird – er setzt sich seit langem für Gute Arbeit in der Transformation und mehr Wirtschaftsdemokratie ein. Auch Heinz Bierbaum, der Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, kämpft seit langem für die Beschäftigten in der Stahlindustrie und hat diese Konferenz initiiert.

Nun ist die Dekarbonisierung der Stahlindustrie  zumindest ein europäisches, wenn nicht weltweites Projekt. Wird es auch internationale Gäste geben?

Ja, natürlich. Wir haben beispielsweise einen Kollegen aus dem italienischen Stahlsektor auf dem Podium, Loris Scarpa von der italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM. FIOM beklagt schon lange, dass die italienische Regierung keine Konzepte für Industriepolitik hat – ArcelorMittal ist seit Jahren in der Krise – die Produktion fiel im letzten Jahr auf drei Millionen Tonnen, obwohl eine Kapazität für acht Millionen Tonnen besteht. Die rechte Regierung unter Giorgia Meloni schaffte es nicht, einen Deal mit ArcelorMittal zu schließen, um die Arbeitsplätze zu sichern. Nun sind 20.000 Jobs in Gefahr. Der italienische Staat steigt nun mit der Investmentagentur Invitalia ein, aber die FIOM kritisiert zu Recht, dass die Regierungen sich an der Nase haben herumführen lassen.

Inwiefern?

Der Staat zahlte angesichts des anhaltenden Konkurses 680 Millionen Euro, aber der Mehrheitsaktionär ArcelorMittal null. Und jetzt ist die Situation ähnlich: um die ehemalige Ilva am Leben zu erhalten, werden mindestens 320 Millionen Euro benötigt, aber auch hier ist der private Partner nicht bereit, seinen Anteil aufzubringen. Das Ziel von ArcelorMittal war von Anfang an klar: Der Staat muss das Geld aufbringen und sie werden es verwalten. So geht es natürlich nicht.

Interessant. Und wie läuft das in anderen europäischen Ländern?

Bei ArcelorMittal in Gand in Belgien werden die Investitionen in grünen Stahl insgesamt in Frage gestellt, weil die Energiekosten zu hoch seien. Deshalb freuen wir uns sehr, dass wir den belgischen Kollege Max Vancauwenberge von der belgischen Partei der Arbeit (PTB) zu gast haben werden, der den PTB-Plan zum Umbau der belgischen Stahlindustrie vorstellen wird. Darin fordern die Kollegen moderate Energiepreise und öffentliche Investitionen in erneuerbare Energien und Wasserstoff.

Viele Transformationsprozesse leiden darunter, dass sie über die Köpfe der Beschäftigten geführt werden und nicht mit ihnen. Wie ist das auf der Konferenz? Habt ihr Kollegen aus der Stahlindustrie im Programm?

Ja, wir haben mit Matthias Wilhelm, den 1. Bevollmächtigten der IG Metall Salzgitter-Peine und Lena Fuhrmann, Betriebsrätin und Mitglied im Aufsichtsrat der Salzgitter AG, auch Kolleg*innen aus der Stahlindustrie mit im Programm. Loris Scarpa aus Italien kommt ebenfalls aus der Stahlindustrie und wird über die Auseinandersetzungen mit ArcelorMittal berichten.

Die Stahlindustrie ist ja als Grundstoffindustrie in viele Wertschöpfungsketten eingebunden. ihr nachhaltiger Umbau ist damit Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche sozial-ökologische Transformation. Müssen diese Fragen nicht auch mit der Klimabewegung diskutiert werden?

Das Bündnis #wirfahrenzusammen von ver.di und Fridays for Future, die kürzlich am 1. März 2024 auch gemeinsam gestreikt haben, zeigt, wie wichtig die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Klimabewegung ist. Und Stahl wird gebraucht: für Busse, Straßenbahnen, Windräder etc. Umso besser, wenn es dann grüner Stahl ist, der unseren Planeten weniger belastet.

Das heißt, die Konferenz richtet sich sowohl an Beschäftigte als auch an die Klimabewegung?

Ja natürlich. Wir haben die Konferenz so gestrickt, dass es auch genügend Raum und Zeit für Diskussionen geben wird und wir freuen uns natürlich, wenn die Kolleg*innen aus den Betrieben, Klimaaktivist*innen und Vertreter*innen von Umweltorganisationen miteinander ins Gespräch kommen und dabei vielleicht sogar so etwas wie Vertrauen entsteht.

Vor dem Hintergrund europäischer und internationaler Wertschöpfungsketten – diskutiert ihr auf der Konferenz auch eine europaweite oder internationale Transformationsperspektive?

