Sondierungsgespräche in NRW: In Zeiten tiefer Strukturumbrüche bleiben CDU und Grüne unverbindlich

01. Juni 2022  TRANSFORMATION ARBEIT

Mit dem größten Braunkohlerevier Europas und einer hohen Konzentration energieintensiver Industrien ist NRW der Hotspot der Transformation. Das Sondierungspapier von CDU und Grünen bleibt in den Fragen von Strukturwandel und Transformation jedoch unverbindlich. Insbesondere die wichtige Frage nach der Finanzierung wird nicht beantwortet. Doch die Herausforderungen sind zu groß und zu einschneidend, um mit politischer Halbherzigkeit darauf zu reagieren, sagt unsere Bundessprecherin Ulrike Eifler und meint: In den nächsten fünf Jahren muss sich außerhalb des Landtages eine soziale Opposition formieren, damit Strukturwandel und Transformation im Interesse der Beschäftigten gelingen. 

Noch befinden sich CDU und Grüne nicht in einer gemeinsamen Landesregierung. Doch schon jetzt steht fest, Beschäftigte haben von einer schwarz-grünen Koalition wohl nicht viel Positives zu erwarten. Zu diesem Schluss muss kommen, wer einen Blick in das Sondierungspapier von CDU und Grünen wirft. Unverbindliche Absichtserklärungen und ein Finanzierungsvorbehalt bilden die Grundlage, auf der nun Koalitionsverhandlungen stattfinden werden.

Keine Antwort auf die Umbrüche in der Welt der Arbeit

Das größte Braunkohlerevier Europas und die hohe Konzentration energieintensiver Industrien machen NRW zum Hotspot der Transformation. Ob Stahlindustrie in Duisburg oder Chemieindustrie in Leverkusen, der klimaneutrale Umbau beider Leitindustrien ist wesentlich für das Gelingen der Energiewende. Chemische Produkte spielen in Photovoltaik, chemischem Recycling, in der Gebäudedämmung, für die Gewichtsreduzierung von Fahrzeugen oder bei der Entwicklung der Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle. Hier muss ein klimaneutraler Umbau der Produktionstechnologie ebenso auf den Weg gebracht werden wie eine Veränderung nachhaltiger Produkte. Ähnlich ist es bei der Stahlherstellung. Auf grünem Wasserstoff basierende Direktreduktionsanlagen könnten die CO2-intensiven Hochöfen ersetzen und auf diese Weise den Stahl klimaneutral herstellen, den wir für den Bau von Windkrafträdern, Solaranlagen oder den Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur so dringend brauchen.

Die riesige, gesellschaftsverändernde Dimension dieses Prozesses spiegelt sich im Sondierungspapier der beiden künftigen Koalitionspartner kaum wider. Da findet sich die ambitionslose Ankündigung, die Transformationsprozesse durch Investitionen fördern und die kleinen und mittelständischen Unternehmen mittels einer gezielten Innovationsoffensive auf ihrem Weg zur Klimaneutralität unterstützen zu wollen, ohne dies genauer zu beziffern.

Doch einen Hinweis auf eine transformative Industriepolitik, die Leitindustrien gezielt fördert und staatliche Leitmärkte aufbaut, die Fachkräfte mit Qualifizierungsprogrammen auf den Transformationsprozess fördert und Flächenentwicklung betreibt, sucht man vergebens. Und ohne einen Transformationsfonds verliert die Gestaltung der Transformation allemal ihre Ernsthaftigkeit. Fest steht: Ohne eine transformative Industriepolitik kommt dieser Prozess über das Niveau von bloßen betrieblichen Modernisierungsstrategien wohl nicht hinaus.

Ausbau der Erneuerbaren Energien

Die gute Nachricht ist: CDU und Grüne halten am Kohleausstieg 2030 fest. Die Dörfer des dritten Umsiedlungsabschnitts sollen nicht abgebaggert werden. Was das für die Energiesicherheit des Landes NRW künftig bedeutet, muss im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine neu geklärt und bewertet werden.

Zur Sicherstellung einer ausreichenden Energieversorgung wollen die Koalitionäre einen beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien vorantreiben. Doch beim Ausbau schwächelt die künftige Landesregierung schon, ehe sie überhaupt an den Start gegangen ist. Mindestens 1.000 zusätzliche Windkraftanlagen sollen in den nächsten fünf Jahren entstehen. Gegenwärtig verfügt das Land NRW über 3.818 solcher Anlagen. Sie stehen auf 0,8 Prozent der Landesfläche. Mit einer Aufstockung von 1.000 zusätzlichen Windrädern in den nächsten fünf Jahren bliebe NRW deutlich unter dem im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verabredeten Ausbau von zwei Prozent der Landesfläche bis 2030.

Auch beim Ausbau der Photovoltaik bleibt das Sondierungspapier zudem unverbindlich. „Wir werden (…) die Voraussetzung dafür schaffen, dass in den kommenden Jahren, sämtliche für Photovoltaik geeignete Flächen (…) genutzt werden können“. Dieses Bekenntnis bleibt banal, denn es wiederholt, was bereits im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart wurde.

Wir wissen: Beim Ausbau der Photovoltaik hat NRW als am dichtesten besiedeltes Bundesland einen erheblichen Standortvorteil. 2019 errechnete das Landesamt für Natur-, Umwelt- und Verbraucherschutz (LANUV) für die elf Millionen Dächer in NRW das Potential von 68 Terawattstunden Sonnenstrom. Dieses Potential entspricht fast der Hälfte des heutigen Stromverbrauchs von ganz NRW bzw. dem doppelten dessen, was die privaten Haushalte in NRW an Strom benötigen. Bisher weist das LANUV 282.000 PV-Dachanlagen und 355 PV-Freiflächen aus.

