von Susanne Ferschl
Die Europäische Union ist ein Friedensprojekt. Nationale Kapitalinteressen sollten nie wieder zu Krieg führen und kooperativ ihren Ausgleich finden. Während jedoch der freie Kapitalverkehr, der freie Fluss von Gütern und Dienstleistungen sowie Arbeitskräften Verfassungsrang haben, fehlen soziale Rechte für EU-Bürger. Die Schwäche der EU besteht nicht in der Vielfalt der Nationen, sondern erwächst aus dem Ungleichgewicht zwischen wirtschafts- und sozialpolitischen Zielsetzungen. Während Binnenmarkt und Währungsunion die Mitgliedstaaten in ihrer nationalen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einschränken, fehlt eine Strategie für und das Gegengewicht von sozialen Standards.
Europäisches Lohn- und Sozialdumping
Durch den Wegfall der Wechselkurse innerhalb der EU ist ein wichtiges volkswirtschaftliches Steuerungsmoment ausgefallen. Fällt die Möglichkeit der Auf- und Abwertung einer Währung aus, so schlagen wirtschaftliche Ungleichheiten auf die Arbeitsbedingungen und Löhne durch. Denn um Produktivitätsnachteile auszugleichen senken Unternehmen die Löhne, während sich die Nationalstaaten gleichzeitig in einen Unterbietungswettbewerb um Arbeits- und Sozialstandards und Steuern begeben. Darüber erklären sich dann auch die massive Zunahme von prekären Beschäftigungsformen und der Abbau von Arbeitnehmerrechten.
Meist westeuropäische Unternehmen haben Strategien entwickelt, in denen sie das Sozial- und Wohlstandsgefälle zwischen West- und Osteuropa ausnutzen, um Arbeits-, Lohn- und Sozialstandards zu unterlaufen. Mit Hilfe von Ausgliederungen und Subunternehmern ist es ihnen möglich, dass sich Arbeitsrecht und Lohnbestimmungen an Bedingungen des Herkunftslandes ausrichten, und sich nicht an denen des Arbeitsortes orientieren. Die Beschäftigten sind Leidtragende dieses Lohn- und Sozialdumpings. Diese Form der Konkurrenz verändert die Wahrnehmung. In den Augen vieler erscheint es dann so, als sei Arbeitsmigration das Problem; die Strategie der Unternehmen gerät aus dem Blick.
Die falsche These, dass die Eurokrise eine Schulden- und Wettbewerbskrise sei, mündete – wie wir längst wissen – in den falschen Therapien: Austeritätspolitik, Reduzierung von Arbeitskosten sowie strukturellen Reformen auf dem Arbeitsmarkt und bei den Tarifvertragssystemen. Europaweit wurden Gewerkschaften geschwächt. Unzählige Menschen wurden arbeitslos und leben in Armut.
Wir lassen uns nicht spalten
Alle Umfragen zeigen, dass ein sicherer Arbeitsplatz, eine gute Ausbildung und soziale Gerechtigkeit die wichtigsten Themen für europäische Bürgerinnen und Bürger sind. Daran werden wir ansetzen, denn unsere Antwort heißt Solidarität. Wenn wir in Deutschland für einen starken Sozialstaat, gute Arbeit und anständige Löhne kämpfen, dann handeln wir im Sinne aller Beschäftigten in Europa. Wir entfalten eine Sogwirkung nach oben und nehmen gleichzeitig den Druck von Löhnen und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in anderen EU-Ländern – dies mildert den Wettbewerb bzw. die Konkurrenz. Dazu sind Koordination und Kooperation unter den Gewerkschaften, eine solidarische Lohnpolitik und ein gemeinsamer Kampf gegen prekäre Beschäftigung und gegen Niedriglöhne auf dem Arbeitsmarkt notwendig.
Wir müssen um die politischen Rahmenbedingungen streiten, innerhalb derer diese Solidarität wächst. Der Lohnkonkurrenz können wir begegnen, indem wir Mitgliedsstaaten verpflichten, flächendeckende Tarifverträge zu fördern und einen europaweiten Mindestlohn einzuführen. Die Höhe muss in jedem Land oberhalb von 60 Prozent der mittleren Verdienste liegen. Gemeinsam wollen wir gegen die Spaltung am Arbeitsmarkt in prekäre und reguläre Arbeitsplätze vorgehen und in ganz Europa ein Verbot von sachgrundloser Befristung durchsetzen. Dabei dürfen die befristeten Arbeitsverhältnisse in allen Ländern nicht über fünf Prozent steigen.
Europa kann mehr. Eine andere Politik ist möglich. Exemplarisch zeigt das die neue Entsenderichtlinie. Sie macht den Weg frei, ganze Tarifverträge in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Auch können die Bundesländer nun wieder Tariftreue-Regelungen für die öffentliche Auftragsvergabe einführen. Beide Maßnahmen können einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Tarifvertragssystems leisten und die Arbeitsbedingungen aller verbessern. Es ist nun eine Frage des politischen Willens, ob die neuen Möglichkeiten zur Begrenzung von Lohnwettbewerb und Sozialdumping in Deutschland ergriffen werden. Dazu brauchen Beschäftigte eine starke LINKE – in Europa und in Deutschland. Eine LINKE, die global denkt und national handelt. Lasst uns gemeinsam für ein soziales und solidarisches Europa kämpfen und wählt DIE LINKE bei der Europawahl am 26. Mai!
Susanne Ferschl ist stellvertretende Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und Leiterin des Arbeitskreises „Arbeit, Soziales und Gesundheit“