Ja, mit unseren Gästen aus Italien und Belgien möchten wir auch über eine notwendige europäische Industriepolitik sprechen, die den Umbau zu grünem Stahl befördert. Dazu gehört zum Beispiel, die lokale Produktion bei Ausschreibungen zu bevorzugen und so die Jobs vor Ort zu sichern. Da kann eine Veränderung der europäischen Richtlinie helfen.

Vermutlich fängt der Diskurs auf der europäischen Ebene schon mit einer klaren Definition an, was überhaupt „grüner Stahl“ ist, oder?

Ganz genau. Bisher haben wir diese Signale nicht und die europäische Politik sendet natürlich nur schwammige Signale an die Entscheider*innen in der Industrie. Damit schafft sie auch ungleiche Wettbewerbsbedingungen.

Exakt…

Außerdem wir haben ja auf europäischer Ebene die „Europäische Allianz für Batterien“ und die „Europäische Allianz“ für Wasserstoff – das ist alles gut, aber warum gibt es keine „Europäische Allianz für den Ausbau des Schienenverkehrs“, um hier die Nachfrage nach grünem Stahl anzuregen? Außerdem brauchen wir auf europäischer Ebene einen gesetzlichen Rahmen für „Just Transition“ – wo endlich festgeschrieben wird, wie der „gerechte Übergang“ aussehen muss: Ausbau der Wirtschaftsdemokratie wäre hier ein Stichwort – momentan wird ja die Richtlinie für europäische Betriebsräte überarbeitet. Alternative, tariflich gut bezahlte Arbeitsplätze und Schutz des sozialen Dialogs, wären weitere Stichworte, denn in einigen Stahlunternehmen werden die Rechte der Beschäftigten massiv angegriffen.

Ihr schreibt in der Ankündigung: Für die Erreichung der Klimaneutralität bis 2045 muss die deutsche Stahlindustrie innerhalb von zwei Dekaden fast 70 Prozent ihrer Produktionsanlagen komplett ersetzen. Wie ist dein Blick auf den Umbau der Stahlindustrie? Wird er trotz der riesigen Herausforderungen gelingen?

Solange unsere Regierungschefs in der EU und in Deutschland an der Schuldenbremse festhalten, wird es schwierig. Da müssen wir ran. Laut einer aktuellen Studie können mit den neuen EU-Schuldenregeln nur vier Mitgliedstaaten von den 27 ausreichend finanzielle Mittel aufbringen, um die Klimaschutzziele vom Pariser Abkommen einzuhalten. Wir brauchen aber die Gelder für den Umbau und schneiden uns mit dieser selbstauferlegten Kürzungspolitik ins eigene Fleisch.

Über die Finanzierung zu sprechen, macht die Dekarbonisierung zu einer Klassenfrage. Ist das dein Blick auf die Transformation?

Ja, natürlich. Denn es ist falsch, wenn behauptet wird, wir sitzen beim Thema „Klimawandel“ alle im gleichen Boot: Die Menschen mit normalen und geringen Einkommen leiden am meisten unter aufgeheizten Städten oder steigenden Lebensmittelpreisen, weil die Ernten aufgrund des Klimawandels ausfallen. Egal, ob in Deutschland oder in Pakistan. Und nein, wir „müssen auch nicht alle unseren Lebensstil ändern“. Einige – die Menschen mit sehr hohem Vermögen, die aktuell einen großen ökologischen Fußabdruck haben – müssen ihren Lebensstil drastisch ändern. Andere brauchen eine Bushaltestelle vor der Tür und eine Regierung, die aktiv gestaltend in die Wirtschaftspolitik eingreift und dafür die notwendigen Mittel bei den Superreichen und Konzernen abschöpft und mit öffentlichen Investitionen den Klimaschutz vorantreibt.

Das heißt, es geht hier um Gerechtigkeit?

Ja, es geht um Gerechtigkeit, um gute Löhne für die Beschäftigten, den notwendigen Umbau der Industrie gemeinsam mit den Beschäftigten und eine Produktion innerhalb der planetaren Grenzen, damit auch unsere Kinder und Enkel eine Zukunft haben.

Liebe Manuela, vielen Dank für das Gespräch.

Konferenz: Stahl ist Zukunft

Der Stahl der Zukunft ist grüner Stahl. Für die Erreichung der Klimaneutralität muss die Stahlindustrie fast 70 Prozent ihrer Produktionsanlagen ersetzen. Wie das gelingen kann, wie die Gewerkschaften zum Treiber der Transformation werden können und welche Rolle dabei die Mitbestimmung spielt, will die Rosa-Luxemburg-Stiftung am 13. April in Salzgitter diskutieren. Spannendes Programm, hochkarätige Gäste und wer bereits am Vortag anreist, kann sich auf eine Tour übers Werksgelände freuen.

Interessiert? Programm und Anmeldung!