„Es ist wichtig, dass sich Gewerkschaften im öffentlichen Diskurs positionieren.“

17. Februar 2021  PARTEI IM GESPRÄCH

Kenja Felger ist ausgebildete Bürokauffrau, die jetzt studiert. Seit ihrer Ausbildung ist sie Gewerkschaftsmitglied und derzeit Geschäftsführerin des Studierendenverbandes „Die Linke.SDS“. Wie sich ihre Sicht auf Gewerkschaften über die Zeit verändert hat und warum diese politische Mandate haben sollten, erzählt Kenja im Gespräch mit Ulrike Eifler, Bundessprecherin der AG Betrieb & Gewerkschaft.

BAG Betrieb & Gewerkschaft: Du bist seit vielen Jahren Mitglied bei ver.di. Was hat dich bewogen, dich gewerkschaftlich zu organisieren?

Kenja Felger: Ich bin während meiner betrieblichen Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation ver.di beigetreten. Damals hatte ich viele Fragen rund um meine Prüfungen oder die Verkürzung meiner Ausbildung. Ver.di war also mein Ansprechpartner, auch wenn ich mich nicht direkt mit meinem damaligen Arbeitgeber einigen konnte.

Warum sind Gewerkschaften aus deiner Sicht wichtig?

Heute sehe ich Gewerkschaften ganz anders als noch vor einigen Jahren. Während meiner Ausbildung habe ich ver.di hauptsächlich als Informationsangebot wahrgenommen und weniger als Möglichkeit, mich selbst zu organisieren. Heute bin ich überzeugte Sozialistin und glaube, dass wir große gesellschaftliche Veränderungen insgesamt nur mit starken und konfliktorientierten Gewerkschaften durchsetzen können. In den aktuellen Diskussionen um den Umgang mit der Pandemie beispielsweise sieht man, dass die Gewerkschaften als Vertretung einer selbstorganisierten Arbeiter:innenklasse zu schwach sind und das ist auch ein Ergebnis von vielen Jahren erfolgreichem Klassenkampf von oben. Um die Schließung ganzer Betriebe oder die Verlagerung von Arbeit ins Homeoffice durchzusetzen, braucht es flächendeckend demokratische Selbstorganisierung der Beschäftigten und eine Erneuerung der Gewerkschaften von unten.

Sind Gewerkschaften aus deiner Sicht nur betriebliche Interessenvertretung oder haben sie auch ein politisches Mandat und welche überbetrieblichen Themen fallen dir da ein?

Beides hängt direkt zusammen. Versteht man die Gewerkschaften als Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet das für mich nicht, dass sie sich ausschließlich mit Themen rund um den Arbeitsplatz beschäftigen sollten. Ich verstehe Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als politische Subjekte, weshalb ihre Vertretung auch politische Mandate haben sollte. Ich finde es wichtig, wenn sich Gewerkschaften im öffentlichen Diskurs positionieren. Die Themen sind vielfältig und betreffen gleichermaßen Betriebe und alles darüber hinaus. Rassismus, Sexismus und ähnliche Muster begegnen uns überall und wir müssen ihnen überall begegnen. Da sind klare Worte der Gewerkschaften hilfreich. Außerdem ist es natürlich zentral für die Auseinandersetzungen unserer Zeit, wie beispielsweise der Umgang mit der Klimakatastrophe, wenn die Gewerkschaften hier unterstützen.

Du bist beim SDS und ihr habt als linker Studierendenverband die Tarifrunde im Nahverkehr unterstützt. Warum war euch das wichtig?

Zu Beginn der Auseinandersetzung gab es in unserem Verband Gespräche darüber, wie und warum wir diese unterstützen wollen. Uns war dabei immer wichtig, dass die Tarifrunde einen konkreten Ansatzpunkt für Klimaschutz geliefert hat. Waren die Debatten in der Klimabewegung oft noch ein wenig abstrakt, war die Auseinandersetzung um bessere Löhne und bessere Ausstattung im Nahverkehr eine Perspektive, die nicht nur durchsetzbar erschien, sondern auch direkt erfahrbar war. Wir haben von Anfang an unseren Fokus daraufgesetzt, die Klimabewegung mit den Beschäftigten zu vernetzen. Diese Vernetzung hat auch dazu beigetragen, dass sich beide Seiten besser kennengelernt haben und vermeintliche Interessenkonflikte überwunden haben. Außerdem hat der Support der Klimabewegung auch zu einem größeren gesellschaftlichen Rückhalt der Tarifauseinandersetzungen geführt. Natürlich wäre das noch erfolgreicher gewesen, wenn uns nicht Corona einen Strich durch viele Pläne gemacht hätte, wie zum Beispiel eine große Freitagsdemo mit Mobilitätsschwerpunkt. Aber für die Zukunft haben wir viel gelernt. Wenn sich Klimabewegung und Beschäftigte beide in ihren jeweiligen Auseinandersetzungen unterstützen, ist das ein ganz konkretes Beispiel von verbindender Klassenpolitik.

Kann ein Bündnis aus Gewerkschaftern und FFF-Aktivisten erfolgreich sein und welche Rolle kann die LINKE dabei spielen?

Ich denke, wir haben einige Erfolge erzielen können, an die wir hoffentlich in Zukunft anknüpfen können. In über 30 Städten haben sich Streikbündnisse aus verschiedenen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen, NGOs und Parteien gegründet, um die Streikenden zu unterstützen. Die Frage ist aber nicht ausschließlich, ob ein solches Bündnis erfolgreich sein kann, sondern wie. Als LINKE müssen wir Impulse aus Bewegungen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen aufnehmen. Es liegt an uns, ein Programm zu verfolgen, das für beide Anknüpfungspunkte liefert. Auch sollte es unsere Aufgabe sein, immer wieder klar zu benennen, wo der Gegner steht: Die weltweit größten 100 Konzerne sind für 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich.

Am 19.02.2021 jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau. Warum ist der Kampf gegen Rassismus ein Thema für dich?

Hanau zeigt, dass sich Rassismus durch unsere ganze Gesellschaft zieht. Er sitzt tief in den Institutionen und in den Köpfen. Für mich war es wichtig zu verstehen, dass Rassismus nicht nur das Verhalten einzelner ist, sondern ein Mechanismus, der uns spaltet. Um gemeinsam für eine bessere Zukunft zu streiten, dürfen wir uns aber nicht spalten lassen. Als Person, die nicht von Rassismus betroffen ist, versuche ich mich dafür einzusetzen, dass Rassismus nicht mehr nur das Thema einzelner ist, sondern dass Antirassismus sich genauso durch unsere Gesellschaft zieht, wie Rassismus. Dabei ist es mir wichtig, dass wir nicht nur Abwehrkämpfe gegen rechts kämpfen, sondern uns aktiv für eine Verbesserung der Lebensumstände aller von Rassismus betroffenen Menschen einsetzen. Dafür ist es zentral nicht über sie zu sprechen, sondern mit ihnen gemeinsam für eine bessere Zukunft für uns alle zu streiten.

Vielen Dank für das Gespräch.