Auf dem Parteitag in Erfurt wählen wir einen neuen Vorstand. Im Netz war bereits einiges über die vier aussichtsreichsten Kandidaturen für den Parteivorsitz zu lesen. Wir haben bei Janine, Heidi, Martin und Sören nachgefragt, was sie dazu bewogen hat und darüber hinaus auch, was uns sonst noch wichtig erschien. Partei im Gespräch: Wir fragen nach, sie antworten. Heute im Interview: Sören Pellmann
BAG Betrieb & Gewerkschaft: Lieber Sören, du kandidierst Ende Juni auf dem Parteitag in Erfurt als Vorsitzender für die Partei DIE LINKE. Was hat dich dazu bewogen?
Sören Pellmann: In den letzten Wochen habe ich quer durch die Partei viele Gespräche geführt. Diese waren ehrlich, klar, besorgt, aber auch hoffnungsvoll. Mein Entschluss stärkt sich aus diesen Gesprächen und meiner politischen Vita. Der Gewinn meines Direktmandates für den Bundestag konnte nur gelingen, weil wir über Milieugrenzen hinweg erfolgreich waren – wir haben Brücken gebaut. Dafür bedarf es viel Kommunikation und Kompromissbereitschaft – Eigenschaften, die in der Bundespartei in der jüngeren Vergangenheit nicht immer gelebt wurden. Das ist für die Zukunft unserer Partei wichtig: Kommunikation miteinander, nicht übereinander, Kompromissbereitschaft und das klare Einsetzen für die Menschen in diesem Land, die nicht immer auf der Sonnenseite leben.
In letzter Konsequenz war für den Entschluss einerseits die tiefe Sorge über die Zukunft unserer Partei und anderseits die feste Überzeugung, dass unsere Partei eine Zukunft hat, verantwortlich. Zudem treibt mich eine große Ungeduld bezüglich der aktuellen Entwicklung. Ich sehe die gesellschaftliche Notwendigkeit für eine linke Partei und das aktuelle, kollektive Unvermögen diese Aufgabe zu erfüllen. Ich möchte meinen Beitrag dazu leisten, dass wir in unserer Vielfältigkeit wieder zu einer notwendigen Einheitlichkeit kommen.
Die Vielstimmigkeit der Partei wird von vielen Genossinnen und Genossen derzeit als wesentlichstes Problem gesehen. Wie willst du Die Partei führen, um dieses Problem zu überwinden?
In den „Programmatischen Eckpunkten“, dem Gründungsdokument der Partei DIE LINKE, findet sich einleitend folgender Satz: „Wir greifen unterschiedliche Auffassungen zur Analyse, Politik, Weltanschauung und Strategie, zu Widersprüchen und Gemeinsamkeiten produktiv auf und entwickeln sie als Stärke der neuen Partei.“ Das ist ein gewaltiger Anspruch, den wir uns damals mitgegeben haben und ich muss leider sagen, diesem Anspruch sind wir nicht gerecht geworden. Ich habe mich entschlossen, mit diesem Anspruch zu kandidieren. Denn nur wenn wir es schaffen unsere Differenzen produktiv zur Debatte zu stellen, kommen wir in die Lage diese produktiv aufzulösen. Unsere Auseinandersetzungen haben weniger inhaltliche Substanz, werden aber immer brutaler geführt. Das will ich ändern. Wir müssen uns dringend versöhnen, um gemeinsam unsere Partei zu stabilisieren und zu neuen Erfolgen zu führen.
Wir wissen alle, DIE LINKE ist derzeit in einer schwierigen Situation. Was muss deiner Ansicht nach geschehen, damit unsere Partei wieder eine Rolle in den gesellschaftlichen Debatten spielt?
Die Überwindung unserer Vielstimmigkeit ist nur der erste Schritt. Wir müssen darüber hinaus auch unsere Kommunikation verbessern. Wir müssen so sprechen, dass uns auch diejenigen verstehen, die sich nicht jeden Tag mit Politik beschäftigen. Im Zentrum sollten die Bereiche stehen, bei denen uns die Leute auch Kompetenz zuschreiben: Arbeit und Soziales. Dass dies vor dem Hintergrund der Aufgaben bezüglich des Klimawandels steht, halte ich für selbstverständlich. Alle Themen, die wir bearbeiten, müssen wir mit diesen Bereichen verknüpfen. Unsere gesamte öffentliche Präsenz muss aus der Perspektive der Gering- und Normalverdienenden, der Rentnerinnen und Rentner und der Sozialleistungsempfängerinnen und -empfänger gestaltet werden.
Bist du Gewerkschaftsmitglied und wenn ja, warum?
