Von Stephan Krull
Erstmals seit mehr als 30 Jahren werden bei VW durch Androhung von Lohnkürzungen, Massenentlassungen und Werksschließungen wieder Abstiegs- und Existenzängste unter den Beschäftigten verbreitet. Dabei ist die Not bei VW nicht wirklich groß, sagt Stephan Krull mit Blick auf die Rendite und Gewinnrücklagen in Milliardenhöhe. Stephan war Betriebsrat bei VW in Wolfsburg und hat die letzte große Krise bei Volkswagen selbst erlebt. Er sagt, die IG Metall hat einen wichtigen Trumpf in der Hand, und dabei geht es auch um Arbeitszeit und Mitbestimmung.
Direkt vor den nächsten Tarifverhandlungen am Mittwoch platzte die Bombe: Der VW-Konzern will drei Werke schließen, besonders gefährdet ist das Werk in Osnabrück. Neben einem massiven Personalabbau drohen zudem Entgeltverluste »in Richtung 20 Prozent«, wie es in einer Mitteilung des Betriebsrates heißt. Das sei »kein Säbelrasseln in der Haustarifrunde«, warnt der Betriebsrat. Als »Kampfansage von historischem Ausmaß« bezeichnet er das Vorgehen des Managements.
„Dass jetzt betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen im Raum stehen, ist Wasser auf die Mühlen der AfD,“ sagt der Kasselaner Betriebsratsvorsitzende Carsten Büchling zur Kündigung der Tarifverträge der Volkswagen AG durch das Unternehmen.
Am 2. September hat der VW-Vorstand in einem historischen Tabubruch den Weg freigemacht für mögliche Werksschließungen, Massenentlassungen. Der gekündigte Haustarifvertrag gilt für über 100.000 Personen in den Werken von VW in Wolfsburg, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Hannover und Emden. Ähnliche ebenfalls gekündigte Verträge gibt es für die Standorte in Zwickau, Chemnitz, Dresden und Osnabrück. Seit 1994 ist der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen und die unbefristete Übernahme von ausgebildeten jungen Menschen vertraglich abgesichert. Ebenfalls gekündigte würde eine Vereinbarung zur übertariflichen Vergütung hochqualifizierter Expert*innen und die Aufzahlung für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter.
Abstiegs- und Existenzängste
Erstmals seit mehr als 30 Jahren werden durch Androhung von Lohnkürzungen, Massenentlassungen und Werksschließungen wieder Abstiegs- und Existenzängste unter den Arbeiterinnen und Arbeitern verbreitet. Die Spaltung der Belegschaften innerhalb der Werke und zwischen den Werken ist im Vorgehen des Managements angelegt und wohl beabsichtigt. Mit großer Empörung reagieren die gemeinten Arbeiterinnen und Arbeiter, die Autos entwickeln, zusammenschrauben und den Vertrieb gewährleisten, auf diesen Tabubruch und unterstützen bei Betriebsversammlungen und ersten Kundgebungen den Betriebsrat und die IG Metall, rufen in Richtung des Managements: „Wir sind Volkswagen – ihr seid es nicht!“
Auf die Bedeutung von Solidarität weist die IG Metall hin: „Arbeitgeber, Unternehmensverbände und Betriebsspitzen versuchen landauf, landab einen Keil in die Belegschaft zu treiben. Wir sagen: Die Hunderttausenden Kolleginnen und Kollegen der Metall- und Elektroindustrie sowie bei Volkswagen halten zusammen. Gemeinsam kämpfen wir für eine gute Zukunft“, so Thorsten Gröger, der Bezirksleiter und Verhandlungsführer der IG Metall. Am Rande eines Treffens beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt hat sich der komplette Vorstand für Solidarität mit der VW-Belegschaft und eine klare Botschaft an das Management versammelt. “Wir stehen an Eurer Seite – Gemeinsam gegen Werksschließungen, Stellenabbau und Verlagerungen.“
Die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo spricht Klartext: „Das Unternehmen meint es ernst mit Werksschließungen und Massenentlassungen. Wenn die könnten, wie sie wollten, würden die das machen.“ Mehr noch reklamiert Cavallo mehr Mitbestimmung und Beteiligung auch wegen der Geschichte von Volkswagen. Bei der Kundgebung zum Start der Tarifverhandlungen rief sie den versammelten Kolleginnen und Kollegen, aber auch dem Vorstand zu: „Volkswagen gehört nicht allein den Aktionärinnen und Aktionären! Volkswagen gehört auch uns. Der Belegschaft. Und ja: VW gehört auch eindeutig der Mitbestimmung!“ Sie erinnerte an die Wurzeln des Konzerns. VW ist von den Nazis in den 1930er Jahren als Teil der Volksgemeinschaftsideologie mit 130 Millionen Reichsmark aufgebaut worden, die direkt aus dem enteigneten Vermögen der Gewerkschaften stammten. Im Nachkriegsdeutschland klagte der Deutsche Gewerkschaftsbund nur deshalb nicht auf seine Eigentumsrechte an VW, weil die Rolle der Mitbestimmung bei dem Autobauer in starkem Maße abgesichert wurde. Auch beim Börsengang von VW im Jahr 1960 hatte diese historische Wurzel Bestand, es entstand des VW-Gesetz.