Eine Konkretisierung, wie der ins Stocken geratene Ausbau der Photovoltaik wieder angekurbelt werden kann, wäre nicht nur wünschenswert, sondern würde der Dringlichkeit in Anbetracht des Ukrainekrieges eher gerecht werden, als halbherzige Bekenntnisse im Sondierungspapier. Fakt ist: Damit Transformation und Strukturwandel in NRW gelingen, braucht es eine sichere Energieversorgung – das bedeutet in der Konsequenz, dass parallel zum Ausstiegsszenario aus der Kohle auch ein Einstiegsszenario in die Erneuerbaren Energien verabredet werden muss. Letzteres müssen CDU und Grüne im Koalitionsvertrag konkretisieren.

Arbeitsmarktpolitik

Dass der aktuelle Fachkräftemangel vor allem in den Handwerksberufen das Potential hat, die Energiewende zu unterminieren, ist auch bei den künftigen Koalitionspartnern angekommen. Handwerker sind gefragt. Sie werden nicht nur bei Reparaturen und Installationen gebraucht, sondern auch für die Montage von Wärmepumpen oder Solaranlagen. Hier macht sich die Vernachlässigung der dualen Ausbildung in den letzten Jahren bemerkbar. 2021 sank die Zahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge erstmals unter die historische Grenze von 500.000. Mittlerweile bildet nicht einmal jedes fünfte Unternehmen noch aus. Der Fachkräftemangel ist also hausgemacht.

Umso erfreulicher, dass die Fachkräfteentwicklung von der neuen Landesregierung in den Blick genommen wird. So soll mittels eines Ausbildungspaktes allen Schulabgängern ein Angebot für einen Ausbildungsplatz gemacht werden. Was das konkret bedeutet, wird sich zeigen. Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, ohne Ausbildungsplatzumlage wird sich an der Ausbildungsbereitschaft der Unternehmen wenig ändern. Wer nicht ausbildet, soll dafür zahlen!

In diesem Kontext ist auch das Bekenntnis zur Stärkung der Sozialpartner und der Tarifbindung zu begrüßen. „Bei der öffentlichen Vergabe (sollen) tarifgebundene Firmen bevorzugt“ werden, heißt es. Tarifverträge bieten den Beschäftigten gerade im anstehenden Transformationsprozess Sicherheit, denn ein erzwungener Berufswechsel geht häufig mit Einkommensverlusten von bis zu 25 Prozent einher. Weil die Stärkung der Tarifbindung deshalb zu einer essentiellen Voraussetzung für einen erfolgreichen Strukturwandel wird, muss dieses Bekenntnis im Koalitionsvertrag konkret ausbuchstabiert werden. Zeigt doch gerade die hohe Abwanderung von Fachkräften aus der Pflege, wie sehr Fachkräftesicherung und gute Arbeitsbedingungen sowie gute Bezahlung miteinander zusammenhängen. Die Novellierung des Tariftreuegesetzes wäre ein erster Schritt in diese Richtung.

Finanzen

In einem Transformationsprozess, der Branchen und Regionen dauerhaft verändern wird, der staatliche Subventionierungen notwendig macht, die Förderung von Forschung und Entwicklung voraussetzt, den Ausbau der Infrastruktur vorantreiben muss und der ohne eine Fachkräfteentwicklung und -qualifizierung keinesfalls auskommt, spielt die Frage der Finanzierbarkeit all dieser Prozesse eine entscheidende Rolle. Es spricht Bände, dass das Kapitel Finanzen das mit Abstand kürzeste im Sondierungspapier ist. Nicht zu kurz immerhin für ein unverrückbares Bekenntnis zur Schuldenbremse. Und dass die „Bewältigung der Zukunftsaufgaben“ von „Spielräumen im Haushalt“ abhängig gemacht werden sollen, liest sich fast wie ein Finanzierungsvorbehalt. Die Frage, wo das Geld für den vor uns liegenden wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitischen Kraftakt herkommen soll, wird nicht einmal im Ansatz gestellt, geschweige denn beantwortet. Stattdessen heißt es: „Uns verbindet die Bereitschaft für Bürokratieabbau, Aufgabenkritik und Strukturreformen, um diese Spielräume zu schaffen“.

Natürlich, das Sondierungspapier von CDU und Grünen ist nur eine erste Absichtserklärung, die im Koalitionsvertrag konkret gemacht werden muss. Doch die Ambitionslosigkeit, mit der beide Parteien auf die tiefen Umbrüche in der Welt der Arbeit reagieren, lässt erahnen, dass die Landesregierung die Sorgen der Beschäftigten vor Entqualifizierung, erzwungenen Jobwechseln oder gar Verlust des Arbeitsplatzes bestenfalls halbherzig in den Blick nehmen wird. Die Transformation jedoch ist zu groß, zu komplex, zu einschneidend für viele Beschäftigte, um auf die damit einhergehenden Herausforderungen derart unverbindlich zu reagieren, wie CDU und Grüne dies mit ihrem Sondierungspapier tun. Was bleibt, ist das Gefühl, dass der Bevölkerung NRWs die bisherige Politik der Landesregierung, nun in grünen Schläuchen abgefüllt, präsentiert werden soll. Sollte sich das herausstellen, wird sich eine soziale Opposition dazu formieren müssen.

Ulrike Eifler ist stellvertretende Landessprecherin der Partei DIE LINKE in NRW und Bundessprecherin der AG Betrieb & Gewerkschaft

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