Ich bin seit 2004 Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, gemeinsam, solidarisch und kraftvoll für die Rechte der Beschäftigten einzustehen. Schon als Studierender habe ich an den Streiks teilgenommen. Als Lehrer habe ich Kolleginnen und Kollegen überzeugt, Gewerkschaftsmitglieder zur werden und nahm an allen Streikaktionen aktiv teil. Als Abgeordneter unterstütze ich regelmäßig vor Ort die Kolleginnen und Kollegen während ihren Kämpfen um bessere Entlohnung und bessere Arbeitsbedingungen.
Viele Kolleginnen und Kollegen berichten uns, dass DIE LINKE in ihrem Leben und auch in ihrem Betrieb keine Rolle spielt. Wie wichtig ist aus deiner Sicht die gewerkschaftliche und betriebliche Verankerung der LINKEN und wie kann diese befördert werden?
Sehr wichtig. Die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben und in den Gewerkschaften sind das Rückgrat unserer Partei, für sie machen wir unsere Politik. Für die Beschäftigten muss ersichtlich sein, was den Unterschied zu den anderen Parteien ausmacht. Unsere Aufgabe ist es, die anderen Parteien vor uns herzutreiben. So wie wir mit langem Atem das dicke Brett des gesetzlichen Mindestlohns durchbohrt haben, bis der gesellschaftliche Druck so groß war, diesen einzuführen.
Der psychische und physische Leistungsdruck auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nimmt ständig zu. Es liegt auf der Hand, dass die Zeit für eine starke LINKE mit klaren arbeitspolitischen Forderungen da ist. Wenn wir selbstbewusst unsere Positionen zu Themen wie Arbeitszeitverkürzung, gesetzlich geregelte Tarifbindung, prekäre Beschäftigung etc. formulieren und bereit sind, dafür hart zu kämpfen und uns die Butter von den politischen Gegnern nicht vom Brot nehmen lassen, dann sind wir für viele wieder ein Anker. Die Leute spüren diese Glaubwürdigkeit und schöpfen wieder Hoffnung in eine starke linke Kraft.
DIE LINKE hat ein gutes Programm. Aber das allein reicht natürlich nicht. Wie gelingt es uns, Forderungen nach einer stabilen Rente oder einer höheren Tarifbindung durchzusetzen?
Es gelingt ja bereits, nämlich da wo wir (mit-)regieren, hier Verbesserungen durchzusetzen. Das muss man immer betonen. Im Bund und der Mehrheit der Bundesländer regieren wir nicht mit. Hier ist unsere Aufgabe die Stimme des Protests zu sein – im Parlament und auf der Straße. Auf kommunaler Ebene war es uns immer wichtig, eine hohe Tarifbindung zu erreichen.
Weißt du, was derzeit ein Pfund Butter kostet?
Das hat unsere Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali neulich im Bundestag erwähnt, da waren es drei Euro für das Stück, also für 250g. Aber ich sehe es natürlich beim Einkaufen, wie die Preise immer weiter steigen. Das ist ein echtes Problem für viele Menschen im Land. Es ist nicht akzeptabel, dass Menschen mit geringem Einkommen nicht mehr über die Runden kommen und die Tafeln im Land komplett überlastet sind. Ich hatte letzte Woche dazu ein Gespräch mit einem Beschäftigten aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderung, der sich bei seinen geringen Einkommen und diesen hohen Preisen schon jetzt keine Butter mehr kaufen kann.
Momentan geht die Inflation durch die Decke. Insbesondere Menschen mit geringen Einkommen ächzen unter dieser Belastung. Was kann dagegen getan werden und was müssen vor allem wir als LINKE machen, um den Menschen zu helfen?
Ich meine eine Aussetzung oder wenigstens eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel ist dringend geboten. Es braucht eine funktionierende Preisaufsicht für Energie. Mit Lebensmitteln und Strom, Gas und Sprit dürfen in der Krise keine Spekulationsgewinne eingefahren werden. Es braucht staatliche Unterstützung für Sozialleistungsempfängerinnen und -empfänger, Gering- und Normalverdienende, die deutlich höher sein muss, als die Entlastungspäckchen, die die Bundesregierung schürt. Wir müssen das im Parlament immer wieder deutlich machen, dass die Bundesregierung hier die Menschen in der Krise im Stich lässt. Draußen auf der Straße müssen wir zusammen mit den Gewerkschaften und Verbänden Protest dagegen organisieren.
Als Reaktion auf den Krieg in der Ukraine wird auf der europäischen Ebene derzeit Druck gemacht für ein Öl- und Gasembargo. Wie stehst du dazu und wer wären die Leidtragenden eines solchen Embargos?