Der Absatzrückgang bei VW (minus zwei Millionen Fahrzeuge pro Jahr) resultiert aus gesättigten Märkten und einer Produktstrategie mit Orientierung auf große und teure Autos – die Profitrate ist dabei höher. So ist zu erklären, dass der Gewinn stieg, obwohl der Absatz an Fahrzeugen sank. Die Überkapazitäten will der Konzern jetzt loswerden. Kritiker monieren schon lange, dass Volkswagen keine kleinen und preiswerten Fahrzeuge im Programm hat und die Mobilitätswende nicht angeht. Volkswagen hat in den zurückliegenden Jahren staatliche Subventionen in Milliardenhöhe erhalten, ohne dass der öffentliche Einfluss auf das Unternehmen stieg, ohne dass das am Unternehmen beteiligte Land Niedersachsen Einfluss auf die Strategie genommen hätte.
Die Not bei VW ist nicht wirklich groß, es geht nur darum, den künftigen Profit zu sichern: 6,5 Prozent Rendite statt 3,5 Prozent. 147 Milliarden Euro Gewinnrücklagen und mehr als 18 Milliarden Euro Nettogewinn 2023 sind in der Bilanz des Konzerns. Davon ausgeschüttet wurden 4,5 Milliarden 2024, gut zwei Milliarden Euro direkt an den Porsche-Piëch-Clan. Unabhängig von den Verhandlungen in Deutschland werden Fabriken in Belgien und China schon geschlossen. Über die Fabrik in Osnabrück wird munter spekuliert, aus der „gläsernen Manufaktur“ in Dresden könnte bald ein Showroom und eine Partylocation werden und der defizitäre Fahrservice MOIA in Hannover und Hamburg könnte beendet werden.
Arbeitszeitverkürzung hat sich bewährt
Mit schnellen Ergebnissen bei den Verhandlungen ist nicht zu rechnen, zumal die IG Metall einen wichtigen Trumpf in der Hand hat: Wenn es keine neue Vereinbarung gibt, treten die Tarifverträge von 1994 wieder in Kraft – einschließlich der starren 35-Stunden-Woche und Leistungen wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, bezahlter Pausen und Schichtzuschlägen. In der Krise vor 30 Jahre wurde die Arbeitszeit verkürzt, um Entlassungen zu vermeiden. Dieser Weg ist als eine Möglichkeit bereits von der IG Metall ins Gespräch gebracht worden. Um die Krise längerfristig zu überwinden, will die IG Metall mehr Mitbestimmung auch über wirtschaftliche Angelegenheiten und über die Produktion. Nochmals Carsten Büchling vom Betriebsrat aus Kassel: „Unser Ziel muss sein, dass die Beschäftigten über die Produktion entscheiden. Die Beschäftigten müssen zu Miteigentümern der Betriebe werden.“
Der Beitrag ist auszugsweise veröffentlicht im ND. Stephan schreibt auf seinem Blog regelmäßig über die Entwicklungen in der Automobilindustrie und zu weiteren Themen: StephanKrull.Info