Die Leidtragenden des geplanten Ölembargos werden wohl kaum Putin und die russischen Eliten sein. Am 9. Juni berichtete das ARD-Politmagazin „Monitor“ über ein unglaubliches Schlupfloch in der Embargopolitik. Griechische Reedereien sind ausdrücklich vom Embargo ausgenommen. Das heißt, sie dürfen weiterhin russisches Öl in alle Welt liefern. Im April transportierten sie 60 Prozent der russischen Öllieferungen in Drittstaaten. Experten sagen, dass damit das gesamte Embargo unterlaufen wird, denn Russland ist angewiesen auf die griechischen Tanker.
Dieses Ölembargo wird nicht Putin, sondern vor allem Ostdeutschland hart treffen und die Preise weiter explodieren lassen. Ich sehe nicht, dass die Bundesregierung auf die Warnungen aus den ostdeutschen Ländern angemessen reagiert. Ich habe bereits Anfang Mai als erster Politiker einen Schutzschirm gefordert, insbesondere für den Osten. Da geht es unter anderem um Versorgungssicherheit, die gewährleistet sein muss, um Garantien und die Rettung der Standorte und aller Arbeitsplätze in Schwedt und Leuna, um einen Rettungsfonds für Betriebe (wie in Corona-Zeiten) und um die Senkung der Lebensmittel- und Energiepreise durch staatliche Preiskontrollen und eine Besteuerung der Übergewinne der Konzerne, die von den Kriegsfolgen erheblich profitieren. Beide Maßnahmen gibt es bereits in mehreren EU-Staaten. Die Bundesregierung tut viel zu wenig gegen die Preissteigerungen, die Millionen Menschen verzweifeln lassen.
Und wie stehst du zu Sanktionen gegenüber Russland ganz allgemein?
Bis vor wenigen Wochen hat die Bundesregierung den Grundsatz vertreten, dass Sanktionen Putin und seinen Eliten mehr schaden müssen als Deutschland. Dieser Grundsatz ist prinzipiell richtig, wird aber politisch kaum noch eingelöst. Das sehen wir beim Ölembargo. Das sehen wir aber auch beim Vermögen russischer Oligarchen. Hier wurden Beschlagnahmungen in großem Stil angekündigt, doch passiert ist wenig – zumindest in Deutschland. Lediglich 143 Millionen Euro (Stand: Ende Mai) wurden bisher in Deutschland eingefroren. Belgien hat bereits Milliarden eingefroren, auch Frankreich und Italien viel mehr als Deutschland. Hier könnte die Bundesregierung deutlich mehr tun. Es ist richtig, dass jetzt auf EU-Ebene geplant wird, beschlagnahmtes Vermögen russischer Oligarchen für den Wiederaufbau der Ukraine einzusetzen. Das hat Dietmar Bartsch bereits Anfang April im Bundestag gefordert.
In der zweiten Jahreshälfte wird DIE LINKE mit dem Mitgliederentscheid zu einem Bedingungslosen Grundeinkommen vor eine neue Zerreißprobe gestellt. Wie stehst du ganz persönlich zum BGE und warum?
Ich persönlich halte das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens für noch nicht ausgereift. Ich finde die Formulierung in unserem Parteiprogramm sehr treffend. Das Bedingungslose Grundeinkommen könnte eine Möglichkeit sein, um das Recht auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe jedes Einzelnen von der Erwerbsarbeit zu entkoppeln. Die Diskussion dazu sollen wir aber weiterführen. Eine Einführung gegen den Willen der Gewerkschaften halte ich im Übrigen für kontraproduktiv.
Was war dein letztes Buch, das du gelesen hast und würdest du es weiterempfehlen?
Klaus Dörre: Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution. Berlin 2021. Der Autor ist einer der klügsten linken Köpfe in unserem Land. Seine Überlegungen für einen weiter entwickelten und attraktiven Sozialismus im 21. Jahrhundert sind sehr anregend und auch für unsere Partei wichtig. Besonders beeindruckend ist es, wie er feministische, ökologische und indigene Strömungen kapitalismuskritischen Denkens aufnimmt und in seinen Gesellschaftsentwurf einbezieht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das offizielle Bewerbungsschreiben von Sören findet ihr hier auf der Webseite der Partei DIE LINKE. Auf seiner persönlichen Homepage findet ihr Informationen zu seiner Person und seiner Arbeit im Deutschen Bundestag und Leipziger Stadtrat. Wer es persönlicher mag, kann Sören auf Twitter folgen: @LINKEPELLI